Hamburg. „Hafenlöwin“ Carola Zehle macht HHLA für Insolvenz der Stauerei Carl Tiedemann verantwortlich. 162 Beschäftigte bangen um ihre Jobs.

Nach einer wochenlangen Hängepartie kam das Aus überraschend: Noch für gestern hatte der Hamburger Hafenbetrieb Carl Tiedemann zu einer Betriebsversammlung eingeladen. Die geschäftsführende Gesellschafterin Carola Zehle wollte den 162 Mitarbeitern berichten, das 60 bis 70 Stellen abgebaut würden, dass man aber einen neuen Investor an der Hand habe und mit den Kunden weiter im Gespräch sei. Am Ende sah die Unternehmerin aber wohl selbst ein, dass der Kampf keinen Sinn mehr hatte: Noch bevor es zur Mitarbeiterversammlung kam, meldete Zehle für das Hamburger Traditionsunternehmen Insolvenz beim Amtsgericht Hamburg an. Die Stauerei Carl Tiedemann ist pleite, 138 Jahre nach ihrer Gründung. Die 162 Beschäftigte bangen jetzt um ihren Job.

Kommentar: Der Hafen braucht Menschen

Zum vorläufigen Insolvenzverwalter hat das Gericht den Hamburg Rechtsanwalt Tjark Thies von der auf Unternehmenspleiten spezialisierten Kanzlei Reimer Rechtsanwälte bestellt, die so spektakuläre Insolvenzen wie jene der Hamburger Firma Imtech und des einstigen Traumschiffs „MS Deutschland“ begleitet hat. Thies führt nun die Geschäfte. Sein Ziel ist es, die Firma zu verkaufen. Zehle, die mehr 40 Jahre die Geschicke bei Carl Tiedemann geführt hat, ist zwar formal noch Geschäftsführerin, hat mit dem Betrieb aber nichts mehr zu tun.

Zehle war bereits 1968 in die Firma eingestiegen

Nach einer Lehre zur Schiffsmaklerin war Zehle 1968 in die Firma eingestiegen, und nach dem frühen Tod ihres Vaters Carl Schramm übernahm sie das Ruder. Jahrzehntelang biss sich Zehle in der harten Männerwelt des Hafens durch und erwarb sich dabei den Beinamen „Hafenlöwin“. Die Stauerei Carl Tiedemann verdient ihr Geld mit dem Verstauen und Laschen, also dem Sichern von Ladung auf Schiffen. Doch die Geschäfte liefen zuletzt immer schlechter. Eine Reihe von Auslandsbeteiligungen erwiesen sich als finanzieller Fehlschlag. Hinzu kam die Schifffahrtskrise. Nach den Geldgebern verloren die eigenen Mitarbeiter das Vertrauen in Zehle.

Carola Zehle an Bord der „Cap San Diego“
Carola Zehle an Bord der „Cap San Diego“ © Bodig | Bodig

Mit der Insolvenz sorgen sie sich nun um ihre Zukunft. „Viele sind aber auch erleichtert, weil sie wissen, dass es so nicht mehr weitergehen konnte“, sagt der stellvertretende Betriebsratschef bei Carl Tiedemann, Jan Gutowski. Zehles Ausscheiden markiert nämlich zugleich den Schlusspunkt einer monatelangen Auseinandersetzung zwischen ihr und der Belegschaft. Seit Monaten gab es Probleme bei der Zahlung der Löhne. „Im Juni wurde nur ein Abschlag bezahlt, und für Juli und August haben die Beschäftigten noch gar keinen Lohn gesehen“, sagt Gutowski. Beschäftigte blieben der Arbeit fern, sie meldeten sich krank. Als es zu Verzögerungen von Schiffsabfertigungen kam, zog der Hauptkunde, die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), die Reißleine und entzog Tiedemann alle Aufträge.

Insolvenzverwalter spricht mit HHLA über neue Aufträge

Deshalb hatte der Betriebsrat seinerseits für die Firma einen Insolvenzantrag gestellt. Die Hoffnung der Mitarbeiter ist, dass es ihnen ähnlich ergeht, wie den Kollegen bei der Tiedemann-Tochter Lasch Company Hamburg (LCH). Auch hier war Zehle Gehaltszahlungen schuldig geblieben und hatte bereits Ende Juli den Insolvenzantrag gestellt. Rechtsanwalt Thies hat als vorläufiger Insolvenzverwalter auch hier die Leitung der Geschäfte übernommen. Der Betrieb läuft weiter.

Die 116 LCH-Beschäftigten bekommen ihren Lohn derzeit von der Bundesagentur für Arbeit bezahlt. Sobald das Amtsgericht das Insolvenzverfahren formal eröffnet, will Thies die LCH weiterführen und die Mitarbeiter aus der Insolvenzmasse bezahlen. „Wir gehen nach Gesprächen mit dem Insolvenzverwalter davon aus, dass für die LCH in absehbarer Zeit eine tragfähige Lösung gefunden wird“, bestätigte ein HHLA-Sprecher dem Abendblatt.

Nun werde mit der HHLA auch über Aufträge für die LCH-Mutterfirma Tiedemann verhandelt, ließ Insolvenzverwalter Thies über einen Sprecher ausrichten. Am Freitag sei eine Betriebsversammlung geplant, bei der er die Mitarbeiter über die Zukunft des Unternehmens unterrichten wolle. Ihr Einkommen ist vorerst gesichert. Bis zum 30. September wird die Bundesagentur für Arbeit aus dem Insolvenzgeld die Löhne und Gehälter bezahlen. Auch die Betriebsrenten sind laut Thies gesichert. Hier muss im Falle der Abwicklung der Firma der Pensionssicherungsverein einspringen. Nicht von der Insolvenz betroffen ist das Tiedemann-Tochterunternehmen LHU, das seit 1993 Dienstleistungen im Luftfrachtumschlag am Hamburger Flughafen anbietet. Es untersteht weiter Zehle.

Die Hafenlöwin selbst sagte dem Abendblatt, sie sei zutiefst traurig über das Geschehen. „Bis zum 30. Juni hat die Carl Tiedemann Gruppe Gewinn gemacht. Wir dachten, wir schaffen das.“ Dann habe die HHLA überraschend die Aufträge zurückgezogen. „Seitdem haben wir Woche für Woche 180.000 Euro verloren. So blieb uns nur die Insolvenz.“ Ihr Unternehmen sei zwischen Gewerkschaften und der HHLA aufgerieben worden, sagt Zehle.