Hamburg. Das Abendblatt fragt immer freitags die Menschen, worüber sie sich ärgern oder freuen. Heute: Skipper Rainer Tatenhorst.

Es ist gar nicht so einfach, mit ihm einen Gesprächstermin zu vereinbaren: Mal meldet er sich von den Orkney-Inseln oben in Schottland, wo er einen Überführungsjob auf einer Hochseeyacht übernommen hat. Oder er ist mit einem anderen Schiff wieder unterwegs nach Sylt – als Skipper und Coach eines Unternehmens, das seine Führungscrew an Bord besser zusammenschweißen will. Rainer Tatenhorst wirkt dabei aber überhaupt nicht gestresst. „Ich mache jetzt das, was ich wirklich will und mag“, sagt der 47 Jahre alte gelernte Kaufmann, der in einer kleinen Wohnung im Blankeneser Treppenviertel lebt und als freiberuflicher Segelausbilder und Unternehmens­coach auf Schiffen arbeitet.

Coaching

Das war nicht immer so. Zehn Jahre lang arbeitete er zuvor in einem kunstStoff verarbeitenden Betrieb in Nordrhein-Westfalen als Geschäftsführer. Zwar segelt er schon seit Jugendtagen, hat etliche Befähigungszeugnisse dazu, doch Segeln war immer nur das Hobby, für das so wenig Zeit blieb. Dann kam der Bruch, wie er sagt, als er erkannt habe, dass großes Auto, Haus und hohes Einkommen eigentlich nicht die Ziele sind, die er ewig weiterverfolgen möchte. Seine Ehe kriselte zudem, Tatenhorst wagt daher seit Kurzem einen radikalen Neuanfang – und lernt dabei einen neuen Blick auf das Leben: In Deutschland wird viel zu viel gejammert, glaubt er. Man müsse daher mehr auf seine innere Stimme hören, um glücklich und zufrieden zu sein.

Es sind Menschen wie Rainer Tatenhorst, die in dieser Gesprächsreihe zu Wort kommen. Menschen, die nicht einer Partei oder einem Verband angehören, sondern meist zufällig ausgewählte Hamburger, die spontan erzählen, was sie gerade besonders bewegt.

Was bewegt Sie gerade besonders?

Rainer Tatenhorst: Ich hatte lange schon Angst, ob ich das schaffen könnte, wenn ich den Job einfach so aufgebe. Immerhin habe ich auch drei Kinder und Unterhaltsverpflichtungen, die ich auch erfüllen möchte. Aber ich wollte erfahren, ob ich mit weniger auskommen kann.

Und, geht es?

Tatenhorst: Tatenhorst: Ja, ich kann als Skipper überleben, das weiß ich jetzt. Aber ich habe auch alles verkauft: das Auto, das Haus und auch mein Boot. Diesen Abschied vom Wohlstand wollte meine Frau nicht mitgehen, wir haben uns aber ohne Streit getrennt.

Die Ehekrise als Bruch, der Klassiker also?

Tatenhorst: Nein, da kam vieles zusammen. Ich habe als Geschäftsführer ja lange ein Unternehmen geleitet und bin so auch in einer problematischen Lage mit dem Coaching in Kontakt gekommen, was sich als erfolgreicher Weg erwies. Aber letztlich kam der Bruch, als ich das Unternehmen übernehmen sollte und die Finanzierung schwierig wurde. Ich habe mich da gefragt, ob das wirklich mein Ziel ist, ob ich wirklich glücklich damit bin und auf dem Sterbebett sagen werde: Ja, das war der richtige Weg? Aber was bringt mir denn das tolle neue Auto, das ich mir plötzlich leisten kann? Nach drei Wochen ist es alt, und man schaut sich schon nach einem anderen um.

Also plädieren Sie eher für ein gänzlich anderes Leben in Bescheidenheit oder sogar Askese?

Tatenhorst: Nein, so ist es nicht. Der Verzicht ist sozusagen mein Startkapital, um das zu machen, was ich wirklich will. Und damit will ich auch Erfolg haben, ganz klar. Das ist im Übrigen eine wichtige Erkenntnis. Glücklich und erfolgreich wird man, glaube ich, nur, wenn man seine Aufgabe und seinen Job und die Leute und Kollegen wirklich mag. Aber tatsächlich herrscht doch in vielen Unternehmen eine latente Unzufriedenheit, das merke ich als Coach immer wieder.

Woran mag das liegen?

Tatenhorst: Ich glaube, in Deutschland wird einfach zu viel gejammert. Vor Kurzem bin ich von einem Törn in Schottland zurück am Hamburger Flughafen angekommen, entspannte, nette Leute dort oben. Aber eigentlich auch oft arm, die haben es nicht einfach. Und worüber regen sich die Menschen am Hamburger Flughafen auf? Der Weg zum Gepäckband sei lang! Der Weg zum Gepäckband, das muss man sich einmal vorstellen – was ist das denn für ein Problem? Nein, gerade hier in Deutschland leben wir doch in einer sozialen Sicherheit, in der man so vieles wagen kann, ohne wirklich echte Probleme zu bekommen.

Wie man mit echten Problemen fertig wird, das kann man an Bord einer Yacht lernen, sagen Sie?

Tatenhorst: Ja, ich glaube, man kann auf einem Schiff viel fürs Leben lernen: Und es gibt da auch viele Analogien zur Wirtschaft, deshalb glaube ich an diese Kombination aus Segeln und Erkenntnis­gewinn. Ein alter Kapitän hat einmal zu mir gesagt: „Einen Sturm kann man nicht wegdiskutieren.“ Gefragt sind dann klare Anweisungen. Und das gilt auch für Unternehmen. Aber durch den Sturm kommt man auch nur als Mannschaft, als Team. Führungskräfte haben da oft ein Problem mit, sie lassen sich nicht gerne etwas sagen, das merke ich an Bord immer wieder. Wer sich etwas sagen lässt, der gehört zu den Lämmern, das denken die und wollen ihr Ding durchziehen. Das funktioniert aber nicht. Nicht an Bord und auch nicht an Land.