Hamburg. Hamburgs Polizeipräsident Meyer freut sich über “neues Kapitel“ in der Untersuchung zur Struktur der linksautonomen Szene.

Es war ein über Wochen sorgsam vorbereiteter Schlag. Um 6 Uhr morgens gab Jan Hieber, Leiter der Sonderkommission „Schwarzer Block“ den Befehl zum Zugriff. Dann schlugen 583 Beamte in Hamburg und in sieben weiteren Bundesländern zu. Die Razzia galt erstmals dem militanten Kern der linksautonomen Szene. Vollstreckt wurden 25 Durchsuchungsbeschlüsse. Die Aktion steht im Zusammenhang mit dem gewaltsamen Aufeinandertreffen von G-20-Gegnern und Polizei am Rondenbarg in Bahrenfeld während des Gipfels. Bei der Razzia am Dienstagmorgen ging es nicht darum, Täter zu überführen. Gegen die 22 von den Beschlüssen betroffenen Personen wird bereits wegen besonders schweren Landfriedensbruchs ermittelt. 20 von ihnen waren bereits als linksextremistische Gewalttäter bekannt.

Leitartikel: Vertrauen zurückgewinnen

„Wir haben mit der Aktion ein weiteres Kapitel aufgeschlagen“, sagt Polizeipräsident Ralf Martin Meyer über die Razzia. „Diesmal geht es darum, die Hintergründe und Strukturen offenzulegen. Wir sind hier näher an der militanten autonomen Szene dran, als das bisher der Fall war.“ Denn der „Ermittlungskomplex Rondenbarg“ ist besonders. Anders als bei den Krawallen am Schulterblatt, war am Rondenbarg nach Erkenntnissen der Ermittler ausschließlich eine linksextremistische Klientel dabei. Besonders ist auch: Die linke Szene will ihn zu einem Symbol machen. Die Polizei erklärt hingegen, ihr gehe es um „nüchterne Strafverfolgung“.

Am 7. Juli eskalierte
die Gewalt: Vermummte
warfen
Pflastersteine auf
Polizisten, hier im
Schanzenviertel
Am 7. Juli eskalierte die Gewalt: Vermummte warfen Pflastersteine auf Polizisten, hier im Schanzenviertel © Reuters

Soko-Leiter Hieber ließ nach der Razzia noch einmal den 7. Juli, den Tag, an dem es zu der Auseinandersetzung am Rondenbarg kam, Revue passieren. Um 6.28 Uhr verließen 150 bis 200 Personen geschlossen das Camp am Altonaer Volkspark. Sie waren überwiegend schwarz gekleidet und teilweise bereits mit Sonnenbrillen, Mützen und Schals vermummt“, sagt Hieber. Während des Marsches hätten Teilnehmer Pflastersteine aufgenommen sowie eine Baustelle und eine Bushaltestelle zerstört.

Demonstration in der Schanze nach G20-Razzia

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    Dann sei es im Bereich Schnackenburgallee/Höhe Rondenbarg zu ersten Steinwürfen auf Polizisten gekommen. Als der Schwarze Block gestoppt werden sollte, seien Polizisten mit mindestens vier Böllern und 14 Steinen beworfen worden. Der Rest ist bekannt. Die Polizei ging vor. Die Krawallmacher flohen. 14 wurden verletzt, als ein Geländer unter ihrer Last zusammenbrach.

    Schwerer Landfriedensbruch

    Dann kam Hieber zum Punkt. Er sagte über den Schwarzen Block: „Es handelte sich, lassen Sie mich das einmal so klar sagen, in seiner Gesamtheit um einen gewalttätig handelnden Mob.“ Die Polizei stuft die ganze Aktion laut Hieber nicht als Demonstration, sondern als „militante Aktion“ ein, „die nicht zufällig stattfand und in die niemand zufällig hineingeriet“. Damit, so die Polizei, die sich auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beruft, hätten sich alle Beteiligten, unabhängig vom individuellen Handeln, des schweren Landfriedensbruchs schuldig gemacht.

