Sie ist ein echtes Markenzeichen: Menschlich gesehen erscheint seit der ersten Ausgabe auf der Titelseite. Was sie so besonders macht.

Sie ist einzigartig in der deutschen Zeitungslandschaft, ein unverwechselbares Markenzeichen. Sie ist kurz, hat aber eine lange Geschichte. „Menschlich gesehen“ ist die älteste Kolumne des Hamburger Abendblatts. Die kleine Porträtskizze erscheint seit der ersten Ausgabe täglich unten links auf der Titelseite der Zeitung.

„Eine Zeitung mit Herz, eine Zeitung, die den Menschen in den Mittelpunkt ihrer ganzen Betrachtungen stellt.“ Mit diesen Worten charakterisierte Axel Springer in einem Rundfunk-Interview am 14. Oktober 1948 seine frisch gegründete erste Tageszeitung. Menschlichkeit war und ist Programm des Hamburger Abendblatts.

Diese Menschen spielen am Rand der Nachrichten eine Rolle

Es ist kein langer Text, nur etwa 30 bis 40 Zeilen hat das „Menschlich gesehen“. Und es ist kein nüchterner Lebenslauf. Das „Menschlich gesehen“ hat die Aufgabe, Mitmenschen zu beschreiben. Sie spielen immer in den oder am Rand der Nachrichten des Tages eine Rolle. Hier ist es nicht wichtig, welche Universität jemand besuchte, sondern, was ihn begeistert. Hier interessiert nicht das Geburtsdatum, sondern vielleicht, ob sich jemand wie ein Kind freuen kann.

Hier werden Menschen nicht durch das Nachrichten- und Kameraobjektiv betrachtet, sondern mit Hand und Herz. Ganz subjektiv, mit der Tusche des Zeichners, mit den Eindrücken des Reporters. Hier werden überwiegend nicht die Großen der Zeitgeschichte vorgestellt. Oft ist es einfach ein Mensch mit einer interessanten Aufgabe. Ein Schiffbauer bei einer großen Schiffstaufe, ein Lastwagenfahrer bei einer Lkw-Blockade, ein Obdachloser anlässlich der Eröffnung einer Hilfseinrichtung.

"Wir haben wirklich tolle Leser"

Die Tagesaktualität hebt Menschen für einen kurzen Augenblick auf die Bühne des Öffentlichen. Normalerweise wird dann über die Arbeit, über Aufgaben und Leistungen geschrieben. Das „Menschlich gesehen“ beleuchtet andere Dinge: Was denkt die Person? Welche Leidenschaften hat sie? Hat sie Familie? Welche Hobbys hat sie?

In einem kleinen grünen Heft mit dem Titel „Das Abendblatt ist mehr als eine Zeitung“, das in den 80er-Jahren Jungredakteure beim Hamburger Abendblatt zur Orientierung erhielten, ist die Philosophie eindringlich beschrieben: „Was immer und worüber wir schreiben: Der Mensch ist für uns wichtiger, fast immer auch interessanter als die Sache. Menschen machen Politik, Menschen planen Kraftwerke (und protestieren dagegen), Menschen erzeugen Stahl, Menschen inszenieren Theaterstücke. Die Sache ist abstrakt, der Mensch ein lebendiges Wesen. Von ihm gehen die Kräfte aus, die Ideen, die Anstöße. Schreiben wir also, wenn es geht, immer zuerst über einen Menschen.“

Mehr als 20.000 „Menschlich gesehen“, das von Verleger Axel Springer und Wolfgang Köhler, dem ersten Politikchef des Abendblatts, gemeinsam entworfen wurde, sind in den bislang 70 Jahren erschienen. In diesem Jahr gab es übrigens eine kleine Premiere: 70 Leserinnen und Leser wurden anläßlich des Abendblatt-Geburtstages auf der Seite 1 „Menschlich gesehen“. Das hat nicht nur die Abonnenten begeistert, die sich darum beworben haben – sondern auch die Reporterinnen, die die 70 Leser interviewten und porträtierten. Die Kollegin Elisabeth Jessen brachte es mit leuchtenden Augen auf den Punkt: „Wir haben wirklich tolle Leser.“

Die Tage übrigens, an denen das „Menschlich gesehen“ nicht die Titelseite des Abendblatts schmückte, kann man an wenigen Händen abzählen: Als 1961 in Berlin die Mauer gebaut wurde, als am 2. Oktober 1984 der Untergang der Barkasse „Martina“ im Hamburger Hafen 19 Menschen das Leben kostete oder als Deutschland am 3. Oktober 1990 die Wiedervereinigung feierte - nur an solchen Tagen wurde ausnahmsweise die gesamte Titelseite „ausgeräumt“.

Schreiben wir also, wenn es geht, immer zuerst über einen Menschen.