Hamburg. Die Hamburg City Health Studie soll Risikofaktoren für Volkskrankheiten identifizieren. Heute im Abendblatt: Erkrankung der Herzkranzgefäße.
Warum erleidet jemand, der sein Leben lang Sport getrieben, nie geraucht und sich gesund ernährt hat, einen Herzinfarkt? Diese Frage gibt den Ärzten immer noch Rätsel auf. Antworten erhoffen sich Wissenschaftler am Universitätsklinikum Eppendorf von der Hamburg City Health Studie (HCHS), die jetzt startet und in der 45.000 Einwohner der Hansestadt regelmäßig untersucht werden sollen. Ziel dieser Studie ist es, bisher unbekannte Risikofaktoren für große Volkskrankheiten zu identifizieren.
Zu diesen gehört auch die Erkrankung mit Einengungen der Herzkranzgefäße, die sogenannte koronare Herzkrankheit. Diese Erkrankung, die auch zum Herzinfarkt führen kann, zählt in den Industrienationen zu den führenden Todesursachen. Pro Jahr erleiden mehr als 300.000 Menschen in Deutschland einen Herzinfarkt, mehr als 50.000 Menschen pro Jahr sterben daran.
Klassische Risikofaktoren für eine koronare Herzerkrankung sind hohe Blutfette, Diabetes, Bluthochdruck, Übergewicht und Rauchen. Eine Rolle spielt auch, ob in der Familie bereits jemand einen Schlaganfall erlitten hat oder Durchblutungsstörungen in den Beinen hatte. Früher waren hauptsächlich Männer betroffen. „Das ist heute nicht mehr so, zunehmend leiden auch Frauen daran“, sagt Prof. Karsten Sydow, leitender Oberarzt in der Klinik für Allgemeine und Interventionelle Kardiologe am Universitären Herzzentrum (UHZ) des UKE.
Bemerkbar macht sich die Krankheit zunächst nur bei seelischer oder körperlicher Belastung. So wird zum Beispiel beim Treppensteigen die Luft knapp und auf der Brust lastet ein schmerzhafter Druck, „als ob jemand auf dem Brustkorb sitzt“, sagt Sydow. Dabei können die Schmerzen auch in den Arm, den Oberbauch, Hals und Rücken ausstrahlen. Besonders bei Diabetikern könne Luftnot auch das einzige Symptom sein, weil durch die Zuckerkrankheit die feinen Nervenendigungen geschädigt seien, sodass die Betroffenen den Schmerz nicht mehr fühlten. „Mit dem Fortschreiten der Erkrankung treten die Beschwerden schließlich auch in Ruhe auf. Ist ein Herzkranzgefäß komplett verschlossen, kommt es zum akuten Herzinfarkt. Das heißt, ein Teil des Herzmuskels wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und droht abzusterben. Die Betroffenen leiden unter starken Brustschmerzen und haben Todesangst. Ein solcher Herzinfarkt kann auch innerhalb kurzer Zeit zum Tode führen“, sagt Sydow.
Bei einem Herzinfarkt ist schnelle Hilfe gefragt: unter 112 den Rettungswagen rufen, der den Patienten so schnell wie möglich in die nächste geeignete Klinik bringt. „Wenn aufgrund typischer Veränderungen im Blut und im EKG oder im Herzultraschall die Diagnose Herzinfarkt gestellt ist, versucht der Kardiologe, über einen Herzkatheter die verschlossene Arterie wieder zu öffnen und so die Durchblutung wieder herzustellen“, sagt Sydow.
Damit es gar nicht erst zu einem Herzinfarkt kommt, sollte eine koronare Herzkrankheit so früh wie möglich behandelt werden. „Zunächst sollte man die Risikofaktoren behandeln, das heißt mit Medikamenten die Blutfette, den Blutzucker und den Blutdruck richtig einstellen, das Gewicht reduzieren und den Patienten dazu motivieren, mit dem Rauchen aufzuhören und körperlich aktiv zu sein. Wenn diese Therapie nicht ausreicht, verordnen wir zusätzlich noch Blutverdünner“, sagt Sydow.
