Betroffene von Straftaten verdienen mehr Schutz. Auch ein Einbruch kann traumatisieren.
Eine alleinerziehende Mutter verliert bei einem Unfall ihr einziges Kind: Der 22-Jährige stirbt als Fahrgast in einem Taxi – ein Straftäter raste auf der Flucht vor der Polizei mit einem gestohlenen Auto mit mehr als 140 km/h in den Wagen. Die Mutter, völlig traumatisiert, muss in eine psychiatrische Klinik, steht nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes auch wirtschaftlich vor den Trümmern ihrer Existenz. Und soll dennoch die Beerdigungskosten aus eigener Tasche zahlen.
Was nach einem dramatischen „Tatort“-Plot klingt, gehört zur Realität im deutschen Rechtsstaat, geschehen nach dem Taxi-Drama vom Ballindamm, wo der Täter jüngst wegen Mordes lebenslänglich erhielt. Bundesweit sorgte das Urteil für Schlagzeilen, das Leid der Opfer und ihrer Angehörigen, die seit Monaten mit Versicherungen um Entschädigungen kämpfen, hat sich aus dem medialen Fokus schon wieder verabschiedet.
Schmerzensgeld für seelisches Leid
Dabei zeigt der Fall wie kaum ein anderer, wie viel in Deutschland noch in Sachen Opferschutz zu tun ist. Der Gesetzgeber hat zwar manches verbessert. Hinterbliebene haben zum Beispiel endlich Anspruch auf Schmerzensgeld für seelisches Leid. Aber das kann nur eine Etappe auf dem Weg zu einem besseren Opferrecht sein.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass ein noch so hohes Schmerzensgeld oft nur als kleines Pflaster für eine klaffende Wunde taugt. Studien zeigen, dass mehr als die Hälfte der Opfer von Vergewaltigungen unter psychischen Störungen leidet – oft ihr ganzes Leben bis hin zu Depressionen und Suchtkrankheiten.
Das Abendblatt durfte in den vergangenen Wochen Opfer von Straftaten besuchen, immer in Begleitung von ehrenamtlichen Betreuern des "Weissen Rings". Seit mehr als 40 Jahren setzt sich die Organisation für Opfer von Verbrechen und ihre Angehörigen ein.
Wer mit Betroffenen spricht, spürt, dass die Schwere des Delikts kaum als Gradmesser für erlittenes Leid taugt. Das Opfer eines Einbruchs kann genauso traumatisiert sein wie die Schwester nach dem Mord an ihrem Bruder. Wer im Park überfallen wurde, traut sich oft monatelang nicht mehr auf die Straße, auch wenn er nur ein paar Euro einbüßte. Wer bei einem Online-Dating-Portal einem Betrüger aufsaß, verliert mehr als nur sein Geld. Er traut sich nicht, über seinen Fall zu reden – aus lauter Angst, auch noch zum Gespött zu werden. Der Weiße Ring kennt Fälle, wo alte Frauen, die an einen Enkeltrickbetrüger alles verloren haben, sich aus lauter Scham verarmt zurückziehen. Deshalb kümmern sich die Betreuer ebenfalls um Betroffene, die keine Strafanzeige stellen möchten. Sie begleiten auch dann Opfer von Vergewaltigungen in die Rechtsmedizin, damit Beweise gerichtsfest gesichert werden können.
Doch oft genug geht es für die Betreuer schlicht ums Kümmern. Opfer erleben, dass Verwandte und Freunde ihr Leid irgendwann nicht mehr hören wollen, der Grat zwischen Verständnis und einem demütigenden „Stell dich mal nicht so an“ bleibt schmal.
Und noch eines ist wichtig für die Opfer: Sie müssen sich darauf verlassen können, dass der Rechtsstaat alles daransetzt, den Täter zu ermitteln und zu bestrafen. Es geht dabei nicht um Rache, nicht um Auge um Auge, nicht um Zahn um Zahn. Nein, es geht um den tiefen Wunsch nach Gerechtigkeit als Ausgleich für erlittenes Leid. Eine personell gut ausgestattete Polizei, eine effektiv arbeitende Justiz bleiben daher Opferschutz im besten Sinn.