Hunderttausende Euro unterschlagen – hat die Selbstbedienung System?

Ein Regionalleiter im Jugendamt Hamburg-Mitte soll zusammen mit einem Komplizen mehrere Hundert­tausend Euro veruntreut haben. Der hochrangige Mitarbeiter im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) ist fristlos gekündigt, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Frage, die im Raum steht: Handelte es sich bei dem mutmaßlichen Betrug, der über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt stattgefunden haben soll, wirklich um einen Alleingang?

Es gibt auf diese Frage nur zwei mögliche Antworten. Denn das Jugendamt, das 2015 für die sogenannten Hilfen zur Erziehung in Hamburg 295 Millionen Euro (2005 waren es 130 Millionen Euro) ausgegeben hat, ist kein Selbst­bedienungsladen. Jede einzelne Maßnahme zur Unterstützung von Familien unterliegt zahlreichen standardisierten Kontrollinstrumenten. Die Hilfen müssen beschrieben, begründet und überprüft werden. Es muss ein Hilfeplan-Protokoll geben. Die Notwendigkeit der Maßnahme muss in einer Beratung unter Kollegen als fachlich geeignet eingeordnet werden. Die Bewilligung der Leistung ist schließlich durch einen unmittelbaren Vorgesetzten zu kontrollieren. Und freizugeben.

Möglichkeit eins: Wenn dennoch länger als ein Jahrzehnt ein Mitarbeiter, der in diesem Zeitraum bis zum Regionalleiter befördert worden ist, durch fingierte Fälle mehrere Hunderttausend Euro unterschlagen hat, ohne dass dieser massenhafte Betrug aufgefallen ist, muss es im Jugendamt Mitte drunter und drüber gegangen sein. Keine Kon-trolle, keine Protokolle, keine kollegiale Beratung in unzähligen Fällen und über Jahre – wie kann das sein?

Oder aber, Variante zwei: Das Aushebeln sämtlicher Kontrollinstrumente hatte System und ist das Werk mehrerer. Auch das mag man sich nicht vorstellen.