    Gestern Abend
demonstrierte eine
linksextreme Gruppe
im Schanzenviertel
gegen die Razzia –
der Protestzug war
nach Polizeiangaben
zunächst nicht
angemeldet
    Gestern Abend demonstrierte eine linksextreme Gruppe im Schanzenviertel gegen die Razzia – der Protestzug war nach Polizeiangaben zunächst nicht angemeldet © Michael Arning

    Mittlerweile sind 73 Personen bekannt, die beim Schwarzen Block im Rondenbarg dabei waren. Von 29 Personen hat die Polizei Videomaterial, das sie unmaskiert zeigt. 26 von ihnen sind noch nicht identifiziert. Am 18. Dezember, so die Ankündigung der Polizei, soll eine groß angelegte Öffentlichkeitsfahndung mit den Bildern erfolgen.

    Der Rote Aufbau – kommunistisch orientiert

    In Hamburg wurde in Stellingen die Wohnung von Halil S. durchsucht, den Behörden zufolge eine der führenden Personen der linksextremen Szene in Hamburg. Laut Verfassungsschutz gehört er zur gewaltorientierten Gruppierung „Roter Aufbau Hamburg“, für die er auch unter dem Pseudonym „Deniz Ergün“ in der Öffentlichkeit als Sprecher auftritt. Er war damals am Rondenbarg Teil des Schwarzen Blocks und wurde verletzt, als ein Geländer in die Tiefe stürzte. Bei der Soko „Schwarzer Block“ geht man davon aus, dass er maßgeblich an den Planungen für das Camp beteiligt war, aus dem der Schwarze Block loszog.

    Weitere Täter identifizieren

    „Bei allen Personen, bei denen wir heute durchsucht haben, ging es uns nicht darum, noch weitere Beweise zu finden“, sagt Hieber. Man wisse, dass sie Teil des Schwarzen Blocks waren. „Die Durchsuchung hatte das Ziel, für die kommenden Anklagen die Tatbeiträge der Beschuldigten hinsichtlich von Planung, Vorabsprache und Ausführung der gewalttätigen Ausschreitungen zu ermitteln“, so Hieber. Deswegen hatte man es vor allem auf elektronische Datenträger abgesehen. Unter anderem wurden 26 Laptops und Computer, 35 Handys und mehrere USB-Sticks sichergestellt. Die Auswertung wird laut Hieber einige Zeit in Anspruch nehmen.

    In anderen Bundesländern hatte die Polizei nicht nur 21 Wohnungen, sondern auch zwei Zentren der Szene in Göttingen und Stuttgart durchsucht. Dabei kam es in Göttingen zu einer Festnahme, als ein Mann die Aktion störte. Hieber betonte, dass die Durchsuchung der linken Zentren sich nicht gegen diese selbst richtete.

    Erfolg für die Polizei

    Zu einer möglichen Rolle der Roten Flora, die am Dienstagmorgen nicht zu den durchsuchten Gebäuden gehörte, wollte Hieber nichts Konkretes sagen. „Dazu möchte ich mich nicht äußern“, so der Soko-Leiter. Er wolle nichts zu einem „laufenden Verfahren“ sagen. „Das gehört zurzeit in den Sonderausschuss“, so Hieber. „Wenn es etwas gibt, was in dem Zusammenhang herauskommt, dann darf man sicher sein, dass die Rolle der Polizei bei der Strafverfolgung zum Tragen kommt“, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer.

    Die Aktion selbst kann die Polizei als Erfolg verbuchen. Dabei wurde auch klar, dass bei den rund 3000 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit G-20-Ausschreitungen die Auswertung des verfügbaren Bildmaterials die tragende Säule ist. Man habe bereits mehrere Hundert Beschuldigte identifiziert, so der Polizeipräsident, aber erst jetzt sei ein „Analysetool“ für die systematische Bildauswertung fertig geworden. Deshalb, so Ralf Martin Meyer, gehe man davon aus, dass die Zahl der identifizierten Täter „kontinuierlich steigen wird“.