Hamburg. Beide wollen erstmals in den Bundestag – für den meistumkämpften Wahlkreis. Differenzen gibt es in der Arbeitsmarktpolitik.
Der Wahlkreis Hamburg-Nord ist nicht nur der am härtesten umkämpfte, sondern auch der einzige in Hamburg, der immer mal wieder von der CDU gewonnen wird. Dorothee Martin (SPD, 39) und Christoph Ploß (CDU, 32) sind auch die jüngsten Direktkandidaten ihrer Parteien – beide kandidieren zum ersten Mal für den Bundestag. Zum Streitgespräch treffen wir uns in Das Kaffeehaus am Woermannsweg.
Wenn man lange Wahlkampf gegeneinander macht, entsteht da eigentlich auch ein Vertrauensverhältnis – oder wird man sich richtig spinnefeind?
Dorothee Martin: Nein. Wir kennen uns ja schon lange aus der Bezirksversammlung. Wir sind beide relativ junge Kandidaten und kommen persönlich ganz gut miteinander klar. Kürzlich hat uns bei einer Podiumsveranstaltung mal jemand vorgeworfen, wir lächelten uns an. Aber das wäre ja noch schöner, wenn wir mit dem Messer aufeinander losgehen würden. Wir sind gute Demokraten.
Christoph Ploß: Wir haben ein gutes persönliches Verhältnis. Das ist eine Stärke der Demokratie: dass man um die politischen Inhalte hart ringt, aber nicht auf persönliche Beleidigungen setzt.
Was schätzen Sie aneinander?
Ploß: Sie hat eine offene, sympathische Art und ist eine angenehme Person.
Martin: Ich finde es gut, dass er sich schon in sehr jungen Jahren politisch engagiert hat. Das verbindet uns.
Was hat Sie denn beide bewogen, so früh in die Politik zu gehen?
Martin: Ich komme aus einem politischen Haushalt in der Pfalz, mein Vater war bei den Freien Wählern. Ich bin an der Uni in Hamburg zur Politik gekommen. Das war im Wahlkampf 1998, da ging es darum, Kohl abzulösen.
Ploß: Ich habe mich in der Schulzeit am Johanneum viel mit dem Römischen Reich beschäftigt. Die Republik war im alten Rom eine „res publica“, eine öffentliche Sache – das politische Engagement der Bürger spielte eine wichtige Rolle. Ich wollte mich selbst auch einbringen bei uns. 2005 bin ich direkt nach dem Abi zur CDU-Zentrale am Leinpfad geradelt und in die CDU eingetreten. Zentral waren für mich zwei Punkte: Ich war gegen die Einheitsschule und für die soziale Marktwirtschaft.
Was trennt Sie politisch am deutlichsten?
Martin: Ich kann seine sehr vehemente Haltung für die Beibehaltung der sogenannten „sachgrundlosen Befristung“ überhaupt nicht nachvollziehen – also für die Möglichkeit, Arbeitsverträge vorab ohne Begründung zu befristen. Menschen brauchen Arbeitsverhältnisse mit Perspektive, vor allem junge Leute.
Ploß: Gerade von jungen Leuten höre ich, dass ihnen Befristungen den Einstieg ins Arbeitsleben erleichtern können. Auch die schärferen Bestimmungen für Praktika machen den Einstieg in den Beruf manchmal schwieriger – weil Firmen dadurch zurückhaltender sind.
Wo sehen Sie den größten Unterschied zu Frau Martins Politik?
Ploß: Mir fehlt bei Dorothee Martin eine klarere Abgrenzung zu Linksextremismus. Wir als CDU lehnen jede Zusammenarbeit mit AfD und Linkspartei ab. Bei der SPD gibt es diese Klarheit in Bezug auf die Linkspartei nicht.
Martin: Ich bin gegen jede Zusammenarbeit mit AfD und Linkspartei. Ich möchte keine rot-rot-grüne Koalition.
Das hat Ihre Partei aber nicht so klar gesagt. Martin Schulz auch nicht.
