Hamburg. Das Abendblatt fragt immer freitags die Menschen in der Stadt, worüber sie sich ärgern oder freuen. Heute Teil 17: Engin Barak.

Wie es ist, wenn man als Flüchtling in einer fremden Welt bestehen muss, weiß Engin Barak nur zu gut. Vor 20 Jahren flohen seine Eltern, kurdische Aleviten, mit ihm und seiner Schwester aus Ostanatolien (Türkei) nach Deutschland. Die Familie integrierte sich schnell. Doch angesichts der Flüchtlingskrise und des Messerangriffs in Barmbek beschäftigt Engin Barak das Thema Integration wieder sehr.

Es sind Menschen wie er, die in dieser Reihe zu Wort kommen. Sie bekleiden kein politisches Amt und vertreten keine Interessen von Vereinen, Verbänden oder Berufsständen, sondern sind ganz normale Hamburger mit ihrem eigenen Blick auf das Leben in unserer Stadt.

Der in einem Asylbewerberheim in der Gemeinde Harrislee bei Flensburg aufgewachsene Engin Barak lebt heute in Horn. Seit seiner Fachhochschulreife war er fast durchgehend selbstständig. Seit 2011 betreibt er eine Postfiliale auf der Uhlenhorst, eine zweite in Hamburg hat er aufgegeben, um Ende vergangenen Jahres die Postfiliale in Harrislee zu übernehmen und damit vor der Schließung bewahren zu können. Dort bietet er auch Finanzdienstleistungen der Postbank an.

Herr Barak, was bewegt Sie gerade?

Engin Barak: Auch wenn es jetzt schon vier Wochen her ist, bewegt mich das Attentat von Barmbek immer noch sehr. Und zwar aus verschiedenen Gründen. Zum einen wird hier die Tat eines Einzelnen weitere Vorurteile gegenüber uns Muslimen schüren. Ich möchte aber nicht nach meiner Religion bewertet werden, sondern nach dem, was ich tue. Es darf auch nicht sein, dass wir in ständiger Angst vor solchen Angriffen leben. Wir dürfen uns nicht einschüchtern und einschränken lassen. Auch nicht davon, dass gerade eine große Wanderung Richtung Europa und Deutschland stattfindet und niemand weiß, wo das hinführt.

Was bedeutet es für Sie, dass fast alle Barmbeker, die den Angreifer gestoppt haben, selber einen Migrationshintergrund haben?

Barak: Die Symbolik gefällt mir. Sie haben sich dem Angreifer für die Gesellschaft entgegengestellt, obwohl er muslimisch ist, so wie die meisten von ihnen.

Wie könnte man Ihrer Meinung nach verhindern, dass sich Jugendliche radikalisieren?

Barak: Man muss ihnen Perspektiven bieten. Denn wenn man nichts zu verlieren hat, hält einen auch nichts auf. Das gilt gerade für die jungen Migranten, die keine Familie und keinen Freundeskreis haben.

Wie lief Ihre Integration ab?

Barak: Da waren auf der einen Seite unsere Eltern, die uns angehalten haben, schnell Deutsch zu lernen und die Schule wichtig zu nehmen. Tatsächlich konnte ich nach zwei Jahren in der Schule mithalten. Später hat mir die Förderung durch den DIDF geholfen, in dem sich mein Vater engagiert hat (Anm. der Red.: ein demokratischer, gewerkschaftsnaher Dachverband türkischer Arbeiter- und Kulturvereine). Aber es gab auch viele Nachbarn, die uns mit ihren Kindern im Ausländerheim besucht haben – ich habe noch viele deutsche Freunde aus dieser Zeit. Und ich bin mir sicher: Wenn in Deutschland alle mitziehen würden, könnten sich alle Menschen mit Migrationshintergrund in­tegrieren, die Teil der Gesellschaft sein wollen. Jugendliche brauchen dabei besonders viel Unterstützung.

Postleistungen an mehr als 400 Standorten

Weil sie sonst leicht radikalisiert werden könnten?

Barak: Ja. Wenn ich meine Eltern in Mümmelmannsberg besuche, sehe ich Salafisten an Straßenecken auf Jugendliche einreden. Viele von denen haben das Vertrauen in ihre Familien und ihre Religion verloren. Ich kenne zwei alevitische Familien, deren Söhne sich dem „IS“ angeschlossen haben, dabei sind Aleviten äußerst demokratische Moslems. Bei dieser offensichtlichen Rekrutierung von Jugendlichen frage ich mich, warum da niemand eingreift. In Mümmelmannsberg gibt es mittlerweile auch viele deutsche Frauen, die radikale Männer geheiratet haben und sich jetzt schwarz verschleiern.

Haben Sie keine Angst, dass Sie Ärger kriegen, wenn Sie das hier so offen ansprechen?

Barak: Nein. Ich will mich nicht einschränken lassen. Mein Volk wird in der Türkei seit vielen Jahrzehnten unterdrückt, verfolgt und gejagt. Deshalb ist meine Familie nach Deutschland gekommen. Weil man hier sagen kann, was man denkt.

Ist man Ihnen, dem gut Integrierten, schon mal mit Vorurteilen begegnet?

Barak: Oh, ja (lacht). Am Anfang hier auf der Uhlenhorst. Als der Laden damals umgebaut wurde, haben mich manche schief angeguckt und gefragt, ob hier ein Obst- und Gemüsehöker reinkommt. Aber sie haben mittlerweile gemerkt, dass Ausländer auch eine Post führen können, und sind jetzt Stammkunden geworden.

Haben Sie viele Stammkunden?

Barak: Ja, 90 Prozent meiner Kunden kommen zu mir, obwohl sie ihre Briefmarken auch woanders kaufen könnten. Das macht mich stolz.

Worüber freuen Sie sich noch?

Barak: Dass ich in Harrislee die Post übernehmen und für die Menschen dort erhalten konnte. Damit kann ich der Gemeinde etwas zurückgeben für das, was sie damals für mich, den jungen Ausländer, getan hat.