Hamburg. Neu-Kandidat der CDU trifft auf die Migrations-Beauftragte (SPD). Streitpunkt: Wem gebühren die Erfolge der letzten vier Jahre?

So angeregt, wie Aydan Özoguz und Eckard Graage vor dem Interview im Café Celona miteinander plaudern, könnte man sie glatt für alte Bekannte halten. Tatsächlich haben sich die SPD-Direktkandidatin für den Bezirk Wandsbek und ihr CDU-Kontrahent aber erst einige Male im Wahlkampf getroffen – wirklich vertraut sind sie nicht miteinander, wie ihre Reaktion auf die erste Frage zeigt. Beide müssen lange überlegen, bevor ihnen eine kurze, höfliche Antwort einfällt.

Was schätzen Sie beide aneinander?

Aydan Özoguz: Herr Graage ist ein freundlicher Herr. Wir haben zwar unterschiedliche politische Meinungen, gehen aber sehr respektvoll miteinander um.

Eckard Graage: Frau Özoguz ist relativ direkt. Das finde ich gut.

Was hat Sie beide motiviert, in die Politik zu gehen?

Graage: Es gab einen Anlass, der lange zurückliegt. Ich war damals acht Jahre alt, der Kanzler hieß Konrad Adenauer. Im Fernsehen lief eine Kabarettsendung mit Dieter Hildebrandt. Er sagte: „Adenauer fährt nach Rom, kein Mensch weiß warum, der Papst ist doch schon katholisch.“ Das hat mein Interesse geweckt. Ich wollte mir genauer anschauen, was Politiker machen. Als ich später als Offizier bei der Bundeswehr diente, habe ich mich parallel erstmals in einem Ortsparlament engagiert, in Rahlstedt.

Özoguz: Mein Vater war in der Türkei in einer demokratischen Partei aktiv – das hat mich geprägt. Für die Körber-Stiftung habe ich jahrelang Politiker zusammengebracht. Dabei kam mir oft der Gedanke: Eigentlich willst du mal mitreden. Dann sprach mich Olaf Scholz an. Als ich dann für die Bürgerschaft kandidierte, fand ich Politik wahnsinnig kompliziert. Ich wollte Politik verständlicher machen. Das treibt mich heute noch an.

CDU und SPD haben das Land nun vier Jahre lang regiert. Ist eine Fortsetzung der großen Koalition für sie denkbar?

Özoguz: Das ist für mich keine Wunschkonstellation. Die SPD will regieren und Verantwortung übernehmen – und nicht als Juniorpartner etwas fortführen. Ich finde es aber falsch, alles Mögliche auszuschließen. Mit einer Ausnahme: Mit der AfD werden wir nicht koalieren.

Graage: Es hat bisher zwei große Koalitionen gegeben, die sehr erfolgreich waren: unter Kurt Georg Kiesinger und zuletzt unter Angela Merkel. Während der vergangenen Legislaturperiode haben CDU und SPD vieles gemeinsam erreicht. Wir haben die Arbeitslosigkeit weiter stark reduziert. Das ist ein Riesenerfolg für Deutschland. Die Wirtschaft floriert. Uns geht es als Bundesrepublik so gut wie nie zuvor. Wir haben natürlich auch große Probleme. Aber aufgrund unserer wirtschaftlichen Kraft können wir sie lösen. Ich kann nur eine Koalition mit den Linken und mit der AfD ausschließen.

Özoguz: Die CDU hat erheblich von uns profitiert. Wir haben viele soziale Verbesserungen durchgesetzt, zum Beispiel den Mindestlohn. Ich nenne auch die Familienpolitik von Manuela Schwesig und die Arbeitsmarktpolitik von Andrea Nahles. Viele Errungenschaften werden der CDU zugeschrieben, dabei sind sie ein Verdienst der SPD.

Graage: Das sehe ich anders. Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der CDU hat es überhaupt erst möglich gemacht, dass sich diese Vorhaben umsetzen ließen. Davon abgesehen: Hätte die CDU allein regiert, wären möglicherweise die gleichen Dinge herausgekommen.

