Hamburg. Der Abgeordnete Philipp Heißner ist nach Senatsanfrage sicher, dass es Mittäter in der Behörde gab.

War der Betrug im Jugendamt Hamburg-Mitte, bei dem der Regionalleiter M. zusammen mit einem Komplizen außerhalb der Behörde mehrere Hunderttausend Euro unterschlagen haben soll, wirklich der Alleingang eines Betrüger-Duos? Oder hatte der Mitarbeiter, der sich die Gelder durch fingierte Hilfefälle erschlichen haben soll, noch weitere Mittäter im Amt?

Anhaltspunkte dafür ergeben sich aus der Antwort des Senats auf die schriftliche Kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Philipp Heißner. Danach nämlich greifen bei den sogenannten Hilfen zur Erziehung (HzE) für Familien, die vom Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) bei der Bewältigung von Problemen im Alltag unterstützt werden, zahlreiche Kontrollmechanismen.

„Kommt die fallzuständige Fachkraft (FFK) zur Einschätzung, dass eine Hilfe zur Erziehung fachlich notwendig und geeignet ist, muss sie den Fall kollegial beraten“, heißt es zur Frage nach den Kontrollinstrumenten, um ein Anlegen von fiktiven Fällen zu vermeiden. Dieses Vorgehen, so der Senat in seiner Antwort weiter, „umfasst die Beratung durch weitere ASD-Fachkräfte sowie die ASD-Leitung“.

Kommentar: Betrug im Bezirk Mitte

Ein Alleingang eines einzelnen Mitarbeiters soll weiterhin ausgeschlossen werden durch die genaue „Leistungsbeschreibung“ der Unterstützung und „das jeweilige Hilfeplan-Protokoll des zuständigen ASD mit den entsprechenden Vereinbarungen zwischen den Beteiligten“. Eine Begründung der Zahlung liefern außerdem die „Kontaktnachweise des Jugendhilfeträgers“ oder des mit der Hilfsmaßnahme Beauftragten. Und schließlich, so der Senat, ist die Bewilligung einer Leistung „durch einen unmittelbaren Vorgesetzten zu kontrollieren und freizugeben“.

Für Philipp Heißner steht fest: „Die Erkenntnisse der letzten Tage lassen nur den Schluss zu, dass höchst auffälliges Verhalten eines offenbar betrügerischen Mitarbeiters jahrelang von dessen Vorgesetzten gedeckt wurde. Die fiktiven Familienhilfen in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro waren dem Beschuldigten von seinen Vorgesetzten bewilligt worden. Es beweist das vollkommene Versagen der Strukturen im Bezirksamt Mitte, dass diese systematische Veruntreuung so lange geschehen konnte, ohne dass jemand etwas bemerkt haben will.“

Auch der langjährige Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) habe „seinen Laden offenkundig nicht im Griff gehabt“. Heißner: „Die von Grote nach dem Tode Yagmurs groß angekündigte Umstrukturierung des Jugendamts konnte diesen neuerlichen Skandal nicht verhindern. Der heutige Bezirksamtsleiter Falko Droßmann saß gemeinsam mit dem beschuldigten Mitarbeiter jahrelang im Jugendhilfeausschuss. Es wird immer deutlicher, wie dicht der Filz im Bezirksamt Mitte ist.“

Dezernat bereits seit dem 11. August 2016 mit Fall befasst

Aus den Senatsantworten ergeben sich weitere Details zum Sachverhalt. Danach ist das Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) der Behörde für Inneres und Sport bereits seit dem 11. August 2016 mit dem Fall befasst. Sieben Wochen später, am 29. September, hat sich dann die Staatsanwaltschaft der brisanten Angelegenheit angenommen.

Knapp zwei Monate später, am 21. November, haben die Ermittler sowohl die Wohnungen der beiden Beschuldigten durchsucht als auch Unterlagen wie Speichermedien und Akten im Jugendamt „wegen einer noch unbekannten Vielzahl von Betrugs- und Untreuetaten“ sichergestellt.

Das Bezirksamt Mitte steht im
Mittelpunkt des Jugendamt-Skandals
Das Bezirksamt Mitte steht im Mittelpunkt des Jugendamt-Skandals © HA | Roland Magunia

Am selben Tag hat das Bezirksamt Hamburg-Mitte seinen Regionalleiter vom Dienst freigestellt, ihm das Betreten der Diensträume untersagt und seinen Zugang zum IT-Arbeitsbereich gesperrt. Neun Tage später, am 30. November, wurde der Mitarbeiter vom Bezirksamt außerordentlich fristlos gekündigt. Falko Droßmann (SPD), der erst seit dem 25. Februar Bezirksamtsleiter ist, hatte den Fall am 23. November publik gemacht und „eine lückenlose Aufklärung“ der Vorwürfe versprochen: „Wir alle sind schockiert über die Vorwürfe, die hier im Raum stehen.“

Gelder für Familien in Pro­blemlagen steigen seit Jahren an

Bewilligt werden die Gelder für die Hilfen zur Erziehung durch die Abteilung Wirtschaftliche Jugendhilfe (WJH) im Bezirksamt. Dort soll einem Mitarbeiter aufgefallen sein, dass der beschuldigte ASD-Mitarbeiter immer wieder Zahlungen selbst angeordnet hat, obwohl das eigentlich Sache der zuständigen Fallfachkräfte ist. Daraufhin wandte sich der Mann im Sommer an das Dezernat Interne Ermittlungen.

Die Gelder für Familien in Pro­blemlagen in Hamburg steigen seit Jahren an. Gab die Stadt im Jahr 2005 noch 129,48 Millionen Euro aus, stiegen die Ausgaben für Hilfen zur Erziehung innerhalb von zehn Jahren um mehr als das Doppelte auf insgesamt 294,85 Millionen Euro im Jahr 2015.