Hamburg. CDU-Familienpolitiker gegen SPD. Nach vier Jahren großer Koalition haben sich die Gemeinsamkeiten erschöpft.
Marcus Weinberg und Matthias Bartke sind auf der Zielgeraden ihres Wahlkampfs. Zwischen den Terminen treffen sie sich zum Streitgespräch im Restaurant Vito an der Grenze von Ottensen zu Othmarschen.
Herr Weinberg, fangen wir nett an: Was schätzen Sie an Ihrem Kontrahenten?
Marcus Weinberg: Ich schätze Herrn Bartke als engagierten Politiker und Wahlkämpfer mit Herz für die Themen, die er bewegen will. Ich habe eine hohe Wertschätzung für ihn.
Und Sie, Herr Dr. Bartke?
Matthias Bartke: Ich schätze Herrn Weinberg ebenfalls – wir haben in den vergangenen vier Jahren gut zum Wohle unseres Wahlkreises zusammengearbeitet. Herr Weinberg hat wie ich viel Humor.
Bevor wir uns in den Armen liegen – bei welchen Themen bekommen Sie sich schnell in die Haare?
Bartke: Die Große Koalition war erfolgreich, sie war eine der erfolgreichsten Regierungen, die wir je hatten. Aber jetzt sind die Gemeinsamkeiten aufgebraucht, gerade in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Weinberg: Der Erfolg der Union in den vergangenen Jahren war es, dass wir stets einen Ausgleich zwischen Wirtschaftsinteressen und der Weiterentwicklung gesellschaftspolitischer Fragen hinbekommen haben. Da haben wir auch in der Großen Koalition vieles vorangebracht. Wir müssen zukünftig aber stärker die Frage bedenken, was wir dem Mittelstand noch zumuten können. Schon jetzt mussten wir die SPD mit unerfüllbaren Forderungen bremsen.
Herr Weinberg, einige sozialdemokratische Themen feiern Sie auf Ihrer Website als Erfolg, beispielsweise das Entgelttransparenzgesetz. Viele Parteifreunde sehen das anders ...
Weinberg: Frauen haben damit ein Instrument an die Hand bekommen, Lohnungleichheit zu hinterfragen. Gleichwertige Arbeit heißt gleicher Lohn. Die Urfassung des Gesetzes der SPD hätte den Mittelstand bürokratisch überfordert. Wir mussten korrigierend eingreifen.
Bartke: Unsere Familienpolitik war extrem erfolgreich, was maßgeblich an den beiden SPD-Ministerinnen gelegen hat. Ich habe festgestellt, dass die CDU stets gebremst hat, ob beim Mindestlohn oder dem Rentenpaket. Ich vermisse bei der Union ein Zukunftskonzept, sie wurschtelt sich nur durch.
Wo ist denn die Zukunftsvision der SPD?
Bartke: Wir waren und sind eine Programmpartei, wir diskutieren intensiv und mit Hunderten von Anträgen unsere Programmatik. Bei der CDU wird doch vieles einfach nur abgenickt.
Weinberg: Ich war selbst Mitglied unserer Programmkommission, da wurde nichts abgeknickt, sondern intensiv diskutiert. Ich wundere mich schon, wenn Herr Bartke ausgerechnet ausschließlich die Familienministerinnen lobt, die am Ende vor allem eines geschaffen haben: 124 neue hoch dotierte Stellen. Die familienpolitischen Erfolge haben wir gemeinsam erarbeitet.
Was ist Ihnen in der kommenden Legislaturperiode wichtig?
Weinberg: Ich bin für mehr Freiheit für Familien, mehr Bildungsgerechtigkeit für Kinder und mehr Solidarität gegenüber denjenigen Familien, die es schwer haben. Aber wir müssen zunächst Wohlstand erwirtschaften, damit wir etwas verteilen können. Diese Erkenntnis vermisse ich bei der SPD. Politik soll Rahmen setzen, aber nicht mit Vorgaben Familienmodelle vorgeben. Kampfbegriffe wie Herdprämie oder Rabenmutter helfen uns jedenfalls nicht weiter.