Özoguz: Bei Schwarz-Gelb war das Gegenteil der Fall. Es gab keinen sozialen Wohnungsbau mehr, Mindestlöhne wurden verteufelt. Da hat die SPD später deutlich andere Akzente gesetzt.

Graage: Was Sie beschreiben, spielte in einer anderen Zeit. Wir dürfen nicht vergessen: Wir kamen aus einer Weltwirtschaftskrise. Zu dem Zeitpunkt hat man auch ganz anders gedacht als heute.

Özoguz: Die CDU hat gemein mit der FDP damals noch mehr Schulden gemacht, trotz sprudelnder Einnahmen.

Graage: In der vergangenen Legislaturperiode haben wir es anders gemacht und für eine schwarze Null gesorgt, damit wir unseren Kindern nicht mehr Schulden aufbürden.

Sie haben beide die AfD angesprochen. Deren Spitzenkandidat Gauland sagte, man werde Sie, Frau Özoguz, „in Anatolien entsorgen können“. Wie gehen Sie damit um?

Özoguz: Relativ nüchtern. Man muss das in die Kette der Äußerungen stellen, die von der AfD kommen. Es geht hier nicht um meine Person. Sondern um eine Diskriminierung derjenigen, die nicht deutscher Herkunft sind. Die AfD will ganze Gruppen diffamieren und ausgrenzen, das ist das wirklich Erschreckende.

Umfragen zufolge wird es die AfD wahrscheinlich in den Bundestag schaffen. Wie bereiten Sie beide sich darauf vor?

Graage: Das ist eine ganz schwierige Situation. Auf der einen Seite müssen wir mit demokratisch gewählten Parteien im Bundestag so umgehen, wie es die Gepflogenheiten vorsehen. Wir können nicht sagen, mit denen reden wir nicht, oder die bekommen kein Rederecht. Ich weiß noch nicht, wie das gehen soll, mit einer Partei, die nicht demokratisch daherkommt, Demokratie zu machen.

Özoguz: Zu dieser Partei gehören richtige Nazis. Dieses Wissen muss einen aufschrecken. Wenn die AfD in den Bundestag kommen sollte, werden wir deshalb sehr auf ihre Redebeiträge achten. Wir dürfen keine Hetze im Bundestag zulassen. Und wir müssen die AfD inhaltlich stellen. Ich möchte dazu beitragen, diese Partei zu entzaubern.

Graage: Mit dem Entzaubern habe ich so meine Befürchtungen. Ich vermute, dass die AfD im Bundestag moderater auftreten wird als auf der Straße.
Özoguz: Dann werden Wähler auf die AfD zukommen und sagen: Uns erzählt ihr dies, im Bundestag macht ihr etwas anderes. Das ist ein Stück Entzauberung.

Graage: Wenn sie recht behalten sollten, wäre das gut.

Özoguz: Wenn die AfD im Bundestag sitzt, kann sie auch nicht mehr ohne Weiteres vom „Establishment“ oder „den Politikern“ sprechen, ohne sich unglaubwürdig zu machen. Sie gehört ja dann dazu. Bisher pflegt die AfD ihre Opferrolle, sie betont gern, wie sehr sie von allen angegriffen werde. Die Partei verdreht im Moment ja sehr viel. Das dürfte nicht mehr so einfach sein, wenn sie selbst im Bundestag sitzt.

Einer Emnid-Umfrage zufolge machen 58 Prozent der Bürger die Politik von Kanzlerin Angela Merkel mitverantwortlich für den Erfolg der AfD. Wie will die CDU das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen?

