Hamburg. Schüler können zu viele schwache Leistungen streichen, Allgemeinbildung leidet. Hamburgs Schulsenator widerspricht.

An ihren Schulen machen in jedem Jahr mehr als 5000 junge Menschen Abitur: Jetzt haben die Schulleiter der Hamburger Gymnasien davor gewarnt, dass die Anforderungen zur Zulassung zum Abitur und die Prüfungen es den Schülern zu leicht machen und die Allgemeinbildung leidet.

„Die Abiturregelungen tolerieren zu viele schwache Leistungen und unterlaufen so den Anspruch an allgemeine Bildung“, heißt es in einem Positionspapier der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS). In Hamburg müssen Abiturienten nur die Noten von 32 Oberstufenkursen für die Zulassung zum Abitur einbringen, in Brandenburg sind es 42. Wenn weniger Kurse „zählen“, können mehr schwache Leistungen gestrichen werden.

Bestimmte Fächer werden weniger gewählt

Außerdem führten die Bestimmungen dazu, dass „bestimmte Fächer weniger gewählt werden und damit Bildungsangebote nicht zustande kommen, die gerade für die besten unserer Schüler von Interesse wären“. Dazu zählten Chemie, Physik, Musik und die zweite Fremdsprache. Die Schulleiter sind nicht gegen das bundesweite Zen­tralabitur, kritisieren aber die „Tendenz zur Drei-Fächer-Schule: Deutsch, Englisch und Mathematik“.

Leitartikel: Hauptsache Abitur?

Die Anforderungen des Zentralabiturs „führen, um gute Prüfungsergebnisse auch in der Breite sicherzustellen, zu einer problematischen Reduktion der Unterrichtsinhalte“, schreiben die Schulleiter. Sie fordern, die Zahl der einzubringenden Kurse heraufzusetzen und weniger Kurse auf niedrigerem Niveau zuzulassen sowie die Leistungsanforderungen zu schärfen.

Schulsenator Ties Rabe (SPD) kündigte an, „die vielen neuen Denkanstöße“ diskutieren zu wollen. „Grundsätzlich werde ich darauf achten, dass das Abitur keinen Millimeter leichter wird. Die Anforderungen an Hamburgs Schüler sind mit den neuen bundesweiten Abituraufgaben eher verschärft worden“, sagte Rabe.

Zwölfseitiges Positionspapier

Dabei ist es ist erst knapp zwei Monate her, dass Schulsenator Ties Rabe (SPD) eine positive Bilanz des Abiturs 2018 zog. „Hamburgs Abiturienten haben auch unter den Rahmenbedingungen des bundesweiten Aufgabenpools das Abitur gut bewältigt“, sagte Rabe. Das hamburgweite Zentralabitur in fast allen Fächern sei ein wichtiger Baustein, um die Qualität des Abiturs zu sichern und um die Noten vergleichbarer und gerechter zu machen.

Auch die Schulleiter der Hamburger Gymnasien bescheinigen den Abiturienten durchaus Erfolge. „Die inhaltliche Steuerung des Zentralabiturs und die Qualitätskontrollen zeigen, dass sich die im Hamburger Abitur erbrachten Leistungen eher verbessert haben. Die Schülerinnen und Schüler erbringen innerhalb der Abiturprüfungen beachtliche Leistungen“, heißt es in einem zwölfseitigen Positionspapier der Vereinigung der Leistungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS). Dann kommt das Aber.

„Tendenz zur Drei-Fächer-Schule“

„Bildung als Element des lebenslangen Lernens beschränkt sich jedoch nicht auf den engen Korridor der in den Prüfungen erbrachten Leistungen. Wir bezweifeln, dass sich diese im schmalen Korridor der Prüfungsanforderungen erbrachten Leistungen als vertiefte allgemeine Bildung im Sinne des Leitbilds der Hamburger Gymnasien generalisieren lassen“, heißt es weiter.

