Hamburg. SPD-Außenpolittiker trifft auf Haushälter von der CDU. Strittig ist zwischen ihnen vor allem, ob Deutschland mehr Geld an die EU zahlen soll.

Niels Annen (SPD) und Rüdiger Kruse (CDU) haben auf die Abendblatt-Bitte um ein Gespräch schnell und pragmatisch reagiert: Termin und Treffpunkt – das Café Mathilde an der Bogenstraße – haben sie untereinander abgestimmt.

Der kurze Dienstweg zwischen Ihnen scheint ja zu funktionieren. Was schätzen Sie aneinander?

Niels Annen: Ja, der kurze Dienstweg funktioniert. Wir haben für Eimsbüttel und Hamburg gut zusammengearbeitet. Ich habe Rüdiger Kruse als einen durchsetzungsstarken und verlässlichen Kollegen wahrgenommen.

Rüdiger Kruse: Es ist ja der zweite Wahlkampf, den wir mit- und gegeneinander austragen, und er ist wieder sehr fair. Herr Annen und ich sind beide für Hamburg in Berlin, und dazu gehört, dass wir Interessen mitunter gemeinsam vertreten. Da klappt die Absprache gut.

Herr Annen, sind Sie manchmal neidisch auf Herrn Kruse, weil er als Haushaltspolitiker oft Bundesmittel nach Hamburg holt?

Annen: Nein. Ich freue mich, wenn es dadurch möglich wird, dass wir die „Peking“ zurückholen und ein großes Hafenmuseum bekommen – daran war ja auch ein Sozialdemokrat beteiligt. Und ich habe auch einiges erreicht, etwa für das Eidelstedter Bürgerhaus.

Herr Kruse, wenn Herr Annen als Außenpolitikexperte der SPD im TV die Weltlage kommentieren darf, denken Sie dann: Mist, mein Konkurrent profiliert sich?

Kruse: Nein, wir haben unterschiedliche Schwerpunkte. Bei der Erststimme müssen sich die Wähler halt entscheiden, ob ihnen das wichtiger ist, was Herr Annen im Bereich Außenpolitik macht, oder was ich in den Bereichen Haushalt und Nachhaltigkeit mache.

Herr Annen, vor der Wahl 2009 wurde Ihre erneute Kandidatur parteiintern ausgebremst. Im Ergebnis verlor die SPD den Wahlkreis an die CDU und Herrn Kruse. 2013 haben Sie das Direktmandat dann zurückerobert. Wie groß ist Ihre Sorge vor dem erneuten Verlust des Mandats?

Annen: Ich bin überhaupt nicht in Sorge, sondern sehr zuversichtlich, dass ich diesen Wahlkreis wieder gewinnen werde. Sie sagen es ja: Ich habe es ja schon einmal erlebt, dass man aus dem Bundestag ausscheiden und trotzdem sein Leben weiterleben kann.

Haben Sie in den vier Jahren überlegt, die Politik an den Nagel zu hängen?

Annen: Ja, natürlich. Dass ich wieder kandidiere, war mir nicht am Tag nach meiner Niederlage klar. Ich brauchte Zeit und habe unter anderem mehr als ein Jahr in den USA gearbeitet. So habe ich einen Blick von außen auf Deutschland bekommen, aber auch auf meine eigenen Fehler. Ich bin sehr dankbar, dass ich noch einmal die Chance bekommen habe.

Herr Kruse, bei Ihnen ist die Situation umgekehrt. Sie haben neben ihrer Tätigkeit als Abgeordneter noch den gut dotierten Job als Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Das macht Sie unabhängiger, trägt Ihnen aber auch immer mal wieder Kritik ein, nach dem Motto: Muss der noch nebenbei diesen Job machen?

Kruse: Er muss nicht, aber er darf. Entscheidend ist doch, was ich in Berlin leis­te. Ich glaube, dass meine Leistungsbilanz sehr überzeugend ist. Aber der Job bringt auch Unabhängigkeit: Ich habe gegen die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke gestimmt und mich für die Ehe für alle ausgesprochen. Ich kann innerhalb meiner Partei sehr unabhängig sein, weil alle wissen, dass ich nicht von dem Mandat abhängig bin.

