Präses Tobias Bergmann interviewt Abendblatt-Wirtschaftschef Oliver Schade. Es geht um die Zukunft der Stadt – und es wird persönlich.
Zu Besuch in der Handelskammer. Ein Journalist, der keine Fragen stellt, sondern Antworten gibt. Und ein Präses, der vieles ganz genau wissen möchte.
Tobias Bergmann: Herzlichen Glückwunsch zum 70. Geburtstag ...
Oliver Schade: Auch wenn ich so alt aussehe , ich bin erst 52.
Ich meinte selbstverständlich das Abendblatt. (lacht) Aber mal zum Wirtschaftsressort. Wie viele Vorgänger als Wirtschaftschef hatten Sie eigentlich schon?
Das ist eine gute Frage. Also zwei habe ich persönlich kennengelernt. Ich schätze etwa fünf Ressortleiter wird es vor mir gegeben haben.
Die Ahnengalerie – alles Männer, auch beim Abendblatt
Sie haben also kein Ahnengalerie in Öl bei sich im Büro hängen?
Nein, eine Ahnengalerie gibt es bei uns nur von den früheren Chefredakteuren.
Alles Männer?
Ja, wie die Präsides der Handelskammer.
Gab oder gibt es Überlegungen, eine Frau als Chefredakteurin einzustellen?
Ich hoffe nicht, dann müsste Lars Haider ja gehen, was ich sehr bedauern würde. Die Berliner Morgenpost, die auch zur Funke Mediengruppe gehört, hat allerdings seit kurzem eine Chefredakteurin.
Was war die Story, auf die Sie in der Wirtschaftsredaktion besonders stolz waren?
Stolz bin ich vor allem auf die vielen Journalistenpreise, die unser Ressort in den vergangenen gut 15 Jahren gewonnen hat. Da waren wirklich exzellent recherchierte und geschriebene Geschichten dabei. Schaut man auf die besonders spannenden Ereignisse, so zählen sicherlich die Erweiterung des Airbus-Werks auf Finkenwerder mit dem Erstflug des A380 sowie das jahrelange Gezerre um die Elbvertiefung dazu. Hinzu kommen aber auch die vielen persönlichen Geschichten über innovative Unternehmer in der Stadt. Denn wir wollen im Wirtschaftsteil des Abendblatts – wenn möglich – immer den Menschen in den Mittelpunkt unserer Wirtschaftsberichterstattung stellen.
Wirtschaftsthemen aus der Region
Wenn ich mich detailliert über das weltweite Geschehen in der Wirtschaft informieren wollte, würde ich nicht ausschließlich zum Abendblatt greifen. Wie definieren Sie Ihre Rolle als Wirtschaftsredaktion?
Unsere Redaktion in Hamburg ist für Wirtschaftsthemen aus der Region zuständig. Wir wollen möglichst umfassend, kompetent und unterhaltsam über das informieren, was in der Wirtschaft Hamburgs und des Umlandes geschieht. Für alle anderen überregionalen und internationalen Wirtschaftsthemen haben wir unsere Zentralredaktion in Berlin, die uns fünf Mal in der Woche mit jeweils einer Seite beliefert.
Mal in die Zukunft geschaut: Gibt es eine Wirtschaftsgeschichte, die Sie in den nächsten zehn Jahren gerne schreiben würden?
Internationales Großunternehmen eröffnet Produktionsbetrieb mit 3000 Mitarbeitern in Hamburg – das wäre meine Wunsch-Schlagzeile. Am liebsten aus dem Bereich der alternativen Mobilität. Mercedes könnte zum Beispiel künftig alle seine Elektroautos in Hausbruch zusammenbauen – schließlich haben sie doch dort schon ein Werk. Leider nur ein Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen wird. Dafür sind die Betriebsräte an den Mercedes-Standorten in Baden-Württemberg und Bremen viel zu mächtig und werden das nicht zulassen.
Mal eine persönliche Frage...
Mal eine persönliche Frage: Warum sind Sie als Wirtschaftschef des Abendblatts nicht aktiver in den sozialen Medien wie Twitter, Instagram oder Facebook?
Früher habe ich dort mehr gemacht, aber am Ende musste ich einsehen, dass Aufwand und Ertrag nicht zueinander passten. Und ich habe auch gemerkt, dass viele unsere Stammleser den persönlichen Kontakt über das Telefon suchen und mögen. Es vergeht eigentlich kaum ein Tag, an dem ich nicht mit Lesern telefoniere. Dennoch haben Sie recht, dass unser Ressort aktiver in den sozialen Medien sein könnte – mal schauen, was die Zukunft da bringt.