Die Schulleiter kritisieren die „Tendenz zur Drei-Fächer-Schule“, die die Kernfächer Deutsch, Englisch und Mathematik in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Die Kritik schließt die Bewertung ein, dass den Schülern die Erlangung des Abiturs zu leicht gemacht werde. In Hamburg müssen Abiturienten die Noten von 32 Oberstufenkursen einbringen, um zur Prüfung zugelassen zu werden. In Brandenburg sind es 42 Kurse. Wenn weniger Kurse „zählen“, können mehr schwache Leistungen gestrichen werden. Die sogenannten Belegauflagen würden außerdem dazu führen, dass Schüler als schwierig geltende Fächer wie Chemie oder Physik weniger anwählten.

Manche Schüler sind schwer zu motivieren

„Es machen zu viele Schüler mit unterdurchschnittlichen Ergebnissen Abitur“, sagt Christian Gefert, Schulleiter des Marion-Dönhoff-Gymnasiums (Blankenese) und VLHGS-Vorstand. Der Schulpraktiker berichtet von den Verzerrungen, zu denen das jetzige Punktesystem führt. „Es gibt den Schüler, der genau weiß, dass er in seinem Mathe-Kurs nur einen Punkt braucht“, sagt Gefert. Diesen Schüler könnten Lehrer kaum dazu motivieren, im Unterricht mitzuarbeiten.

Etwas abstrakter formuliert, liest sich das im Positionspapier so: „Es muss das Bestreben des Gymnasiums sein, auch den besten seiner Schüler im Regelunterricht gerecht zu werden. Die Möglichkeiten, dies durch Binnendifferenzierung zu tun, stoßen in Anbetracht der Heterogenität der Lern­voraussetzungen und -bereitschaften der einzelnen Schüler an Grenzen.“ Und weiter: „Die derzeitige Situation ist an Gymnasien unbefriedigend.“

Leistungsanforderungen schärfen

Die Schulleiter fordern, die Zahl der einzubringenden Kurse heraufzusetzen, die Zahl der Kurse auf niedrigerem Niveau abzusenken und die Leistungsanforderungen insgesamt zu schärfen. Außerdem solle eine schul­externe Korrektur der Abi-Prüfungen wieder eingeführt werden.

Die Pädagogen halten das Lehrerarbeitszeitmodell von 2003 für nicht mehr zeitgemäß, weil für Lehrer zahlreiche Tätigkeiten hinzugekommen seien, für die kein Zeitkontingent vorgesehen sei. Die VLHGS fordert eine Anpassung des Modells an die Realität, was letztlich die Einstellung von mehr Lehrern bedeutet. Weitere Defizite sehen die Schulleiter, die ihr Papier als Aufforderung zur Diskussion verstehen, in den Bereichen Digitalisierung, Ganztag und selbstverwaltete Schule.

Viele neue Denkanstöße

„Die vielen neuen Denkanstöße sollten jetzt ausführlich und vernünftig diskutiert werden“, sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD) auf Anfrage des Abendblatts. Viele Forderungen seien neu und ungewöhnlich, „beispielsweise die Forderung nach weniger Deutsch, Englisch und Mathe oder die Forderung nach einer Verschärfung des Abiturs“. Rabe mahnt: „Wer über eine andere Bildung, weniger Unterricht in Kernfächern und ein anderes Abitur diskutiert, der muss auch wissen, dass die Zeit der Sonderwege einzelner Bundesländer vorbei ist.“

Er werde, so der Senator, grundsätzlich darauf achten, „dass das Abitur keinen Millimeter leichter wird“. Die Anforderungen an Hamburgs Schüler seien mit den bundesweiten Abituraufgaben „eher verschärft“ worden. „Hamburgs Gymnasien machen sehr gute Arbeit und haben so viele Lehrerinnen und Lehrer wie noch nie zuvor. Sie sind zudem besser ausgestattet als vergleichbare Gymnasien in den Nachbarbundesländern“, sagt Rabe.