Sie haben in der Bürgerschaft Schwarz-Grün erlebt. Ist Ihnen die SPD als Regierungspartner lieber als die Grünen?

Kruse: Das Beste ist, wenn man sein Programm eins zu eins umsetzen kann, daher kämpfen wir auf Bundesebene um die absolute Mehrheit. Die ist bei sechs Parteien im Parlament eher unwahrscheinlich, also müssen wir schauen, wer als Partner zur Verfügung steht. Nur Linke und AfD kommen nicht in Frage.

Herr Annen, wovor sorgen Sie sich mehr: dass die SPD in die Opposition muss oder dass Sie erneut Juniorpartner wird?

Annen: Ich sorge mich, ob wir in Deutschland über die richtigen Themen diskutieren und wünsche mir mehr inhaltliche Auseinandersetzung. Wenn Politiker im Wahlkampf über mögliche Konstellationen sprechen, dann haben die Bürger den Eindruck, dass es schon um Posten geht. Daran beteilige ich mich nicht. Aber ich wünsche mir nicht, dass wir die große Koalition fortsetzen. Für die demokratische Kultur ist es wichtig, dass wir Alternativen haben.

Also lieber kräftige Opposition?

Annen: Wenn ich jetzt Ja sagen würde, fragen Sie als nächstes, ob ich nicht mehr an eine SPD-geführte Regierung glaube. Das ist aber nicht der Fall.

Blicken wir auf die kommende Wahlperiode und Ihre wichtigsten Ziele: Was würden Sie sofort ändern, Herr Annen?

Annen: Ich würde gern strikter werden bei der Rüstungskontrolle und den Export von Kleinwaffen außerhalb der Nato-Länder verbieten. Innenpolitisch möchte ich verhindern, dass die Rente mit 70 kommt. Am meisten Sorge bereitet mir aber der Zustand der EU. Deutschland muss die Möglichkeiten aufgreifen, die sich jetzt ergeben, etwa die Vorschläge von Herrn Macron. Wir dürfen da nicht kleinlich sein.

Wie meinen Sie das?

Annen: Die schwarze Null kann nicht wichtiger sein als die Zukunft der EU. Da haben wir unter der Führung von Frau Merkel und Herrn Schäuble zum Teil die Sensibilität vermissen lassen. Wir müssen im wahrsten Sinn des Wortes in unsere Zukunft investieren.

Sollen wir mehr einzahlen in die EU?

Annen: Ja. Dass wir nach dem Brexit den britischen Anteil einfach streichen, glaube ich nicht. Es wird auf uns auch in finanzieller Hinsicht eine größere Verantwortung zukommen. Das ist gut investiertes Geld, denn wir profitieren vom europäischen Markt am meisten.

Kruse: Wir sollten das Erreichte bei der Haushaltskonsolidierung nicht aufs Spiel setzen – auch wenn die Ziele, Europa zu stärken, gut klingen. Wir profitieren in Deutschland davon, dass wir keine Schulden mehr machen und Haushaltsüberschüsse haben. Wir können mehr gestalten und investieren – zum Beispiel in ein klassisches Länderthema wie die Schulen. Ein besseres Europa können wir nicht über mehr Schulden erreichen.

Sondern?

Kruse: Ich setze auch Hoffnungen in die neue französische Regierung. Aber sie wäre ohne Merkel und Schäuble nicht möglich gewesen. Wenn die Franzosen das Gefühl gehabt hätten, sie kriegen Deutschland dazu, die anderen Länder Europas zu finanzieren, dann hätten die Franzosen ein Weiter-so gewählt. Das hätte ganz Europa geschwächt. Aber sie haben einen Reformer gewählt. Frankreich wird dadurch erhebliche Kräfte gewinnen und zu unserer Wirtschaftskraft aufschließen. Dann haben wir ein starkes Tandem, das die EU voranbringen wird.

Was würden Sie in der kommenden Wahlperiode sofort angehen?

