Hamburg. Karl L. war bereits mehrmals entflohen. Um ihn zu fassen, setzt die Polizei nun Zielfahnder ein. CDU fordert Steffens Rücktritt.
Karl L. kannte das Prozedere genau. Ein Beamter begleitete den Schwerverbrecher von der JVA Fuhlsbüttel bis zur Tür seines Psychotherapeuten an den Colonnaden (Neustadt) und wartete dort. Eine Stunde Sitzung, dann ging es zurück. Als die Therapiestunde am Donnerstag bereits nach 30 Minuten endete, ergriff der Sicherungsverwahrte die Flucht über einen Nebenausgang (Abendblatt berichtete). Die Polizei fahndet intensiv nach dem potenziell gewaltbereiten Sicherungsverwahrten. Justizsenator Till Steffen (Grüne) gerät durch den Fall erneut in Bedrängnis.
Der Senator habe angesichts der erneuten Panne in der Justiz „das Vertrauen verspielt“, sagte CDU-Fraktionschef André Trepoll dem Abendblatt. „Bürgermeister Scholz muss die Notbremse ziehen und Steffen entlassen. Genug ist genug.“ Die justizpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Anna von Treuenfels-Frowein, warf Steffen vor, eine Überarbeitung des Sicherheitskonzeptes für Gefangenen- Ausgänge bislang versäumt zu haben.
Fall Karl L.: Offenbar mehrfach falsche Einschätzungen getroffen
Vor dem Justizausschuss der Bürgerschaft nahm Steffen am Freitagabend Stellung zu den Vorgängen. „Der Bedienstete wartete während der Therapiesitzung vor dem Hauseingang, den er ständig im Blick hatte. Das war der vereinbarte Treffpunkt“, sagte Steffen. Noch gebe es keine Erkenntnis darüber, wie es Karl L. gelungen sei, das Haus zu verlassen. „Es ist allerdings nicht unmöglich, es auf anderem Weg zu verlassen“, so der Senator. Offen sei derzeit auch noch, warum die Justizvollzugsanstalt erst von dem vorzeitigen Abbruch der Therapiesitzung erfahren habe, nachdem sich der Beamte in der Praxis erkundigt hatte. „Wir müssen mit dem Therapeuten klären, was für diesen Fall abgesprochen war.“
Im Fall von Karl L. wurden offenbar mehrfach falsche Einschätzungen getroffen. Der 48-Jährige ist ein Berufskrimineller und verbrachte einen Großteil der vergangenen 20 Jahre im Gefängnis. Im Jahr 2006 bedrohte Karl L. etwa zwei Polizisten mit einer Gaspistole vor einem Kindergarten in St. Georg. Drei Jahre später wurde er wegen mehrerer Raubdelikte zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Vor seiner jüngsten Haftstrafe war Karl L. zweimal aus der Kontrolle der Justiz geflohen: Einmal entwich er aus der Strafhaft, ein weiteres Mal aus einer sozialtherapeutischen Einrichtung. Eine Boulevardzeitung betitelte Karl L. als „Ausbrecher-König“.
Zwölf Besuche beim Therapeuten ohne Zwischenfälle
Seit Beginn der Sicherungsverwahrung im Jahr 2014 wurde die Gefährlichkeit des Mannes jährlich mithilfe von Gutachtern überprüft. Während die JVA Fuhlsbüttel für eine strikte Handhabung plädierte, sahen die Sachverständigen jeweils Lockerungen für den Gefangenen als zwingend geboten an. Ein Gericht folgte dieser Auffassung: Im Jahr 2016 wurden erstmals begleitete Ausgänge angeordnet, bei denen Sicherungsverwahrte nicht gefesselt oder streng bewacht werden.
Im letzten Gutachten hieß es, der Fokus müsse nun eindeutig auf der Rehabilitierung des Mannes als Teil der Gesellschaft liegen. Zwölfmal verliefen die ebenfalls angeordneten Besuche beim Psychotherapeuten ohne Zwischenfälle, bis zum Donnerstag.
Steffen erläuterte den Abgeordneten, dass der Vollzugsbeamte bei diesem Stand der Lockerung „nicht mehr Bewacher, sondern Begleiter ist“. Bei diesen Ausgängen werde „keine ständige, unmittelbare Aufsicht ausgeübt“. Es sei „nicht mehr die Aufgabe, eine Flucht zu verhindern“.
Zielfahnder sind aufs Aufspüren spezialisiert
„Die Gutachter haben sich geirrt. Das passiert. Es gab aber offensichtlich kein Verfahren, das zur Übergabe des Sicherungsverwahrten vereinbart worden war“, kritisierte der CDU-Justizpolitiker Richard Seelmaecker, der eine Gesetzesänderung ins Gespräch brachte, wonach Gefangene in solchen Fällen eine Fußfessel tragen müssten.
Um Karl L. zu fassen, setzt die Polizei sogenannte Zielfahnder ein, die auf das Aufspüren von flüchtigen Tätern spezialisiert sind. Der 48-Jährige stammt aus einer bekannten Hamburger Großfamilie. Eine Öffentlichkeitsfahndung wurde nicht beantragt. „Es gibt konkrete Ermittlungsansätze, denen wir nachgehen“, sagte Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft.