Er war der vielleicht fantasievollste Erpresser: “Dagobert“ beschäftigte auch die Abendblatt-Polizeiredaktion. Es war dramatisch.

Selten genoss ein Krimineller eine solche Popularität in Deutschland. Der Boulevard feierte ihn umso lauter mit jeder fantasievollen (und dennoch missglückten) Geldübergabe, während die Polizei kübelweise Spott ertragen musste. Ein Schwerverbrecher als Popstar, mit einem verniedlichenden Namen, als handele sich es nicht um einen Straf­täter, sondern eine Comicfigur: Dagobert. Auch die Polizeiredaktion des Abendblatts beschäftigte er zwei Jahre lang wie kaum ein Zweiter.

Die Anschläge auf Bahntrassen durch „Herbert, den Sänger“, die Randale rund um Neue Flora und Hafenstraße, die Entführung des Hamburger Millionärs Jan Philipp Reemtsma, ein Sadist, der nachweislich zwei Frauen entführte, folterte und dann in Salzsäure auflöste, der „Hamburger Polizeiskandal“ – die Zeit von Ende der 1980er- bis gut in die Mitte der 1990erJahre war sicher eine der spannendsten für Polizeireporter überhaupt.

Und eine Weile war auch ich in der Zeit einer aus der „Polizeiredaktion“. Einer von meist drei Textern und zwei Fotografen, die im Schichtdienst arbeiteten, am Arbeitsplatz aßen, rauchten und manchmal auch tranken – und das für völlig normal hielten. Wer Dienst hatte, auch spätabends, musste sich in der Nähe eines Telefons aufhalten (Festnetz natürlich, Handys gab es noch nicht) – falls der Pieper Alarm schlug, falls Fotograf oder Informant zum Aufbruch drängten.

"Dagobert" war ein Lackierer – und sehr geschickt

An manchen Fall erinnert man sich lieber, an manch anderen lieber gar nicht. Der „Fall Dagobert“ gehört eindeutig in die erste der beiden Kategorien. Wie sich im Nachhinein herausstellte, hieß „Dagobert“ Arno Funke, war ein Berliner Lackierer mit großem technischen Geschick, nur dass Lösungsdämpfe das Hirn schon leicht benebelt hatten, wie es später im Prozess hieß – nur anders formuliert.

Dieser Arno Funke hatte in den späten 1980ern das KaDeWe in Berlin schon einmal erfolgreich erpresst und 500.000 D-Mark erbeutet. Einige Jahre später war zwar das viele Geld auf­gebraucht, aber die Hoffnung, ein­mal „wie Dagobert Duck in Talern schwimmen­“ zu können, immer noch sehr präsent. So jedenfalls drückte es Funke während seines späteren Prozesses in einem Briefwechsel mit dem „Spiegel“ aus. Selbstkritisch fügte er in dieser Korrespondenz hinzu: „Alles in allem wäre wohl der Unglücksrabe Donald­ treffender für mich gewesen.“

"Da geht ein großes Ding ab"

Mit einer Zeitungsanzeige – Text: „Onkel Dagobert grüßt seine Neffen“ – signalisierte Karstadt Zahlungsbereitschaft. Was war zuvor passiert? In der Nacht zum 13. Juni 1992 klingelte spätabends oder vielleicht auch schon nachts mein Telefon. Informant Ewald sprach von einem „großen Ding“ in der Innenstadt, ich solle hinfahren. Das „große Ding“ war die Explosion einer Rohrbombe in der Porzellanabteilung, also in dem Seitengebäude des Kaufhauses an der Kleinen Rosenstraße. Nur dass zunächst niemand wusste, worum es ging – Erpressung? Terror?

Der Erpresser, der zunächst eine Million D-Mark gefordert hatte, kam so zu seinem Namen: Dagobert. Nur wenige Wochen später kam es zur ersten gescheiterten Geldübergabe: Funke hatte eine Blechkiste mit einer Magnethalterung gebastelt, die die Polizei an einem Zug nach Rostock befestigte. Nur versagte der Abwurfmechanismus. Neuer Versuch, wieder die Bahn: Bei Reinbek wirft ein Polizist die Geldtasche aus dem Zug, nur dass darin statt der Million D-Mark gerade einmal ein paar Hundert steckten – und eine Farbbombe. So geht es monatelang munter weiter. Zig Geldübergaben platzen, weitere Rohrbomben auch.

Dramatisch: Der Geldbote wird festgehalten

Mal erscheint Funke nicht, weil er im Stau steckt, mal löst das Funksignal nicht aus, mal halten Fahrgäste den Geldboten, der die Tasche aus dem Zug schleudern will, für einen Selbstmordkandidaten und überwältigen ihn, mal hat ein Fahnder den Erpresser fast erreicht, rutscht dann aber im letzten Moment aus. Die Rede war damals in einem der ungezählten Artikeln von einem Kuhfladen … Für reichlich Häme war gesorgt.

Fast schon gefeiert in Teilen der Medien – und das trotz mehrerer Verletzter bei den Bombenanschlägen – wurde Funke im April 1993, als in Berlin die Polizei ein angebliches Millionen-Paket (in Wirklichkeit waren es wieder nur Papierschnipsel) in einer zuvor überprüften Streusandkiste deponierte. Ein Hamburger MEK-Beamter machte dabei einen folgenschweren Fehler: Er hielt die Kiste für sauber, nur dass „Dagobert“ unter der Kiste und einem präparierten Gullydeckel hockte und durch die Kanalisation entkam.

Zwei weitere versuchte Geldübergabe lohnen sich noch zu erzählen: Im Januar 1994 lotste Dagobert den Geldboten zu einem stillgelegten Bahngleis und einer selbst gebauten und auf eine Schiene montierte Lore. Mittels Elek­tromotor steuerte Funke das Gefährt mit dem Lösegeld zu seinem Versteck. Beinahe hätte es dann doch noch funktioniert. Beinahe. 50 Meter vor dem Ziel entgleiste die „Eisenbahn“.

Fast zwei Jahre dauerte es, bis der arbeitslose Lackierer in einer Telefonzelle in Berlin gestellt wird. Als sein „Meisterstück“ beurteilte Funke selbst einmal ein Mini-U-Boot, das er auf dem Wannsee einsetzen wollte. Das Geld aufgenommen, sollte es abtauchen, losfahren und am Zielort zwei Bojen steigen lassen. Nur zum Einsatz kam es dann doch nicht.

Reporter hetzen der Polizei hinterher

Wie die Polizei dem Erpresser hinterherhetzte, so hetzten wir Reporter bei Geldübergaben der Polizei hinterher – auf der Jagd nach News oder dem Foto von der Festnahme. Das war ein bisschen wie bei einem sportlichen Wettstreit.

Bestraft wurde Funke in den Folgejahren gleich doppelt. Erst ging er für rund sechs Jahre in Haft (ein Drittel der Strafe war ihm erlassen worden), dann irgendwann später noch ins Dschungelcamp. „Irgendwann kriegen wir sie alle“ , hatte Chef-Fahnder Mike Daleki während der Ermittlungen gern gesagt – und oft genug ein müdes Lächeln dafür ertragen müssen. Am Ende hat er recht behalten.