Kruse: Mein Hauptthema ist ja die Nachhaltigkeit. Wir haben nicht mehr viel Zeit, uns umzustellen. Mein Wahlkreis Eimsbüttel ist ziemlich prototypisch: Die Probleme, die wir hier haben, haben auch andere Städte in Deutschland und Europa, und die Konzepte, die wir hier in Richtung Nachhaltigkeit ausprobieren, könnten als Blaupause überall gelten. Mit der Begründung kann man Bundesmittel nach Eimsbüttel holen.

Finden Sie diesen Wahlkampf langweilig?

Kruse: Gar nicht. Der Vorwahlkampf war sehr lebhaft, als der Schulz-Zug noch fuhr. Das hat klar gemacht, dass es ein Unterschied ist, ob Rot-Rot-Grün regiert oder eine CDU-geführte Regierung.

Annen: Ich kann mich auch nicht an Momente der Langeweile erinnern. Gerade weil es dem Land so gut geht, sind die Ungerechtigkeiten so sichtbar und das Interesse groß. Bei meinen Veranstaltungen war der Saal immer voll.

Inwiefern belebt oder vergiftet die AfD die politische Debatte?

Kruse: Sie verzerrt sie. Es gibt gewisse Logiken, denen wir alle zustimmen. Dazu gehört, dass ich eine Aussage meiner Spitzenkandidatin nicht als Einzelmeinung abtun kann. Genau das macht die AfD aber: Ihr Spitzenkandidat Gauland sagt in einer Rede, wir könnten stolz auf die Leistungen unserer Soldaten in den Weltkriegen sein. Das ist nicht mehr grenzwertig, das ist jenseits der Grenze. Doch wenn man den AfD-Vertreter in einer Diskussion darauf anspricht, geht er nicht drauf ein und sagt, das sei aus dem Zusammenhang gerissen.

Annen: Die Strategie der AfD setzt gezielt auf Provokationen: Sie will, dass sich alles um sie dreht, und will den Eindruck erwecken, sie sei anders als der Einheitsbrei. Dabei diskreditiert sie den ganzen politischen Betrieb. Mit einer solche Radikalisierung habe ich nicht gerechnet. Die Aussage von Herrn Gauland, unsere Hamburger Abgeordnete Aydan Özoguz nach Anatolien entsorgen zu wollen, war eine schlimme Grenzüberschreitung. Das ist die Sprache von Hass und Gewalt.

Frustriert Sie die Verrohung der Sitten, oder spornt es Sie an?

Annen: Muss sich das ausschließen?

Kruse: Nein, das schließt sich nicht aus.

Annen: Mich spornt das an.

Kruse: Mich auch. Auch 70 Jahre nach dem Ende des Krieges sind Demokratie, Toleranz und zivilisiertes Benehmen keine Selbstverständlichkeiten.

Gab es eigentlich ein Erlebnis, das Sie motiviert hat, in die Politik zu gehen?

Annen: Ich war an der Albert-Schweitzer-Gesamtschule Klassensprecher, und wir durften als Schülerrat das Schwarze Brett nicht benutzen, ohne dass die Mitteilungen vom Schulleiter gegengelesen wurde. Gegen diese Zensur haben wir uns zur Wehr gesetzt. Das war meine erste aktive politische Handlung. Aber dass ich irgendwann mal für den Bundestag kandidieren würde, habe ich nicht geahnt.

Kruse: Als ich frisch auf dem Gymnasium war, habe ich meinem Schulsprecherteam in einer Vollversammlung widersprochen. Und als ich von der Bühne ging, fragte mich die Vertrauenslehrerin: „Bist du ein Kruse?“ Eine Anspielung darauf, dass mein Vater Kreis-Elternratsvorsitzender war. Als ich das bejahte, meinte sie: „Dann wirst du es hier schwer haben.“ Da habe ich mir gedacht: Wieso urteilt jemand über mich, ohne mich zu kennen? Das habe ich damals als ungerecht empfunden. Und solche Aussagen wecken auch heute noch meinen Widerstandsgeist.“