Justiz und Polizei zeigen Stärke in der G-20-Aufarbeitung. Die Politik muss folgen
So erschütternd die Bilder der Ausschreitungen während des G-20-Gipfels waren, als die Polizei für einige Stunden die Kontrolle verloren zu haben schien, so bemerkenswert ist die Konsequenz, mit der sich die Behörden seither um die Strafverfolgung der Täter bemühen. Diese Konsequenz mag auch dazu dienen, nach Schwäche wieder Stärke zu zeigen – vor allem ist sie wichtig. Denn es geht darum, das Vertrauen der Bürger in den Staat, das während des Gipfels teilweise verloren ging, zurückzugewinnen. Und diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die in jenen Tagen im Juli meinten, sich über das Gesetz stellen zu dürfen, weil sie mit dem Gipfel, mit seinen Protagonisten oder gleich mit dem ganzen politischen System nicht einverstanden sind.
Die Zwischenbilanz: Mit der gestrigen Verurteilung eines 30 Jahre alten Randalierers zu drei Jahren und drei Monaten Gefängnis – der härtesten Strafe bisher – haben die Gerichte insgesamt 24 Urteile gegen G-20-Täter gesprochen. In allen Fällen gab es Verurteilungen, siebenmal ohne Bewährung. Das bedeutet, dass Richter die Straftaten, die den Angeklagten zur Last gelegt wurden, für hinreichend bewiesen hielten. Die Polizei wertet Zehntausende Videos und andere Dateien aus. Mehrere Hundert Beschuldigte sind schon namentlich bekannt. Mittlerweile gibt es bereits 3000 Ermittlungsverfahren.
Die gestrige Großrazzia in acht Bundesländern ist ein weiterer Baustein dieser Strafaufklärung. Ziel war es, weitere Beweise zu sichern, an den Kern der autonomen Szene heranzukommen und insbesondere die gewalttätigen Ausschreitungen am 7. Juli am Rondenbarg aufzuklären.
Klar ist: Jeder Vorwurf gegen Polizisten, mit übermäßiger Gewalt vorgegangen zu sein, muss in jedem einzelnen Fall aufgeklärt werden. Aber es ist an der Zeit, die politische Debatte wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Für die gewalttätigen Ausschreitungen während des G-20-Gipfels sind die Randalierer verantwortlich, die brandschatzend über die Elbchaussee und durch das Schanzenviertel zogen. Verantwortung tragen außerdem diejenigen, die im Vorfeld dazu aufgerufen haben, den Gipfel – auch mit Gewalt – so massiv wie möglich zu stören.
Ihre ausdrückliche Absicht war es, die Polizei herauszufordern. Deshalb ist es schon mehr als scheinheilig, wenn gerade sie es sind, die im Nachhinein – unterstützt unter anderem von der Linken – am lautesten die Gewalt beklagen, mit der die Polizei die gewalttätigen Ausschreitungen einzudämmen versucht hat. Die Linken-Europaabgeordnete Sabine Lösing kritisiert, die Razzia diene „ausschließlich der Kriminalisierung von legitimem Protest“. Kennt sie die Bilder der schwarz vermummten Gestalten, die durch die Stadt marodieren, Autos anzünden und das Schanzenviertel in den Ausnahmezustand versetzen? Kriminalisierung? Von legitimem Protest?
Kritisch fragen lassen müssen sich die Behörden allerdings, warum sie ein linksautonomes Zentrum in Göttingen durchsuchen ließen, nicht aber die Rote Flora in Hamburg – wenn es darum ging, „Strukturen aufzuhellen“. Eine befriedigende Antwort gab die Polizeiführung gestern nicht. So bleibt der Eindruck, dass man sich aus politischen Gründen nicht in die Flora wagte.
Neben der strafrechtlichen ist übrigens auch die politische Aufarbeitung des Gipfelgeschehens nötig. Zu wünschen wäre, dass diese in Hamburg endlich auch mit der gleichen Konsequenz betrieben wird.