Martin: Ich selbst kann mir eine Zusammenarbeit mit Frau Wagenknecht nicht vorstellen. Das passt auch inhaltlich vorne und hinten nicht.
Also finden Sie die Strategie Ihres Spitzenkandidaten falsch, diese Zusammenarbeit nicht auszuschließen?
Martin: Gute Demokraten reden miteinander. Aber Gespräche mit der Linken wären schnell zu Ende.
Ploß: Wir halten die Linken nicht für gute Demokraten. Bei G20 hat man das gesehen. Aus der Linkspartei kam Unterstützung für Gewaltexzesse, Verharmlosung, Beschimpfung der Polizei. Für uns sind die Linken keine Gesprächspartner.
Gibt es nach acht von zwölf Jahren Großer Koalition überhaupt noch große politische Unterschiede zwischen SPD und CDU?
Martin: Die gibt es. Wir wollen eine Bürgerversicherung, in die alle für die Krankenversorgung einzahlen, die CDU will das nicht. Rente mit 70 wollen wir nicht, die CDU lässt das offen. Wir wollen, dass der Bund die Bildung in Ländern finanzieren darf, die CDU ist da unklar. Wir wollen ein Einwanderungsgesetz, die CDU hat das in den Schubladen des Kanzleramtes verschwinden lassen.
Ploß: Die großen Debatten der 70er- oder 80er-Jahre gibt es nicht mehr. Aber gerade junge Menschen wollen wissen: Wie sieht dieses Land in 20 Jahren aus? Es geht um die zentrale Frage von Bildung. Wir müssen zu Beginn des Lebens möglichst gleiche Chancen für alle herstellen. Jeder soll die Möglichkeit haben, Bundeskanzler, Anwalt oder Professor zu werden.
Solche Politikersätze hört man seit 50 Jahren. Trotzdem steht Deutschland bei der sozialen Durchlässigkeit laut Studien schlecht da. Wer in arme Verhältnisse geboren wird, kommt da nur selten raus.
Ploß: Es gibt ja schon einige Biografien von Menschen, die es aus einfachen Verhältnissen geschafft haben. Gerade ehrenamtliche Organisationen, wie beispielsweise die Stiftung Kinderjahre in Winterhude, helfen darüber hinaus sehr erfolgreich, Menschen aus bildungsfernen Schichten Aufstiegsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Wenn die CDU den Aufstieg durch Bildung fördern will, warum hat sie Kitabeiträge erhöht und Studiengebühren eingeführt?
Ploß:Das sehen wir im Nachhinein selbst als Fehler an. Studiengebühren sollten jedenfalls nicht während des Studiums erhoben werden. Man kann über Modelle nachdenken, in denen man an die Hochschule oder der Gesellschaft etwas zurückzahlt, wenn man seinen ersten bezahlten Job hat.
Eine Bildungsfrage: G8 oder G9?
Martin: Ich bin dafür, das Zweisäulenmodell in Hamburg beizubehalten. Man kann auf Gymnasien Abitur nach acht Jahren machen, auf der Stadtteilschule nach neun Jahren. Wichtig ist es, die Stadtteilschulen stark zu fördern.
Ploß: Das sehe ich auch so. Man sollte nicht permanent am Schulsystem herumdoktern.
Was sind die Themen, auf die Sie in Nord am meisten angesprochen worden sind?
Martin: Am Anfang ging es den Bürgern zu 80 Prozent um ganz lokale Themen wie eine bebaute Wiese oder eine Ampelschaltung – auch wenn der Bundestag dafür nicht zuständig ist. Das hat sich zum Schluss hin geändert. Da ging es viel um Integration oder um die Rente.
Ploß: Nach meiner Erfahrung war das Thema Sicherheit ganz zentral. Innere Sicherheit, also Schutz vor Terror und Extremismus, aber auch vor Einbrüchen und anderer Kriminalität. Äußere Sicherheit in dieser unübersichtlichen Weltlage mit Brexit, Erdogan, Trump und Putin. Und auch soziale Sicherheit.
