Hamburg. Prof. Burkhard Göke ist seit einem Jahr Chef des UKE. Der 59-Jährige über Umbaupläne, Forschungsprojekte und Unterschiede zu München.
In seinem aufgeräumten Arbeitszimmer im alten UKE-Gebäude an der Martinistraße hängt der Vereinswimpel von Schalke 04. Daneben zeigt ein Foto das legendäre 3:2 des Engländers Geoff Hurst im WM-Finale 1966 gegen Deutschland. Hurst und der deutsche Torwart Hans Tilkowski haben das Bild signiert von dem Tor, das keines war. „Ich bin ganz gut mit Hans Tilkowski befreundet, obwohl er ja Borusse ist“, sagt Professor Burkhard Göke. Vor einem Jahr wechselte der 59 Jahre alte Internist von der Münchner Uniklinik nach Hamburg als neuer Ärztlicher Direktor des UKE.
„Wissen Sie noch, dass ich Ihnen damals gesagt habe, dass der HSV und St. Pauli nicht absteigen werden?“, sagt Göke. Der Fußball-Fan, der in seiner Jugend beim VfL Wolfsburg gekickt hat und Vater von acht Kindern ist, sollte recht behalten. Seine beiden Jüngsten sind mit ihren Eltern an die Elbe gekommen. Dank des Sports haben sie hier schnell Anschluss gefunden, sagt er. Die Tochter, 15, spielt Volleyball, der Sohn, 17, Fußball.
Hat der Professor den Wechsel von München nach Hamburg schon einmal bereut? „Stand nach einem Jahr: nein“, sagt Göke. Mit dem Abendblatt sprach der UKE-Chef über das erste Jahr seiner Amtszeit und seine Pläne für das Uniklinikum.
Hamburger Abendblatt: Herr Professor Göke, Sie sind seit einem Jahr Ärztlicher Direktor im UKE, man hört aber wenig bis gar nichts von Ihnen. Arbeiten Sie gerne im Hintergrund?
Prof. Burkhard Göke: Wir haben hier sehr viele gute Leute, und als ich gekommen bin, hatte ich nicht das Gefühl, dass ich allen erzählen muss, wie es funktioniert. Das wissen die Mitarbeiter schon selbst sehr gut. Ich bin eher wie ein Konzertmeister, der das Orchester ganz gerne dirigiert, aber nicht jedes Stück schreiben muss.
Scheuen Sie das Rampenlicht?
Göke: Nein, aber ich habe kein Bedürfnis, mich zu profilieren. Mir geht es um Inhalte und die konzeptionelle Entwicklung am UKE. Es war erst einmal wichtig für mich, durch Gespräche mit den Mitarbeitern viel zu lernen und zu verstehen, wie das UKE funktioniert.
Sie haben in Ihrem ersten Interview von einer „Aufbruchsstimmung“ gesprochen, die Sie im UKE gespürt haben. Hat sich dieser Eindruck bestätigt?
Göke: Auf jeden Fall. Und mit entscheidend dafür war der Bau des Neuen Klinikums. Die Aufteilung in einzelne medizinische Zentren, in denen jetzt eigenverantwortlich gearbeitet und gewirtschaftet wird, stellte einen Kulturwandel dar. Die Abkehr von dem einst dirigistischen Prinzip hat dazu geführt, dass die einzelnen Zentren heute sehr selbstbewusst auftreten. Das versetzt uns im Vorstand in die sehr komfortable Situation, dass wir bei unseren Entscheidungen unter einer Vielzahl von Vorschlägen und Ideen auswählen können.
Was waren die wichtigsten Stationen in Ihrem ersten Jahr?
Göke: Dass wir einen Generalunternehmer für den Bau der neuen Kinderklinik gefunden haben, der uns von Anfang an garantiert, dass der Bau im Kosten- und im Zeitrahmen abläuft. Auch das Spendenaufkommen ist erfreulich. Von den benötigten 23,5 Millionen sind bisher 17 Millionen eingegangen. Und ich bin sehr optimistisch, dass wir das Geld bis zur Eröffnung der Kinderklinik im Herbst 2017 noch einwerben, weil es in Hamburg eine Anzahl von Persönlichkeiten gibt, die das Projekt sehr wohlwollend begleiten. Wenn Michael Otto zu uns kommt und plötzlich sagt, er gibt zehn statt fünf Millionen Euro, ist das fantastisch.
Wo ist das UKE gut aufgestellt, wo sind noch Veränderungen nötig?
