Hamburg. Ex-Senatorin der CDU gegen Wahlkreisverteidiger der SPD: Scharf wird der Ton bei der Frage, wie man es mit AfD und Linkspartei hält.

Für den Süden Hamburgs muss mehr getan werden, denn es ist ein Wahlkreis mit zahlreichen Problemen. Darin sind sich die beiden Direktkandidaten für den Bundestag von SPD und CDU, Metin Hakverdi und Herlind Gundelach, einig. Beim Gespräch in der Regionalredaktion Harburg zeigten sich die gebürtige Schwäbin und der Wilhelmsburger Jung als ausgesprochene Lokalpatrioten.

Was schätzen Sie

an Ihrem Gegenüber?

Herlind Gundelach: Metin Hakverdi und ich haben im parlamentarischen Betrieb nicht viel mitein­ander zu tun, weil wir unterschiedliche Spezialgebiete haben. Im Wahlkampf schätze ich an ihm, dass wir respektvoll miteinander umgehen.
Metin Hakverdi: Das Kompliment kann ich zurückgeben. Der Umgang ist fair und angenehm.
Zum Wahlkampf: Wie fällt die Bilanz kurz vor Schluss aus?
Hakverdi: Sehr positiv. Wir machen ja einen sehr persönlichen Wahlkampf von Tür zu Tür und an Infoständen. Da war das Wetter im Juni/Juli hinderlich, aber das haben wir aufgeholt. Was aber auffällt, ist, dass wir weniger Gespräche pro Tag schaffen, weil die Gespräche länger werden. Ich erhalte da viel positive Rückmeldung für die aktive Wahlkreisarbeit. Und ich kenne immer mehr Menschen in dem weitläufigen Wahlkreis.
Gundelach: Ich bin viel an den Infoständen und auf zahlreichen Veranstaltungen unterwegs. Was positiv auffällt, ist, dass das Interesse der Bevölkerung an politischen Inhalten wieder wächst. Die Standbesucher haben gezielt nachgefragt und sich Broschüren mitgenommen. Das ist ein Trend, den ich auch bei jungen Leuten beobachtet habe. Die Menschen wollen wissen, wie es weitergeht.

Frau Gundelach, Sie müssten auf der Landesliste der CDU laut Satzung mindestens zwei Listenplätze weiter vorn stehen. Auch der Harburger Kreisvorstand ist rein männlich. Welchen Stand haben Sie in der Partei?
Gundelach: Grundsätzlich einen guten aber: Ich kenne den Harburger kreisvorsitzenden schon immer als speziell, das muss man so hinnehmen. Aber er ist nicht die CDU. Und die Ortsverbände haben sich im Wahlkampf sehr reingehängt.


Herr Hakverdi, Ihre Kandidatur 2013 hat in der Harburger SPD zu internen Verwerfungen geführt, die sich über die Bundestagswahl hinaus fortsetzten. Ist jetzt Ruhe im Boot?
Hakverdi: Wenn man den Wahlkampf ansieht, sieht man große Geschlossenheit bei uns. Und das größte Kompliment ist, wenn interne Gegner von vor vier Jahren jetzt ihre Meinung revidiert haben und mich für meine Arbeit loben.

In allen drei Städten des Wahlkreises gibt es große Quartiere, in denen Menschen mit geringem Einkommen leben. Was tut man für diese Leute?
Hakverdi: Die ungleiche Einkommensverteilung ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Daran muss man arbeiten. Nicht immer durch Umverteilung, sondern indem man echte Chancengleichheit schafft, zum Beispiel über Förderung lebenslangen Lernens, damit Menschen gar nicht erst abgehängt werden. Da ist viel versäumt worden, und viele Parteien haben dafür kein Konzept. Martin Schulz hingegen hat da sehr vernünftige Vorschläge gemacht.
Gundelach: Dass Bildung der Schlüssel für ein erfolgreiches Arbeitsleben ist, ist inzwischen eine Binsenweisheit. Aber in diesem Wahlkreis müssen wir besonders bei den Kindern ansetzen, damit sich schlechte Bildung und schlechtes Einkommen nicht über Generationen fortsetzen. Da sind gerade in Wilhelmsburg, wo ich das unmittelbar mitverfolgen kann, die Schulen und weitere Bildungseinrichtungen schon auf einem guten Weg.

In Bildungsfragen ziehen sich Bundespolitiker gern auf die Position zurück, dass Bildung in unserem föderalen System Ländersache ist. Muss man im Bund mehr Bildungspolitik machen?
Gundelach: Die Bildungspolitik ist eine der heiligen Kühe des Föderalismus. Aber wenn Menschen räumlich flexibel sein sollen, und das wird heute verlangt, darf ein Umzug über Landesgrenzen nicht dazu führen, dass die Schullaufbahn der Kinder gefährdet wird, weil die Schulsysteme und die Anforderungen zu unterschiedlich sind. Hier brauchen wir einheitliche Strukturen. Gott sei Dank sind wir heute über das Kommunalinvestitionsprogramm in der Lage, die Schulträger wenigstens bei der Sanierung der Schulen zu untrerstützen.
Hakverdi: Wenn der Bund nicht einmal bei den räumlichen Rahmenbedingungen helfen darf, weil diverse CDU-Bundesländer und CDU-Abgeordnete sich sperren, weiß ich nicht mehr, was wir Eltern noch erzählen wollen. Wenn es in der Schule durch das Dach regnet, ist ihnen der Föderalismus egal. In der vor- und nachschulischen Bildung wird die Länderhoheit auch nicht so hoch gehängt. Da funktioniert es besser.

