Hamburg. Sönke Fock über die Aussichten für 2017, die Integration von Flüchtlingen und den Verlust von Firmenzentralen in der Hansestadt.

Der Arbeitsmarkthat sich 2016 besser entwickelt als erwartet. Hamburg profitierte von der hohen Nachfrage nach Arbeitskräften und dem ausgewogenen Branchenmix. Auch im kommenden Jahr werden 10.000 weitere sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen, erwartet der Chef der Agentur für Arbeit Hamburg, Sönke Fock. Doch er sieht auch neue Belastungen auf den Arbeitsmarkt zukommen.

Leitartikel: Neue Jobs für Hamburg

Seit August sinkt die Arbeitslosigkeit in Hamburg. Wird sich dieser Trend 2017 fortsetzen?

Sönke Fock: Das ist nicht zu erwarten. Im Durchschnitt gehe ich für 2017 von einem leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit aus. Zwar ist die Zahl der Jobsuchenden in den letzten Monaten deutlich unter 70.000 gefallen. Aber im Schnitt des Jahres 2016 waren bis Ende November rund 70.700 Hamburger auf Jobsuche. Im nächsten Jahr werden es voraussichtlich im Schnitt bis zu 2000 mehr sein. Schon aus saisonalen Gründen rechnen wir für den Januar 2017 mit einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die Erfahrungen zeigen, dass die Arbeitslosigkeit im Januar um 4000 bis 6000 Jobsuchende zunehmen wird.

Was sind die Gründe für die Wende am Arbeitsmarkt?

Fock: Es gibt eine Reihe von Indikatoren, die für eine Trendumkehr am Arbeitsmarkt sprechen, die wir eigentlich schon für das Jahr 2016 erwartet haben. Die Stellenangebote sind zwar im Jahresvergleich um 2400 auf 49.600 gestiegen. Auf der Bewerberseite wird aber auch die Zahl der Menschen zunehmen, die einen neuen Arbeitsplatz suchen, aber jetzt noch nicht zu den Arbeitslosen zählen, weil sie eine Qualifizierung oder einen Sprachkurs absolvieren. Das trifft vor allem auf die anerkannten Flüchtlinge zu. Auch die Zahl der Personen, die sich aus der Statistik wieder in die Erwerbstätigkeit abmelden, nimmt um 300 pro Monat ab. Zudem geht das Wirtschaftswachstum 2017 leicht zurück. Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten nur noch ein Wachstum von einem Prozent für das kommende Jahr. 2016 wird das Wirtschaftswachstum noch bei 1,7 Prozent liegen.

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Verdeckt die niedrige Arbeitslosenzahl nicht, dass viel mehr Hamburger Arbeit suchen?

Fock: Wer für den Arbeitsmarkt unmittelbar zur Verfügung steht, ist in der Zahl der Arbeitslosen erfasst. Daran gibt es nichts zu rütteln. Viele bedürfen einer Förderung, um für den Arbeitsmarkt fit zu werden. Andere haben bereits eine Stelle, die von der Arbeitsagentur gefördert wird. Allein diese beiden Bereiche umfassen fast 14.000 Personen. Addiert man diese und andere Gruppen, suchen 30.000 Hamburger mehr eine neue Stelle als die in der Arbeitslosenzahl von 67.700 Erfassten.

Was ist mit den Flüchtlingen?

Fock: Langfristig streben in Hamburg insgesamt rund 18.700 geflüchtete Menschen auf den Arbeitsmarkt. Erst 4300 davon sind in der Arbeitslosenzahl erfasst. Die anderen befinden sich überwiegend in Maßnahmen wie Deutschkurs, Praktika, Qualifizierung oder Kompetenzfeststellung. Sie werden auch nicht alle kurzfristig direkt auf den Arbeitsmarkt kommen. Nach den bisherigen Erfahrungen haben etwa zehn Prozent das Potenzial, kurzfristig in den Arbeitsmarkt vermittelt zu werden.

Wo liegen die Probleme?

Fock: Das wichtigste ist der Spracherwerb. Der erste Sprachkurs ermöglicht zwar eine Verständigung, aber reicht nicht aus, um eine Prüfung abzulegen oder fachspezifische Dinge zu verstehen. Die Kompetenzen, die die Flüchtlinge angeben, müssen bei praktischen Übungen überprüft werden. Das soll in Betrieben, die Arbeitskräfte benötigen, und bei Bildungsdienstleistern erfolgen. Parallel müssen die Sprachkenntnisse weiter verbessert werden, um die Integration zu verbessern.

Ein neues Modell soll die Flüchtlinge schneller in Arbeit bringen.

Fock: Bei Work First (Arbeit zuerst) geht es um Flüchtlinge, die älter als 25 Jahre sind und die nicht erst nach jahrelanger Ausbildung eine Arbeit aufnehmen wollen. Hier geht es in Zusammenarbeit mit Betrieben darum, fachspezifischen Spracherwerb, Arbeiten und Qualifizieren in einem neuen Modell zu kombinieren. Damit die Betriebe mit den Herausforderungen nicht allein bleiben, wird es Kümmerer geben, die Flüchtlinge und Firmen organisatorisch unterstützen. Wir haben das Programm von Vorstand und Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit bei Kammern und Verbänden vorgestellt, und es ist gut angekommen.

Wie wird sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im nächsten Jahr entwickeln?

Fock: Wir erwarten einen weiteren Zuwachs bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Konservativ ist mit einem Plus von knapp 10.000 Beschäftigten zu rechnen. Seit Dezember 2015 sind rund 11.000 Beschäftigte in Hamburg hinzugekommen. Der Zuwachs erstreckt sich auf fast alle Branchen mit Ausnahme der Finanz- und Versicherungsdienstleistungen.

Warum profitieren davon nicht stärker die Arbeitslosen?

Fock: Die neuen Stellen werden nicht nur mit Arbeitslosen aus Hamburg besetzt. Der Hamburger Arbeitsmarkt ist sehr attraktiv und zieht auch viele an, die nicht in Hamburg wohnen. Knapp jeder dritte Beschäftigte pendelt nach Hamburg. 45 Prozent der Arbeitslosen können nicht von neuen Stellen profitieren, weil sie nicht die Anforderungen erfüllen.

Hamburg verliert immer mehr Firmenzentralen, zuletzt bei der Reederei Hamburg Süd. Welche Folgen hat das für den Arbeitsmarkt?

Fock: Das ist nicht gut. Es ist immer besser, wenn die Personalverantwortlichen direkt in Hamburg ansässig sind. Denn der persönliche Kontakt zwischen Firmen und Arbeitsagentur zahlt sich aus. Die Stärken der von uns zu vermittelnden Bewerber können durch persönliche Vorstellung besser als mit der bloßen Papierform präsentiert und überzeugender dargestellt werden. Das ist besonders wichtig für Bewerber, die erst auf den zweiten Blick mit den Anforderungsprofilen der Unternehmen übereinstimmen.