Dann stellt sich auch die Frage, ob jemand einen Stent (Gefäßstütze, die Blutgefäße offenhält) oder eine Bypassoperation braucht, bei der die Engstelle durch ein anderes Blutgefäß überbrückt wird. „Diese Entscheidung ist sehr individuell und von dem Zustand des Patienten, seinem Alter und eventuellen Begleiterkrankungen abhängig“, sagt Sydow.
Und es muss auch nicht unbedingt jede Einengung gleich durch einen Stent behandelt werden. „Ein Stent wird nur dann eingesetzt, wenn die Verengung des Blutgefäßes so stark ist, dass sie Durchblutungsstörungen des dahinter liegenden Areals verursacht“, sagt Sydow. Das können die Ärzte am UKE mit der sogenannten Fraktionellen Flussreserve noch während der Herzkatheteruntersuchung feststellen.
Wenn Stents nicht ausreichen, muss eine Bypassoperation vorgenommen werden. Eine Operation muss laut Sydow erwogen werden, wenn komplexe Einengungen an allen drei Herzkranzgefäßen vorliegen, der Hauptstamm der linken Herzkranzarterie betroffen ist oder wenn es sich um langstreckige Verschlüsse handelt. Aber nach neuesten Erkenntnissen könnten auch längerstreckig verschlossene Arterien wiedereröffnet und mit Stents behandelt werden, sagt Sydow.
Viele haben schon mit 45 Jahren eine Neigung zur koronaren Herzkrankheit
„Wenn eine Bypassoperation nötig ist, werden für diese Umgehung des Verschlusses heute in der Regel die Brustwandarterien benutzt“, sagt Prof. Hermann Reichenspurner, Direktor des Universitären Herzzentrums und der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie am UHZ. Sie haben gegenüber Venen den Vorteil, dass sich nicht so schnell erneute Verengungen bilden. Diese Operation kann mit und ohne Einsatz der Herz-Lungen-Maschine durchgeführt werden. „Etwa die Hälfte dieser Eingriffe führen wir in unserer Klinik ohne Herz-Lungen-Maschine am schlagenden Herzen durch, vor allem bei Patienten, für die eine Herz-Lungen-Maschine eine zu große Belastung ist“, erklärt der Herzchirurg.
Auch er erhofft sich von der neuen Studie genauere Einblicke in die Entstehung der koronaren Herzkrankheit und damit mehr Möglichkeiten, diese Erkrankung schon frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. „Viele Patienten haben schon mit 45 Jahren eine Neigung und die ersten Anzeichen für eine koronare Herzkrankheit, aber dafür gibt es bislang noch keine zuverlässigen, allgemein einsetzbaren Früherkennungsuntersuchungen. Ein Belastungs-EKG zeigt nur Veränderungen bei einer ausgeprägten Verengung der Herzkranzgefäße. Wir brauchen einfache Methoden, mit denen die Erkrankung schon frühzeitig, idealerweise schon beim Hausarzt, festgestellt werden kann“, sagt Reichenspurner.
In der Studie wird bei Patienten, bei denen der Verdacht auf diese Krankheit besteht, ein Kernspin vom Herzen gemacht, nachdem dem Patienten bestimmte Stresshormone verabreicht wurden (ein sogenanntes Stress-MRT), und es werden Biomarker im Blut gemessen, die auf die Erkrankung schließen lassen.
Zur Prävention empfiehlt Reichenspurner, die Ernährung auf mediterrane Kost mit viel Obst und Gemüse und mehr Fisch statt Fleisch umzustellen. „Außerdem sollte man mindestens dreimal in der Woche für 30 bis 45 Minuten Ausdauersport treiben, wie Schwimmen, Laufen oder Radfahren. Wichtig dabei ist, dass der Pulsschlag dabei kontinuierlich über die gesamte Trainingszeit erhöht ist.“