Graage: Dass Angela Merkel die Schuld gegeben wird, liegt natürlich daran, dass sie der Kopf der Regierung ist. Dass es bei vielen Menschen Angst erzeugt hat, dass Flüchtlinge zu uns kommen, ist eine normale Reaktion. Wir müssen noch einiges tun, den Menschen diese Angst zu nehmen, besonders im Osten, wo es kaum Flüchtlinge gibt, aber viele Menschen trotzdem Ressentiments haben. Ich halte die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung für richtig. Dies wäre nicht mein Land, wenn es hier nicht möglich wäre, Flüchtlinge aufzunehmen. Jedenfalls so lange, bis sich die Lage in den Herkunftsländern stabilisiert hat und es eine Option ist, sie dorthin zurückzuschicken.

Was schlagen Sie konkret vor?

Graage: Wir müssen viel Geld in den Ländern investieren, aus denen die Flüchtlinge kommen. Damit sie überhaupt die Möglichkeit haben, in ihr Land zurückzukehren. Wir müssen umdenken in der Wirtschaftspolitik. Es hilft nichts, in bestimmten Ländern Brunnen zu bauen, wenn wir mit diesen Ländern keinen fairen Handel betreiben. Die Menschen, die zu uns kommen und hier bleiben wollen, müssen wir integrieren. Das bedeutet nicht nur, dass wir ihnen Angebote machen, sondern dass diese Menschen auch integriert werden wollen, also etwa die deutsche Sprache lernen.

Özoguz: Es war gut, dass wir den hohen Zuzug von Flüchtlingen einschränken konnten. Nun müssen wir endlich zu einer europäischen Flüchtlingspolitik kommen. Es muss mehr Druck ausgeübt werden auf die Staaten, die sich dem ganz verweigern. Solidarität darf in der EU nicht nur eine Worthülse bleiben.

Ein anderes Thema, das ebenfalls viele Menschen bewegt, ist die innere Sicherheit. Unternimmt die Politik genug, damit Terroranschläge verhindert werden?

Graage: Es ist schwer, immer innere Sicherheit herzustellen. Aber wir haben schon Schritte in die richtige Richtung gemacht. In unserem Parteiprogramm steht etwa, dass wir 15.000 zusätzliche Polizeibeamte einstellen wollen.

Özoguz: Mehr Polizeibeamte wollen wir auch. Wir haben allerdings ja schon ein paar Tausend neue Stellen geschaffen. Ich glaube jedoch nicht, dass das allein reicht. Wir setzen auch stark auf das Thema Prävention. Es darf nicht eine ganze Religionsgruppe irgendwie verdächtig sein, sondern wir müssen genauer hinschauen: Wo gibt es Anzeichen für Leute, die abdriften könnten? Es gibt bereits sehr gut arbeitende Präventionsprojekte, auch in Hamburg. Wenn wir etwas gelernt haben, dann ja, dass etwa die Familien von den Jugendlichen, die nach Syrien fahren, sich im Leben nicht hätten vorstellen können, dass mal so etwas mit ihrem Sohn oder ihrer Tochter passiert. Wir müssen deshalb schon in den Schulen das Angebot machen, über Probleme in der Familie zu reden.

Was wollen Sie für Hamburg im Bundestag erreichen?

Özoguz: Ein wichtiger Punkt ist für mich der soziale Wohnungsbau. Außerdem möchte ich mich um Gerechtigkeit bei den Löhnen kümmern. Ein weiterer Punkt ist das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern, das ich weiter lockern würde, damit auch der Bund in die Schulen investieren kann. Ich möchte mich auch dafür einsetzen, dass Erzieher und Altenpfleger besser bezahlt werden. In der Pflege werden wir übrigens ohne Einwanderung nicht zurechtkommen. Am Amalie Sieveking-Krankenhaus und im Kinderkrankenhaus Wilhelmsstift arbeiten schon Pflegekräfte aus Italien, weil wir hierzulande nicht genügend Personal finden.

Graage: Auch ich möchte die Länderhoheit in Sachen Bildung ein Stück weit kippen. Bildung ist das wichtigste Thema für die Zukunft. Im Bundestag werde ich mich dafür engagieren, dass die Mittel dafür bereitstehen und dass die Länder entlastet werden.