Der Präsident des Deutschen Basketball Bundes über die Olympia-Kampagne Hamburgs für die Sommerspiele 2024.

Wenn Ingo Weiss mit dem Zug in Hamburg einfährt, die Elbbrücken überquert, hatte er in den vergangenen Wochen stets die Bilder von Olympischen Spielen im Kopf. „Hamburg ist eine tolle, sehr schöne Stadt. Olympia passt hier wunderbar hin“, sagt der Präsident des Deutschen Basketball Bundes und der Deutschen Sportjugend. Weiss, 51, ist zugleich Präsidiumsmitglied des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und Schatzmeister des Basketball-Weltverbandes Fiba, eines der größten Sportorganisationen der Welt. Für die Fiba regelte er im vergangenen halben Jahr in Tokio Streitigkeiten im japanischen Basketballverband. Zu den Olympiachancen Hamburgs sagt der Münsteraner: „Die Stadt hat eine Riesenchance.“

Hamburger Abendblatt: Herr Weiss, welchen Eindruck haben Sie bisher von der Hamburger Olympiabewerbung?

Ingo Weiss: Was in Hamburg läuft, kann ich aus der Distanz nicht beurteilen. International passiert mir aber bislang zu wenig. Bis zur Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) über die Vergabe der Sommerspiele 2024 sind es gerade mal zwei Jahre. Ich würde mir wünschen, dass Hamburg präsenter wird, Sportveranstaltungen und -kongresse akquiriert. Ich vermisse da einen Plan. Es wissen weltweit einfach zu wenige der Entscheidungsträger, ebenso wie die Menschen aus deren Umfeld, welch großartige, lebenswerte Stadt Hamburg ist.

Hamburg konzentriert sich vorerst auf die Olympia-Abstimmung am 29. November. Halten Sie das für falsch?

Weiss : Nein, aber man sollte das eine tun, ohne das andere zu vernachlässigen. Über das Referendum mache ich mir keine Sorgen. Der Hamburger ist schlau, er weiß, wenn man einmal Olympiastadt war, ist dieses Label für Generationen ein unbezahlbares Marketingmerkmal; gerade für eine sogenannte Second City wie Hamburg. Olympische Spiele sind zudem ein phänomenales Event, an das sich jeder lebenslang erinnern wird, der dabei war. Das sollte man bei allen berechtigten Diskussionen über die Kosten und die Nachhaltigkeit niemals vergessen.

Die Olympiagegner fürchten steigende Mieten, Gentrifizierung und die weitere Verschärfung sozialer Gegensätze in der Stadt in arme und reiche Viertel.

Weiss : Mit Olympia kommt sehr viel Geld in die Stadt. Es wird, davon bin ich fest überzeugt, am Ende allen besser gehen. Bei steigenden Steuereinnahmen können mögliche soziale Schieflagen, die es unabhängig von der Ausrichtung Olympischer Spiele gibt, viel eher ausgeglichen werden.

Die Münchner haben 2013 per Referendum Winterspiele in ihrer Region verhindert. Eines der Argumente war: Wir bezahlen die Party, das IOC feiert sie.

Weiss : Das IOC zahlt Rio de Janeiro für die Ausrichtung der Sommerspiele 2016 1,5 Milliarden Dollar. 2024 werden es vermutlich fast zwei Milliarden Dollar sein. Dazu können sie rund elf Millionen Eintrittskarten für die Olympischen Spiele und die anschließenden Paralympics sowie auch nationale Werbung verkaufen. Die Durchführung der Spiele hat in den vergangenen 20 Jahren in allen Städten einen Millionengewinn abgeworfen.

Den Bau der Sportstätten und die dazugehörige Infrastruktur – Straßen, Schienen, Brücken – müssen jedoch Stadt und Land finanzieren. Das sind Kosten in Milliardenhöhe. Das Geld könnte man auch anders ausgeben, zum Beispiel für Bildung und Kindergärten.

Weiss : Die Ausgaben für Olympia sind – wie die Ausgaben für Bildung und Kindergärten – auch Zukunftsinvestitionen für die Stadt. Und es ist ja nicht so, dass es diese Gelder vom Bund ohnehin gäbe und sie beliebig verwendet werden könnten. Diese Gelder gibt es nur im Zusammenhang mit Olympischen Spielen, sonst fließen diese Mittel in andere Regionen der Republik. Und wenn die Stadt zum Beispiel eine Milliarde für Olympia ausgeben würde und der Bund zahlte vier dazu, hätte Hamburg ein großartiges Geschäft gemacht.

Zurück zur Gegenwart: Sie beklagen Hamburgs fehlende internationale Aufstellung. Was ist zu tun?

