Jeder vierte Abiturient besteht die Reifeprüfung mittlerweile mit einer Eins vor dem Komma. Die Gründe sind Hamburg-spezifisch.
Viele Hamburger wundern sich seit Längerem über die Entwicklung beim Abitur: Jeder vierte Abiturient besteht die Reifeprüfung mittlerweile mit einer Eins vor dem Komma. 159 Schülerinnen und Schüler haben in diesem Jahr sogar die Traumnote 1,0 geschafft. Früher, so meinen sich die Älteren zu erinnern, wurden die guten Noten nicht so inflationär vergeben. So weit das Bauchgefühl.
Es ist schon ein einzigartiger Vorgang, dass sich nun die Schulleiter der Hamburger Gymnasien selbst zu Wort melden, weil sie sich um die Qualität gymnasialer Bildung sorgen und glauben, dass Hamburg es den Abiturienten zu leicht macht.
Zentralabitur in Hamburg: War es früher schwerer?
Schulsenator Ties Rabe hat immer wieder klargestellt, dass er keineswegs Leistungsabstriche beim Abitur hinnehmen will. Tatsächlich weitete der Sozialdemokrat das Zentralabitur in Hamburg aus und stieß als damaliger Vorsitzender der Kultusministerkonferenz (KMK) die Einführung bundesweit vergleichbarer Abituraufgaben an. So soll sichergestellt werden, dass der Leistungsstandard trotz der größer gewordenen Abiturientengruppe nicht sinkt. Schließlich, so die Logik, müssen alle durch die gleiche Prüfung hindurch.
Zwar sind die Aufgaben und die Bewertung der Schülerleistungen in der Praxis noch nicht völlig vergleichbar. Aber die Standards, das muss man anerkennen, sind für alle gesetzt. Und die Qualitätskontrollen zeigen, dass sich die im Hamburger Abitur erbrachten Leistungen eher verbessert haben. Wer also glaubt, die Abituraufgaben 2018 seien eben so mal einfach zu bewältigen, der sollte sich die Anforderungen im Detail anschauen. Der Anspruch ist keineswegs niedrig. War die Abiturprüfung also früher wirklich schwerer?
Schüler müssen weniger Kurse einbringen
Mit ihrer klugen Analyse haben die Gymnasialleiter das Problem und seine Ursachen sehr differenziert beschrieben. Vergleichsweise leicht ist das Hamburger Abitur, weil die Schüler deutlich weniger Kurse ins Abitur einbringen müssen als ihre Altersgenossen in einigen anderen Ländern und entsprechend mehr schwache Leistungen wegstreichen können. Das hatte das Abendblatt bereits berichtet.
Die Schulleiter beklagen aber auch, dass die Abiturregelungen zu viele schlechte Leistungen tolerieren („Unterkurse“). Was mindestens ebenso schwer wiegt: Um gute Prüfungsergebnisse auch in der Breite der Schülerschaft sicherzustellen, konzentriere sich der Unterricht stark auf bestimmte Lerninhalte.
Ist der Stoff abiturrelevant?
Es ist tatsächlich so: Hamburgs Schüler kommen auch deshalb so gut durchs Abitur, weil sie in der Oberstufe systematisch auf die Themen, Aufgabenstellungen und Bearbeitungstechniken der Prüfungen vorbereitet werden. In den letzten beiden Schuljahren wird der Stoff mit Ansage immer wieder sortiert in „abiturrelevant“ oder „nicht abiturrelevant“. Raum für Exkurse bleibt da kaum. Das bedeutet unterm Strich: Hamburgs Abiturienten werden auf einem recht schmalen Wissenskorridor extrem ergebnisorientiert zum Ziel geführt.
Einem Leitbild vertiefter allgemeiner Gymnasialbildung, die die Schüler zum freien, fächerübergreifenden und manchmal überhaupt nicht zweckgerichteten Denken erziehen soll, wird das nicht immer gerecht.
Die Schulleiter wollen ihr Thesenpapier als konstruktiven Ansatz verstanden wissen. Sie laden die Stadt ausdrücklich zur Diskussion über ihre Positionen ein. Dieses Angebot sollte die Stadt unbedingt annehmen.