Bartke: Ich halte das Betreuungsgeld der Union für den völlig falschen Weg, weil es Frauen die Rückkehr in den Job verbaut. Das ist ein falsches Familienmodell. Kinder sollten früh in den Kitas gefördert werden. Mir ist eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig. Noch immer stecken viele Frauen in einer Teilzeitfalle. Wenn die Kinder groß sind, können sie nicht in Vollzeit zurück. Wir brauchen daher ein Rückkehrrecht in Vollzeit. Für Großunternehmen ist das kein Problem, für kleinere müssen wir Wege finden, dass es funktioniert.
Die Große Koalition hat in den vergangenen Jahren das große Sowohl-als-auch gelebt. Beide Seiten haben ihre Wünsche finanziert bekommen, die Union die Mütterrente, die SPD die Rente nach 45 Beitragsjahren. Es war eine Zeit der Wohltaten.
Bartke: Die Maßnahmen waren wichtig für die soziale Gerechtigkeit. Die Mütterrente hat geholfen, Ungerechtigkeiten zu mildern, und die Rente nach 45 Beitragsjahren hat reale Rentenkürzungen verhindert. Wir haben die Rentenpolitik flexibler gemacht.
Und teurer ...
Bartke: Na ja, die Reformen haben neun Milliarden Euro gekostet bei einem Gesamtrentenvolumen von 250 Milliarden.
Weinberg: Ich warne davor, in der Rentenpolitik zu viel Geld in der Zukunft zu verteilen. Wir sollten jetzt nicht Dinge versprechen, die wir morgen nicht mehr finanzieren können.
Bartke: Wir sollten aber auch nicht ständig die Menschen mit einer Debatte über die Rente mit 70 verunsichern, wie es die Union macht.
Die Kanzlerin hat die Rente mit 70 doch gerade abgeräumt.
Bartke: Sie hat auch versprochen, dass sie keine Maut einführt. Die Halbwertszeit ihrer Versprechen reicht nicht weit.
Weinberg: Unsere Bundesvorsitzende hat sich zu dem Thema klar geäußert, damit hat sich das Thema Rente mit 70 erledigt.
Mir scheint, dass sich die Gemeinsamkeiten nach vier Jahren erschöpft haben – zumindest im Wahlkampf ...
Weinberg: Es war zuletzt sehr ermüdend in der Großen Koalition. Wir brauchen im Land dringend einen frischen Impuls für die Themen Digitalisierung, gesellschaftlicher Zusammenhalt, demografischer Wandel und starke Wirtschaft. Und: Große Koalitionen stärken die Ränder.
Das klang nach einem Plädoyer für Jamaika.
Weinberg: Jeder kämpft für sich. Aber ich finde wichtig, dass wir eine Vision für dieses Land entwickeln. Die Menschen haben Ängste, da müssen wir mehr Sicherheiten, Zukunftsvisionen und Aufstiegsperspektiven geben.
Bartke: Eine Große Koalition sollte die Ausnahme sein, deshalb würde ich mich über eine Regierung unter Martin Schulz freuen. Es wäre doch eine absolute Neuigkeit, dass gesellschaftliche Impulse ausgerechnet von der CDU kommen sollen.
Weinberg: Wenn ich mir Ihre Impulse anschaue, werde ich skeptisch: Die SPD will Beitragsfreiheit für Kitas durch den Bund finanzieren, das kostet Milliarden. Wichtiger als Beitragsfreiheit ist für uns die Qualität der Betreuung. Hamburg verfehlt die Qualitätsstandards. Trotzdem finanziert Hamburg auch Besserverdienenden wie mir einen kostenfreien Kitaplatz. Warum stellen Sie nicht zusätzliche Erzieher ein oder bezahlen sie besser?
