Hamburg. Der Unfall zweier Taxis auf dem Ballindamm veränderte das Leben von Heike Braasch für immer. Sie verlor ihr einziges Kind.

Den Ort, der ihr Leben für immer veränderte, hat sie nie wieder besucht. „Ich könnte den Anblick nicht ertragen“, sagt Heike Braasch. Am 4. Mai 2017 verlor sie am Ballindamm ihr einziges Kind.

Ein betrunkener Dieb, inzwischen zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt, hatte sich mit über 140 km/h in einem gestohlenen Taxi in ein anderes Taxi gebohrt. Der Taxifahrer und ein zweiter Fahrgast überlebten mit schwersten Verletzungen, John Braasch war sofort tot.

Viele Monate hatte sie nicht die Kraft, über die Tragödie zu sprechen. Und auch im Gespräch mit dem Abendblatt bricht sie immer wieder in Tränen aus: „Ich vermisse John so sehr.“ Die beiden waren ein starkes Team. Der Vater verließ die Familie kurz nach Johns Geburt, entsprechend eng war die Beziehung von Mutter und Sohn, die beiden verreisten viel: „John hatte mir zum Geburtstag noch eine Reise nach Venedig geschenkt. Er wollte mir die Stadt abseits der Touristenströme zeigen. Leider haben wir den Urlaub immer wieder verschoben.“

Sohn verbrachte Zeit in einem Kloster

Ihr Sohn habe „1000 Dinge im Kopf gehabt und doch alles intensiv“, sagt Heike Braasch. Mit 14 wurde John mit einer Schülergruppe von einer Gang zusammengeschlagen. „Das passiert mir nie wieder“, versprach er seiner Mutter und trainierte fortan bis zu fünf Mal in der Woche Thai-Boxen. Mönche in einem Kloster in Bangkok, wo John nach seinem Abitur am Gymnasium Eppendorf ein paar Wochen verbrachte, stachen sein erstes Tattoo.

Ein paar Jahre später glich sein Körper einem Gesamtkunstwerk. Doch keine Tätowierung entstand aus einer Bierlaune – John lernte sogar eigens das Tattoo-Handwerk in einem Studio. Als Künstler war er gefragt, auch Prominente ließen sich von ihm malen. Nebenbei jobbte er als Dressman und eben als Barkeeper in der Ciu-Bar am Ballindamm, wo er nach seiner Schicht in jener Mainacht um 4:15 Uhr mit seinem Freund und Kollegen Phillip Z. ins Taxi stieg, genau in dem Moment, als der Autodieb Richtung Jungfernstieg raste.

Heike Braasch lebt in Travemünde in einer kleinen Wohnung. In einer Holzkiste, in der ihr Sohn einst seine Malutensilien verstaute, hat sie viele Erinnerungsstücke an John aufbewahrt. Skizzen, Bilder, Bücher. Aber sie hat nur selten die Kraft, die Kiste zu öffnen. Halt gibt ihr eine kirchliche Trauergruppe, geleitet von dem Pastor, der John auch beerdigte.

Weisser Ring hilft Braasch in juristischen Dingen

Dankbar ist sie dem Weissen Ring, die Opferschutzorganisation vermittelte ihr auch den Anwalt Gregor Maihöfer, der ihr in juristischen Dingen beisteht. Auf Intervention des Anwalts musste sie nicht beim Prozess gegen den Todes-Raser aussagen: „Ich hätte das nicht verkraftet. Für mich war es besser, wenn der Mann, der mir meinen Sohn genommen hat, eine anonyme Figur bleibt.“ Dieses Feingespür erlebte Heike Braasch nicht immer.

Als sie sich bei der Berufsgenossenschaft erkundigen wollte, mit welchen Leistungen sie rechnen dürfte, sei der Sachbearbeiter sofort pampig geworden. Auch bei der Versicherung des gestohlenen Taxis konnte von der in diesen Fällen viel zitierten „unbürokratischen Lösung“ keine Rede sein; seit Monaten strebt Maihöfer vergebens nach einer außergerichtlichen Einigung: „Ich habe viele solcher Fälle in den vergangenen Jahren betreut. Aber so eine Verweigerungshaltung habe ich noch nie erlebt.“

Täter soll 20.000 Euro Schmerzensgeld zahlen

Wochenlang war sie in Malente in einer Klinik, die sich auf traumatisierte Patienten spezialisiert hat. Das Landgericht verurteilte den Täter zwar zur Zahlung eines Schmerzensgelds von 20.000 Euro, ein letztlich wohl hoffnungsloses Unterfangen, da der mittellose Litauer diese Schuld während seiner Haft wohl niemals begleichen kann.

Einen Tag vor dem Unfall hatten sie noch telefoniert, John kündigte ihr an, dass er künftig im Ciu weniger arbeiten wolle. „Ich hatte ihm oft gesagt, du musst die Zahl deiner Schichten runterfahren, sonst bist du zu müde für deine Kunst“, erzählt die Mutter.

Begraben hat sie ihren Sohn auf einem Friedhof in Travemünde, eine kleine Staffelei ziert das Grab. Bei ihren täglichen Besuchen lernte sei einmal ein junges Pärchen kennen, das sich mit John in Thailand angefreundet hatte: „Die beiden sind bei ihrem Deutschland-Besuch extra nach Travemünde gekommen, um Johns Grab zu sehen. Das muss man sich mal vorstellen.“ Andere Freunde pflegen die Facebookseite von John Braasch, viele haben auf dieser Seite kondoliert.

Ein paar Wochen vor seinem Tod gab John Braasch ein Radio-Interview. „Ich habe so ein glückliches Leben“, sagt der Künstler dem Reporter. Das Gespräch endet mit den Worten: „Selbst wenn mir jetzt etwas passieren würde, würde es mir nichts ausmachen.“

Die ausführliche Geschichte über den Taxiunfall vom Ballindamm lesen Sie in der Freitag-Ausgabe des Abendblatts.