Martin: Die meisten Menschen betrachten die Politik auch mit sehr persönlichen Fragestellungen. Also: Wie viel Rente bekomme ich? Was mache ich, wenn ich das dritte Kind bekomme und ich eine größere Wohnung brauche? Manchmal gibt es aber sehr spezielle Fragen. Ich wurde kürzlich gefragt: Wie stehen Sie zum deutschen Jagdrecht?
Erwarten die Menschen eigentlich, dass Politiker Experten für alles sind?
Martin: Viele schon. Aber natürlich sind auch Politiker nicht allwissend.
Ploß: Man muss sich gut einarbeiten. Gerade wenn man nicht schon jahrelang in Fachausschüssen sitzt. Wenn Sie auf einem Podium Fragen nicht beantworten können oder etwas Falsches sagen, stehen Sie schnell ziemlich blöd da.
Gibt es eigentlich viele persönliche Anfeindungen im Wahlkampf?
Martin: Kaum. Es hat allerdings viel Zerstörung von Plakaten gegeben. Wenn da jemand „Nutte“ auf dein Bild schreibt oder Fadenkreuze auf dein Gesicht malt, das ist schon nicht so klasse. Wir haben öfter Anzeige erstattet, aber die Täter zu bekommen ist kaum möglich.
Ploß: Ja, haben wir auch. Man muss sich da schon ein dickes Fell zulegen.
Martin: Stimmt. Aber wenn dir jemand ein Fadenkreuz auf die Stirn malt, dann fragst du dich schon mal kurz: Kommt der jetzt auch am Infostand vorbei? Aber das muss man dann wieder abhaken.
Ploß: Es gibt von der AfD rassistische Äußerungen, die gehen gar nicht. Auch von links gibt es oft Attacken unter der Gürtellinie. Das kann einem schon Sorgen machen.
Welche sind die Themen, die die Menschen in Nord besonders bewegen?
Martin: Es kommen viele Fragen zur Bebauung, die wir auch zugunsten von Flüchtlingen planen, also Rehagen oder Poppenbüttler Berg zum Beispiel. Ein anderes Thema, das die Menschen hier beschäftigt, ist der Fluglärm. Da müssen wir zur Not auch Bundesgesetze anpassen, wenn das nicht anders geht.
Ploß: Na ja, wir haben auf Initiative der CDU einen 16-Punkte-Plan für mehr Lärmschutz beschlossen. Der Senat muss dafür sorgen, dass der umgesetzt wird. Das klappt bisher überhaupt nicht. Also Fluglärm ist in der Tat ein Thema. Außerdem Integration von Flüchtlingen, aber auch der Schutz vor Einbrechern.
Was wäre im Bundestag das erste Thema, das Sie angehen würden?
Ploß: Ich würde mich für einen Drittelmix in der Finanzpolitik einsetzen, also: Ein Drittel der Haushaltsüberschüsse sollten wir jeweils verwenden für Investitionen, Steuersenkungen und Schuldentilgung. Außerdem möchte ich mich in der Verkehrspolitik engagieren. Es ist wichtig, dass sich da in Berlin jemand für die Hamburger Interessen einsetzt.
Martin: Ich würde mich als Erstes in den Bereichen Stadtentwicklung und Wohnen engagieren. Da gibt es bisher keinen Hamburger Vertreter, der sich um das Thema kümmert. Bezahlbarer Wohnraum ist gerade in wachsenden Städten wie Hamburg extrem wichtig.
Was war der größte Fehler Ihres jeweiligen Spitzenkandidaten?
Martin: Ich hätte mir gewünscht, dass Martin Schulz schnell nach unserem Umfragenaufschwung inhaltliche Vorschläge gemacht hätte. Es war nicht gut, zuerst die Landtagswahlen abzuwarten.
Ploß: Ich hätte mir eine noch klarere Aussage gewünscht, dass sich eine Situation wie 2015 mit der Flüchtlingswelle so nicht wiederholen wird.
Was machen Sie am Montagmorgen?
Ploß: Ich bereite mich darauf vor, unser Regierungsprogramm in Berlin bald umsetzen zu können.
Martin: Ich bin bei Hamburg 1 zu einer Wahlnachlese. Hoffentlich gut gelaunt.