Bartke: Für uns ist Kita-Beitragsfreiheit ein zentraler Punkt. Da kann das ganze Land von Hamburg lernen, die Beitragsfreiheit ist eine der wichtigsten Errungenschaften unserer Politik. Die Erhöhung der Kita-Gebühren war doch damals ein Sargnagel für den schwarz-grünen Senat. Gerade die Mittelschicht zahlt heute einen Großteil der Steuern, da ist es auch Aufgabe der Allgemeinheit, für die Kosten der Kindererziehung mit aufzukommen.
Weinberg: Stimmt. Die Erhöhung der Beiträge war damals ein Fehler. Beitragsfreiheit ist ein schönes Ziel, aber den Qualitätsausbau halte ich für vorrangig.
Sie beide vertreten Altona. Kann man im Bundestag konkret für den Stadtteil wirken?
Bartke: Wohnraummangel ist ein großes Thema, deshalb forciert der Senat den Wohnungsbau. Um Mieten bezahlbar zu halten, müssen wir die Mietpreisbremse deutlich verschärfen.
Weinberg: Für Altona und Hamburg ist der Ausbau der Infrastruktur zentral. Wir müssen mehr finanzielle Mittel nach Hamburg holen, gerade für den Hafen und die Infrastruktur. Als familienpolitischer Sprecher sehe ich, dass unsere Maßnahmen greifen: Kita-Ausbau, Elterngeld, die Maßnahmen der Integration und der Frauenpolitik kommen in Altona an. Auch die weitere Förderung für den Röntgenlaser beim Desy möchte ich hier nennen.
Bartke: Auch das Beispiel von Teutonia 05 zeigt die Arbeit der Großen Koalition – wir haben den Lärmschutz so verändert, dass dort weiterhin Fußball gespielt werden kann. Wir haben viel für Altona erreicht. Auch der Mindestlohn ist ein Beispiel – der hat mehr als vier Millionen Menschen eine Lohnerhöhung gebracht und schlägt bis in den Stadtteil durch.
Sind Sie eigentlich unglücklich, dass Ihr Spitzenmann Martin Schulz und nicht Olaf Scholz heißt?
Bartke: Scholz ist ein kluger Stratege und wäre zweifellos auch ein hervorragender Kanzlerkandidat gewesen, Martin Schulz ist sicher noch mehr Menschenfänger und steht wie kein Zweiter für Europa.
Wäre Scholz schwerer zu schlagen gewesen?
Weinberg: Das ist spekulativ. Ich befasse mich mehr mit uns. Ich bin froh, dass wir mit Angela Merkel eine anerkannte Kanzlerin in unruhigen Zeiten haben, die ausgleichen und moderieren kann.
Gibt es ein Erlebnis, das Sie motiviert hat, in die Politik zu gehen?
Weinberg: Ich habe mich früh für Politik interessiert. In der Grundschule habe ich mich sogar für Helmut Schmidt mit einem Helmut-Kohl-Anhänger geprügelt. Mich haben Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit schon immer bewegt – als Kind habe ich nicht verstanden, warum es in der S-Bahn eine 1. und 2. Klasse gibt. Ich wollte Dinge verändern, das treibt mich bis heute an. Eine meiner ersten Initiativen war der Bolzplatz an der Königstraße. Der hat die große Welt nicht verändert, aber das Leben für die Kinder dort besser gemacht.
Wie war das bei Ihnen, Herr Bartke?
Bartke: In meinem Elternhaus haben wir immer über Politik diskutiert – mein Vater war Mitglied der CDU und liebte den Widerspruch. Das Thema Gerechtigkeit war für mich immer zentral, deshalb bin ich auch Jurist geworden. Die Qualität einer Gesellschaft bemisst sich in meinen Augen daran, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. Das ist auch der Grund, warum ich im Bundestag Behindertenpolitik mache.
Anders als Herr Weinberg sind Sie nicht über die Liste abgesichert. Was machen Sie, wenn Sie am Sonntag nur zweiter Sieger werden?
Bartke: Sie haben recht. Wenn ich scheitere, würde Altona im Bundestag voraussichtlich nur durch die CDU, die FDP und die AfD vertreten sein. Das ist doch schon Grund genug, mich zu wählen.