Nun feiert das Abendblatt seinen 70. Geburtstag. In 30 Jahren steht der 100. Geburtstag an – wo geht die Reise für das Abendblatt hin?
Also ich werde dann in Rente sein. Und das Abendblatt? Sicherlich werden der Onlineauftritt und die Zeitung als E-Paper eine noch größere Rolle als heute spielen. Ich denke aber, dass es das Abendblatt auch weiter auf Papier geben wird, weil viele unserer Leser auf das haptische Erlebnis einer gedruckten Ausgabe nicht verzichten möchten. Möglicherweise wird man sich die Zeitung in 30 Jahren zu Hause selbst ausdrucken auf einem speziellen Zeitungsdrucker, den das Abendblatt jedem Abonnenten dann zur Verfügung stellt.
Nehmen wir an, Sie hätten die Wahl zwischen zwei neuen Traumjobs: Wirtschaftssenator oder Präses der Handelskammer?
Allein schon mit Blick auf die Entlohnung Wirtschaftssenator. (lacht) Aber ich denke, als Senator könnte man auch tatsächlich mehr gestalten.
Der Traum von der Metropole für alternative Mobilität
Was würden Sie anpacken?
Mein Hauptaugenmerk würde darauf liegen, Hamburg zu der führenden europäischen Metropole für alternative Mobilität zu machen. Hier bleibt mir derzeit zu viel in Ansätzen stecken. Das Fahrradwegenetz müsste schneller ausgebaut werden. Wir brauchen in Hamburg mehr Elektroladesäulen und zusätzliche finanzielle Anreize zum Kauf für Elektroautos. Und natürlich würde ich mich als Senator auch darum kümmern, dass Mercedes sein Elektroauto-Werk eines Tages doch noch in Hamburg baut. Vielleicht geschehen ja doch noch Wunder.
Wie organisieren Sie denn persönlich Ihre Mobilität?
Ich wohne südlich der Elbe und fahre jeden Tag mit der S-Bahn zur Arbeit.
Das trifft sich gut, ich auch. Ich wohne in Wilhelmsburg. Und wenn Sie einen Termin in der Stadt haben?
Dann nutzte ich ebenfalls fast immer die öffentlichen Verkehrsmittel oder fahre mit einem Abendblatt-Elektroauto.
Würden Sie heute nochmal den Beruf des Journalisten ergreifen?
Ja, auf jeden Fall. Denn was mich weiterhin am Tageszeitungsjournalismus reizt, ist die Tatsache, dass man morgens nie weiß, was der Tag bringt.
Der Vorteil von Familienunternehmen
Vor einigen Jahren stand in einem Wirtschaftsmagazin die Überschrift „Wir brauchen mehr Rebellen“. Braucht auch Hamburgs Wirtschaft mehr Rebellen?
In der Handelskammer haben wir ja schon viele Rebellen.
Da haben wir jetzt erst einmal genug (lacht)
In der Wirtschaft freue ich mich über jedes innovative, rebellische Unternehmen. Aber ich bin auch sehr froh darüber, dass wir mit Unternehmen wie Otto, der Helm AG oder Marquard & Bahls große, solide geführte Familienunternehmen haben, die weniger für Rebellentum als für jahrzehntelange Kontinuität und sichere Arbeitsplätze stehen.
Aber die Führung bei Otto erfindet ihr Unternehmen ja auch gerade neu ...
Das würde ich aber weniger als Rebellentum bezeichnen, sondern als notwendige Anpassung eines Geschäftsmodells an die sich rasant wandelnde Handelswelt.
Was ist für Sie die Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Hamburg, welche bisher noch unterschätzt wird?
Sicherlich sind die extrem gestiegenen Wohnkosten in Hamburg eine immense Herausforderung für den Wirtschaftsstandort. Wenn sich eine Familie mit zwei Kindern, bei denen beide Elternteile arbeiten, kaum noch eine Vier-Zimmer-Wohnung in Hamburg – ob zur Miete oder als Eigentum – leisten kann, dann ist das alarmierend. Wenn sich an dieser Situation nicht zügig etwas ändert, wird sich das Problem des Arbeitskräftemangels in Hamburg dramatisch zuspitzen. Fachkräfte ziehen dann lieber in andere Regionen, wo sie sich von ihrem Gehalt ein schönes Haus oder eine tolle Wohnung problemlos leisten können. Viele Hamburger Unternehmen bauen ja bereits selbst Wohnungen für ihre Beschäftigten, aber ob das ausreicht? Ich habe da meine Bedenken.