Ein großer Teil der Menschen im Wahlkreis hat einen Migrationshintergrund, bei den Jugendlichen unter 18 sogar mehr als die Hälfte. Wie definiert man Bundesbürger oder Wahlkreisbürger eigentlich jetzt und in Zukunft, und welche Politik muss sich daraus ableiten?
Hakverdi: Ich finde es falsch, nach Herkunft zu differenzieren. Man sollte Politik auch nie für einzelne Wählergruppen machen, sondern das Ziel eines Gemeinwesens haben, in dem sich alle wohlfühlen.
Gundelach: Dort, wo schon lange besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund wohnen, merkt man immer weniger Unterschiede, hier ist schon viel zusammengewachsen. Besonders positiv ist, dass an den Schulen das politische Interesse wieder wächst, und daran haben auch und gerade junge Migranten einen großen Anteil.


Frau Gundelach, Sie haben als Senatorin eines schwarz-grünen Senats Erfahrungen mit den Grünen sammeln können. Sind die Grünen Ihr Wunsch-Koalitionspartner?
Gundelach: Ich verbinde mit den Grünen sehr angenehme Erinnerungen, habe aber in Hessen auch in einer Koalition mit der FDP gute Erfahrungen gemacht. Ich wäre für Jamaika, das würde sicher eine spannende Koalition.

Außenpolitik beschäftigt und beunruhigt viele Bundesbürger: Trump, Brexit, Ungarn ,Polen und die Türkei sind zum Beispiel Themen, die hier aufregen. Herr Hakverdi, beunruhigt Sie als USA-Kenner das Trump-Phänomen?
Hakverdi: Viele derjenigen, die Trump gewählt haben, sind Verlierer der Globalisierung in einem Land, das Gewinner der Globalisierung ist. Die haben ihn nicht aus rassistischen Motiven gewählt, sondern aus ökonomischer Verzweiflung. Dass er nichts für sie tun wird, ist ihnen nicht klar. Das ist bei den Brexit-Wählern ähnlich. Für uns heißt es, dass Europa immer wichtiger wird, das darf kein Lippenbekenntnis bleiben. Wir müssen Erfolge produzieren, mit denen die Menschen etwas anfangen können. Gleichzeitig müssen die verschiedenen Kulturen in Europa Luft zum Atmen bekommen. Was die USA angeht, hoffe ich, dass dies nicht der Beginn einer isolationistischen Phase ist. Das wäre weder für Europa noch die USA gut.
Gundelach: Außenpolitik und die internationale Lage sind in diesem Wahlkampf Themen, die die Menschen beschäftigen und auch beunruhigen. Auch Europa empfinden viele nicht mehr als den hort der Stabilität. Das ist neu und war so 2013 nicht fer Fall. Die Deutschen sind bezüglich der internationalen Sicherheit besonders sensibel, das ist nicht zuletzt Ausfluss zweier Kriege. Und hier erwarten sie von der Bundesregierung besonnenes, aber auch konsequentes handeln.

Bergedorf und Harburg sind Hochschulstandorte. Was kann man bundespolitisch für Hochschulen und Studenten erreichen?
Gundelach: Wir haben in den letzten zehn Jahren einiges erreicht. Die TUHH wurde ausgebaut und hat mit der ehemaligen Kaserne jetzt auch ein Gesicht im Stadtteil. Es gibt inzwischen ein Fraunhofer Institut und auch die Zusammenarbeit mit den großen Forschungseinrichtungen hat deutliche Fortschritte gemacht. Aber dennoch brauchen die Hochschulen mehr staatliche Grundfinanzierung und da sollten wir uns ein Beispiel an Ländern wie Bayern und Baden-Worttemberg nehmen.
Hakverdi: Die Technische Universität Harburg und die Hochschule für angewandte Wissenschaften in Bergedorf stehen zu wenig im Fokus der Stadt. Mit Harburg ändert sich das allerdings gerade. Mehr Studenten heißt aber auch, dass man diesen Studenten vernünftige Lern- und Lebensbedingungen geben muss. Da ist zum Beispiel das Wohnungsbauprogramm wieder gefragt.

Gibt es ein persönliches Erlebnis, das Sie in die Politik gebracht hat?
Gundelach: Kein einzelnes Erlebnis. Ich bin in einer sehr politischen Familie ­aufgewachsen. Mein Onkel war unter anderem Bundesgeschäftsführer und später Generalsekretär der Partei. Und auch für mich war früh klar, dass ich in jedem Fall an der Gestaltung von Politik mitwirken wollte.
Hakverdi: Ich bin erst zur Politik ­gekommen als ich schon Anwalt für Arbeitsrecht war und merkte, dass in diesem Land nicht alles gerecht zugeht. In die Bundespolitik bin ich gegangen, nachdem Hans-Ulrich Klose mich darum gebeten hatte. Vorher wäre ich nicht auf die Idee gekommen – oder noch nicht.

Was ist Ihnen in der kommenden Legislaturperiode besonders wichtig?
Hakverdi: Es ist mir wichtig, weiter im Wahlkreis präsent zu sein. Ich habe ja drei Jobs: als Gesetzgeber in Berlin, als Bindeglied zwischen dem Wahlkreis und Berlin und als politischer Multiplikator. Ich bin viel in den Schulen unterwegs und hatte schon 8000 Schüler zu Besuch in Berlin.
Gundelach: Neben dem Einsatz für die zum Teil auch sehr persönlichen Anliegen der Bewohner des Wahlkreises möchte ich vor allem die Energiewende zum Erfolg führen. Denn Energie ist der Lebensnerv unserer Gesellschaft, ohne sie ist alles nichts.