Hamburg. Neues Konzept sieht Hausbesuche, Telefon- und Termin-Service vor. Ärzte und Krankenhäuser kritisieren Politik – Prüfer-Storcks kontert.
Der Umgang mit medizinischen Notfällen in Hamburg wird in den kommenden Monaten auf neue Füße gestellt. So wird die Kassenärztliche Vereinigung (KV), die bereits zwei Notfallpraxen in Farmsen und auf St. Pauli betreibt, einen neuen telefonischen Arztservice anbieten. Er soll verhindern, dass immer mehr Menschen mit geringfügigen Erkrankungen oder Verletzungen die Notaufnahmen der Krankenhäuser belasten.
Wie eine UKE-Studie zuletzt ergeben hat, sind mehr als die Hälfte der Notfall-Patienten in vier norddeutschen Kliniken, die zu Fuß kommen, dort fehl am Platze. Der Vorsitzende der Vertreterversammlung der KV, Dr. Dirk Heinrich, sagte auf einer Veranstaltung des Krankenkassenverbandes Vdek: „Wir wollen die Zalando-Mentalität der Patienten eindämmen, denen abends einfällt, dass sie Schmerzen haben und sofort die bestgeschulten Fachärzte mit den modernsten Geräten aufsuchen wollen, die eigens für sie schon angeschaltet wurden.“
Beim neuen Notfallservice der KV soll nach Möglichkeit ein Arzt die Schwere der Erkrankung beurteilen, wie bisher einen Notarzt der KV ins Haus schicken oder einen schnellen Termin beim niedergelassenen Mediziner besorgen.
Gegen „Zalando-Mentalität“ bei Patienten
Der neue Service soll demnächst vorgestellt werden. Auch die Krankenkassen hatten zuletzt angemahnt, die Notfallversorgung zwischen Krankenhäusern und Praxen in Hamburg besser aufzuteilen. Die Akteure in Hamburg seien nicht ausreichend vernetzt, beklagte die Vdek-Vorsitzende Kathrin Herbst. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) sagte, die Gesundheitsminister der Länder hätten bereits eine Bund-Länder-Kommission zu den Notfällen vorgeschlagen. Das müsse die künftige Bundesregierung anpacken.
Prüfer-Storcks wurde beim Vdek-Gesundheitstreff im Hotel Hafen Hamburg von Ärzte- und Krankenhaus-Vertretern ungewöhnlich deutlich kritisiert. Der Erste Vorsitzende der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft, Werner Koch (Marienkrankenhaus), attackierte die jüngste Krankenhausgesetzgebung. Die sogenannte Personaluntergrenze sei lebensfremd. Koch fragte: „Der Staat soll festlegen, wie viele Mitarbeiter man für eine Operation braucht? Wie soll das zu mehr Qualität führen?“
Hamburger Praxen nicht mehr modern genug?
Krankenkassen-Vertreterin Herbst mahnte an, die gesetzlich geforderte Qualität müsse auch beim Patienten ankommen. In der Intensivpflege aber müsse man schon überprüfen, ob genügend Pfleger vorhanden sind. Werde da eine Zahl unterschritten, müsse man die Klinik aus dem Bettenplan herausnehmen – sprich: vom Finanztopf abklemmen.
HNO-Arzt Heinrich forderte von Politik und Krankenkassen, die Budgetierung aufzuheben, also den Deckel über den Honoraren. Er bewirke derzeit, dass er als niedergelassener Arzt nur etwa 70 Prozent seiner Leistungen bezahlt bekomme. „Die anderen 30 sind medizinisch notwendig. Meine Patienten brauchen die.“ Gleichzeitig sehe man durch Zahlen des Statistischen Bundesamtes, dass seit Jahren zu wenig in die Praxen investiert worden sei. Heinrich sagte: „Das ist eine Ungerechtigkeit gegenüber den Patienten in Steilshoop oder im Osdorfer Born. Medizin muss modern sein.“
In Gegenden mit wenigen oder keinen Privatpatienten würden sich in Zukunft keine Ärzte mehr niederlassen, eben weil die Honorare gedeckelt seien und die Praxen sich nicht rechneten. Heinrich arbeitet in Horn: „Wenn ich gehe, macht da keiner die Praxis weiter.“
Die Hamburger Vdek-Vorsitzende Herbst sagte, man könne den Ärzten nicht jede Einzelleistung vergüten. „Da würden die Kosten aus dem Ruder laufen.“ Sie argwöhnte, dass „wo das Angebot ist, auch behandelt wird“. Die Krankenkassen stehen ebenfalls unter Druck, weil sie bei weiter steigenden Ausgaben für eine alternde Gesellschaft Zusatzbeiträge erheben müssen. Und im Wettbewerb der Kassen untereinander gibt es derzeit extremen Streit zwischen Ersatzkassen, Betriebskrankenkassen und anderen mit der AOK um den Finanzausgleich Morbi-RSA (das Abendblatt berichtete).
Elektronische Gesundheitskarte: Senatorin räumt Fehler ein
Senatorin Prüfer-Storcks verteidigte ihre Idee einer Bürgerversicherung, die eine neue Gebührenordnung für Ärzte brächte. Gleichzeitig sagte sie in Richtung Krankenkassen, den Morbi-RSA könne man nicht einfach per Koalitionsvertrag neu regeln.
Prüfer-Storcks räumte aber auch Fehler ein. Die elektronische Gesundheitskarte in der derzeitigen Form drohe „zum Berliner Flughafen der Gesundheitspolitik“ zu werden. Seit über zehn Jahren wird die e-Card entwickelt und reformiert, eine abgespeckte Version müsste bei allen gesetzlich Versicherten im Portemonnaie sein. Doch die Karte mit ihrer veralternden Technik kommt nicht vom Fleck. „Nicht mal die Adresse des Patienten kann elektronisch geändert werden“, unkte Prüfer-Storcks. Jetzt drohten wieder jahrelange Verzögerungen. Dennoch, sagte die Gesundheitssenatorin, die medizinische Versorgung müsse grundsätzlich vom Patienten her gedacht werden. „Patient first.“