Skurrile Begegnung 1989 in Rumäniens Hauptstadt Bukarest. Warum sich der Geheimdienst für den Reporter interessierte.
Bukarest im Januar 1989. Von Wendestimmung ist in Rumäniens Hauptstadt nichts zu spüren. Das Volk darbt, die Lebensmittel sind rationiert, bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt dürfen die Wohnungen nur bis auf zwölf Grad Celsius beheizt werden. Auch Energie ist knapp – trotz eigener Ölvorkommen. Mit Peter Köster und Dirk Johannes Andresen, meinen Kollegen der „Bild“ und „Morgenpost“, habe ich die HSV-Volleyballer zum Europapokalspiel der Landesmeister beim rumänischen Titelträger Steaua Bukarest begleitet.
Spiel- und Nachbericht sind geschrieben und in die Abendblatt-Redaktion übermittelt. Der HSV hat am Vortag mit 3:1-Sätzen gewonnen. Jetzt warten alle auf die Abreise. In drei Stunden startet unser Rückflug über München nach Hamburg.
"Machen Sie auf!"
Die Tasche ist gepackt, als es im Hotel an meiner Zimmertür klopft. „Machen Sie auf!“, herrscht von draußen eine Frauenstimme mich an. Als ich öffne, steht die Dame, die seit zwei Tagen nicht von unserer Seite weicht und offenbar für den berüchtigten rumänischen Geheimdienst Securitate arbeitet, vor mir. „Ceausescu will Sie sprechen. Kommen Sie mit“, sagt sie in einem schrillen und schneidigen Ton, der einem Befehl gleichkommt.
Ich zucke zusammen. Der rumänische Staatspräsident? Haben wir einen Termin? Nein! Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf. Ich war in den 1980er-Jahren regelmäßig im Ostblock, habe dort Schachturniere gespielt, wusste also, was zu tun und was besser zu lassen ist. Dass die Zimmer verwanzt sind, meistens mit Mikrofonen, einige auch mit Minikameras, ist mir klar. In geschlossenen Räumen halte ich mich deshalb mit politischen Äußerungen zurück.
„Worum geht’s?“, frage ich. „Kommen Sie mit“, erwidert sie. „Unser Flugzeug geht in drei Stunden“, interveniere ich. „Sie werden rechtzeitig zum Flughafen kommen. Also los jetzt“, keift sie. Widerstand scheint zwecklos, und eine gewisse journalistische Neugier kann ich plötzlich auch nicht mehr verleugnen.
Im Mercedes durchs Regierungsviertel
Im Hotelfoyer treffe ich meine beiden Kollegen. Auch sie sind eingeladen. Wir sind ein wenig nervös, schauen uns etwas ratlos an. „Was soll’s?“, sagen wir uns schließlich, „es wird uns schon nichts passieren.“ Zur Sicherheit informieren wir HSV-Trainer Olaf Kortmann und -Mannschaftsführer Frank Mackerodt von unserem bevorstehenden „Staatsbesuch“, bitten beide, falls wir nicht zum Rückflug erscheinen, die deutsche Botschaft in Bukarest zu verständigen. Die Telefonnummer habe ich rausgesucht.
In einer schwarzen Mercedes-Limousine werden wir über fast leere Straßen ins Bukarester Regierungsviertel kutschiert. Am Eingang des Gebäudekomplexes warten zwei Beamte. Sie führen uns in den ersten Stock in ein riesiges – gut beheiztes – Arbeitszimmer. Plötzlich steht Ceausescu vor uns, Ilie Ceausescu, der jüngere Bruder des Präsidenten, Militärhistoriker, Politbüromitglied und stellvertretender Verteidigungsminister. „Schön, dass Sie gekommen sind“, sagt er auf Englisch und lächelt. Auf dem Tisch stehen Kaffee, Tee, Mineralwasser und Bahlsen-Kekse. Wir setzen uns. Unsere Nervosität legt sich etwas.
"Lügen!" – Fake News gibt es noch nicht
„Über Rumänien werden im Westen viele Lügen verbreitet“, eröffnet Ceausescu das Gespräch. Den Begriff Fake News gibt es noch nicht. „Ich hatte gehört, dass drei junge deutsche Journalisten in der Stadt sind. Deshalb wollte ich die Gelegenheit nutzen, dass Sie einmal hören, was wir zu sagen haben, wie es um Rumänien wirklich bestellt ist.“
Ceausescu breitet die rumänische Geschichte der vergangenen tausend Jahre vor uns aus, den schwierigen und oft schmerzlichen Weg in die staatliche Unabhängigkeit. Diese Unabhängigkeit, unabhängig vor allem vom imperialistischen Westen und besonders den USA, fordere ihren Preis – und eben auch Opfer von den Menschen. „Rumänien ist das Land im Ostblock mit der geringsten Auslandsverschuldung. Und die restlichen Schulden werden wir in den nächsten Jahren auch noch tilgen. Wir sind trotz aller momentanen Probleme auf einem sehr guten Weg.“
Die Atmosphäre entspannt sich. Wir trauen uns, kritische Fragen zu stellen, zum Beispiel, warum das Volk hungern muss. Ceausescu beantwortet sie geduldig und aus seiner ideologischen Sicht plausibel. Und die Securitate-Frau sagt: „Niemand muss bei uns hungern. Mein Kühlschrank ist immer voll.“ Ceausescu nickt ihr zu.
"Das Flugzeug wartet auf Sie!"
Nach 90 Minuten drängen wir höflich zum Aufbruch. „Sie verpassen Ihr Flugzeug nicht, dafür haben wir gesorgt. Es wartet auf Sie“, sagt Ceausescu. Er verabschiedet sich überaus freundlich, hofft, dass wir über dieses Gespräch in unseren Zeitungen berichten, „die Wahrheit über Rumänien schreiben“ – und wünscht uns mit einem kräftigen Händedruck „Good Luck“, alles Gute.
Wir kommen zu spät. Der Flieger aber wartet wirklich. Die schwarze Limousine fährt uns aufs Flugfeld, an allen sonst so strengen Pass- und Zollkontrollen vorbei an die Gangway. „Auf Wiedersehen und guten Flug“, sagt die Geheimdienstfrau – und lächelt das erste Mal. Wir atmen auf. In der Maschine werden wir mit großem Hallo begrüßt. Mannschaftskapitän Mackerodt sagt: „Wir hatten gehofft, sie behalten euch da.“ Alle lachen. Es sollte wohl ein Scherz sein.
Ilie Ceausescu überlebt die rumänische Revolution Ende des Jahres 1989, zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück, sein Bruder Nicolae und dessen Frau werden nach einem kurzen Prozess am 25. Dezember hingerichtet. Ilie Ceausescu stirbt im Oktober 2002 an einer Lungenentzündung.