Göke: Unser Versorgungskonzept ist vorbildlich, da sind wir sehr gut aufgestellt. Die größten Herausforderungen sind die baulichen Veränderungen, die auf uns zukommen. Wir wollen ein neues Universitäres Herzzentrum bauen. Die medizinische Entwicklung auf diesem Gebiet ist so rasant, dass unser Herzzentrum auf absehbare Zeit den modernen Anforderungen nicht mehr genügen wird.
Der Umbau des UKE geht also weiter.
Göke: Ja, das Neue Klinikum war der Anfang. Am liebsten wäre mir ein zweites Neues Klinikum auf dem Gelände. Wir brauchen auch ein neues Krebszentrum. Auch unsere psychiatrische Klinik ist in einem Zustand, den wir baulich verbessern und modernisieren müssen. Möglicherweise gelingt es uns auch mithilfe eines Unterstützers, die Kinder- und Jugendpsychiatrie mit einem Neubau und einem neuen Konzept auf neue Beine zu stellen. Und wir brauchen einen zweiten Forschungs-Campus. Denn auch mit dem Forschungs-Campus 1, der sensationell erfolgreich ist und viele kluge Köpfe ans UKE gelockt hat, stoßen wir schon wieder an unsere Grenzen.
Kommen Sie bei den geplanten baulichen Veränderungen mit der vorhandenen Fläche auf dem UKE-Gelände aus?
Göke: Ja, wir würden etwas verdichten oder auch mit anderen Einrichtungen in unmittelbarer Nachbarschaft kooperieren. Wir reden von Entwicklungen, die 2024 abgeschlossen sein sollen.
Woher kommt das Geld? Die Stadt unterstützt das UKE mit 131 Millionen Euro pro Jahr.
Göke: Zum Teil ist die Stadt in der Pflicht, zum Teil müssen wir uns selbst kümmern und Förderer und Sponsoren finden, die uns helfen. Das UKE ist mit knapp 9700 Mitarbeitern der drittgrößte Arbeitgeber der Stadt. Und wir locken viele junge, kluge Leute und helle Köpfe in die Stadt. Warum sollte sich Hamburg nicht auf den Weg machen, um eine Gesundheitsstadt zu werden? Das UKE könnte dabei für ganz Norddeutschland eine Schrittmacherfunktion wahrnehmen. Die Kapazität und das Know-how dafür haben wir in der ganzen Stadt mit vielen attraktiven Gesundheitsangeboten. Und wir sind auch in den angrenzenden Bundesländern mit anderen Kliniken und mit den niedergelassenen Ärzten in Hamburg sehr gut vernetzt. Man könnte spaßeshalber sagen: München leuchtet, Hamburg heilt.
Wie funktioniert das UKE im Unterschied zum Münchner Uniklinikum?
Göke: Sehr gut. Die Münchner Uniklinik funktioniert eher wie eine Behörde, hier in Hamburg ist viel mehr Dynamik. Es gibt mehr unternehmerischen Geist und mehr Köpfe, die Ideen beisteuern. Das UKE ist ein Haus, das vor zehn Jahren auch aufgrund der baulichen Verhältnisse und entsprechender Strukturen nicht den besten Ruf hatte, und in dem heute mit einer hohen Geschwindigkeit sehr viel Neues passiert. Aus einer Klinik, die stark in der Kritik stand, ist innerhalb von zehn Jahren eine Vorzeigeklinik geworden.
Auch wirtschaftlich?
Göke: Ja. Das UKE schreibt als eine der wenigen Unikliniken in Deutschland seit fünf Jahren eine schwarze Null, erwirtschaftet sogar kleine Millionen-Gewinne. Darauf können die Mitarbeiter stolz sein. Wir können aus dem Betriebsergebnis heraus zwar keine großen Sprünge machen, zum Beispiel die ganzen baulichen Erneuerungsmaßnahmen nicht selbst schultern. Das kann aber auch nicht das Prinzip der Universitätsmedizin sein. Dabei geht es neben der Patientenversorgung auch um ein gesellschaftliches Anliegen. Deshalb ist auch ein Teil der Finanzierung Sache des Gemeinwesens. Ich bin ein strikter Gegner der Privatisierung von Universitätskliniken. Ich glaube, der Staat darf sich hier nicht aus seiner Verantwortung stehlen.
Sie haben sich auch dafür ausgesprochen, die Pflege durch eine gute Ausbildung zu stärken. Halten Sie es für einen guten Plan der Bundesregierung, die Ausbildungsgänge von Altenpflegern, Krankenschwestern und Kinderkrankenschwestern zu einer allgemeinen Pflegeausbildung zusammenzulegen?
Göke: Ich halte das für einen guten Ansatz. Wir sehen das eher positiv. Gute Pflege ist für das UKE extrem wichtig. Die Pflegenden sind am nächsten an den Patienten dran.
Geht durch eine solche allgemeine Ausbildung nicht aber viel Spezialwissen verloren?
Göke: Was schadet es dem Altenpfleger, wenn er mehr über Kinderkrankenpflege weiß?
Aber kleine Kinder und alte Leute haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse?
Göke: Diese Kenntnisse können auch durch Zusatzausbildungen erworben werden. Aber was ist verkehrt an einer einheitlichen, qualitativ hochwertigen pflegerischen Grundausbildung, die dann auch entsprechend wertgeschätzt und honoriert wird? Und nach drei Jahren kann dann immer noch eine Spezialisierung stattfinden.
Wie schwer ist es für das UKE, gute Pflegekräfte zu bekommen?
Göke: Die Situation ist in Hamburg ganz gut, in anderen Städten oder Regionen ist es viel problematischer.
Wäre der Pflegeberuf auch eine Chance, um Flüchtlinge zu integrieren?
Göke: Es gibt schon Flüchtlinge, die mit einer entsprechenden Ausbildung zu uns kommen. Aber insgesamt ist es eine zu heterogene Gruppe, um das eindeutig zu beantworten. Die Pflege wird in den unterschiedlichen Kulturen auch sehr unterschiedlich bewertet. In den USA ist die Pflege so hoch angesehen wie der Beruf des Arztes und wird auch gut bezahlt. In anderen Ländern gilt sie dagegen beinahe als Familienangelegenheit. Das ist die Spannweite.
Welche Forschungsprojekte liegen Ihnen besonders am Herzen?
Göke: Im Vordergrund steht die Hamburg City Health Studie, in der 45.000 Hamburger regelmäßig auf bisher unbekannte Risikofaktoren für die großen Volkskrankheiten untersucht werden. Eine so große Studie ist schon eine logistische Herausforderung. Und es wird ein Kardinalthema in unserem Haus sein, dass wir das alles so gut regeln, dass die Studie auch mit Erfolg vorangehen kann.
Auch im Bereich der Versorgungsforschung haben wir viel vor. Zum Beispiel überlegen wir, Forschungsprojekte für einzelne Bereiche aufzusetzen, in denen wir untersuchen, wie es den Patienten geht, wenn die Behandlung am UKE beendet ist. Ein Beispiel: Ein Patient wird wegen eines Prostatakrebses in der Martiniklinik nach einer bestimmten Operationstechnik operiert. Da wollen wir genauer untersuchen, was aus diesem Patienten wird. Diese Forschung würden wir auch gern auf andere häufige Krankheitsbilder an unserem Hause ausdehnen.
Welche Projekte in der Grundlagenforschung halten Sie für wichtig?
Göke: Das Projekt zur Entwicklung eines Impfstoffes gegen Ebola-Infektionen wird weiterbetrieben. Und es gibt viele Grundlagenprojekte aus der Krebsmedizin, von denen wir uns erhoffen, dass am Ende neue Wirkstoffe gewonnen werden, die für Krebstherapien eingesetzt werden können. Es gibt ein gesellschaftliches Bedürfnis, für die großen Erkrankungen wie Krebskrankheiten und Herz-Kreislauferkrankungen bessere Therapien zu erhalten.
Es steht im UKE also nicht die klinische Forschung gegen die Grundlagenforschung?
Göke: Das ist ein Scheingegensatz. Die klinische Forschung kann ohne die substanzielle Grundlagenforschung keine vernünftigen Hypothesen hervorbringen.
Sie erhoffen sich für Ihre vielfältigen Maßnahmen Unterstützung von privaten Förderern und haben diese ja auch schon erhalten. Ist das in Hamburg einfacher als zum Beispiel in München?
Göke: Ja. Auch hier muss man werben, auch in Hamburg stehen die Menschen nicht mit dem Geldkoffer vor der Tür und warten darauf, ihn abzugeben. Aber hier gibt es mehr Unterstützung. Und Sie dürfen auch nicht vergessen, München liegt in einem Flächenstaat. Da verteilen sich die Gelder anders. Hier ist es einfacher. Denn das UKE ist Hamburg.
Wie viele der knapp 9700 Mitarbeiter haben Sie schon kennengelernt?
Göke: Alle (lacht). Nein, aber ich habe im ersten Jahr alle Kliniken und Einrichtungen besucht und dafür auch sehr viel Zeit aufgewendet. Ich bin ganz gerne mittendrin. Das Problem ist nur: Wenn ich auf dem Sommerfest mit jedem ein Bier trinken würde, der das möchte, hätte ich anschließend große Mühe, heimzufinden.