Weiss : Die Olympiabewerbung ist eine nationale Angelegenheit, ein Anliegen der Bundesregierung, des DOSB, Hamburgs und natürlich der gesamten Bevölkerung. Alle müssen helfen, das ist eine gemeinsame Anstrengung. Ich sehe dieses Zusammenspiel der Kräfte noch nicht, ich erkenne momentan auch keine Strategie für die Zeit nach dem 29. November. Ich kann nur hoffen, dass es sie schon in irgendwelchen Schubladen gibt.

Wie könnte die Strategie denn aussehen?

Weiss : Am Ende müssen Sie die Mehrheit der etwa 100 IOC-Mitglieder überzeugen. Dafür muss ich Kontakt mit ihnen aufnehmen. Die Kandidatenstädte dürfen die IOC-Mitglieder ja nicht mehr einladen, also muss ich Gelegenheiten schaffen, dass sie aufgrund ihrer Funktion in den Sportverbänden nach Hamburg kommen, weil hier entsprechende Veranstaltungen oder Sitzungen sind. Das ist erlaubt. Jedes IOC-Mitglied sollte einmal über den Fischmarkt gegangen, Aale-Dieter gehört und Matjes gegessen haben. Hamburg muss man fühlen und schmecken. Präsidiumsmitglieder internationaler Sportverbände – da haben wir ja einige Deutsche in wichtigen Positionen – könnten Veranstaltungen in Hamburg organisieren, zu denen natürlich auch IOC-Mitglieder kommen dürften. Das könnten Präsidiumssitzungen, Generalversammlungen, Fortbildungen, Workshops oder Kongresse sein. So kann man Hamburg Schritt für Schritt im internationalen Sport bekannt machen. Und ganz besonders schaffen Sie über Welt- und Europameisterschaften internationale Aufmerksamkeit.

Für die Beachvolleyball-Weltmeisterschaft im Juni 2017 sucht der Weltverband FIVB noch einen Ausrichter. Hamburg hat aber entschieden, sich an keinem Bieterverfahren zu beteiligen.

Weiss : Das ist im Prinzip richtig, weil dort zum Teil Preise aufgerufen werden, die nicht vertretbar sind. Dennoch sage ich: Auch wenn man die Veranstaltung in letzter Konsequenz nicht ausrichten will, macht es Sinn, sich zu bewerben, um wahrgenommen zu werden. Hamburg hat hier großen Nachholbedarf. An der Beachvolleyball-WM 2017 ist unter anderem Sotschi interessiert, weil die Russen dort Veranstaltungen brauchen, um die für die Winterspiele 2014 gebauten Anlagen nutzen zu können. Denkbar wäre ein Agreement: Okay, wir lassen euch diesmal den Vortritt, vielleicht könnt ihr uns bei anderer Gelegenheit unterstützen. So läuft internationale Sportpolitik. Das ist ein Geben und Nehmen und aus meiner Sicht völlig in Ordnung.

Ist Hamburg für seine Olympiakampagne bereits richtig aufgestellt?

Weiss : Bürgermeister Olaf Scholz unterstützt die Bewerbung zu 100 Prozent. Dies ist außerordentlich wichtig! Von Sportsenator Michael Neumann habe ich einen hervorragenden Eindruck. Dass Hamburg die nationale Entscheidung gegen Berlin gewonnen hat, ist maßgeblich seinem Einsatz zu verdanken. Auch in der Bewerbungsgesellschaft sitzen hochkompetente Leute, Bernhard Schwank zum Beispiel, der stellvertretende Geschäftsführer, der über sehr gute internationale Kontakte verfügt. Mein Eindruck von außen ist jedoch, dass die Personaldecke im Moment viel zu dünn ist, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Auch wenn Hamburg verständlicherweise den 29. November abwarten will, müssten für die Zeit danach bereits jetzt alle Vorbereitungen getroffen werden. Ich fürchte, das ist mit dieser kleinen Besetzung nicht zu leisten. Mindestens zehn weitere Leute sollten jetzt sofort eingestellt werden.

Ist Hamburg zu spät dran?

Weiss : Nein, aber jetzt muss man die verbleibende Zeit nutzen und schnell tätig werden. Wir haben schon ein gefühltes halbes Jahr verloren.

Wie schätzen Sie die Chancen der Stadt ein, den Zuschlag für 2024 zu erhalten?

Weiss : Hamburg hat eine Riesenchance. Ich erzähle Ihnen ein Beispiel: Ich bin im vergangenen Jahr zu den Olympischen Jugendspielen nach Nanjing in China geflogen. Im Flugzeug saßen drei IOC-Mitglieder. Zwei von ihnen hatten von mir das Hamburger Konzept bekommen und gelesen. Das Konzept hat ihnen außerordentlich gut gefallen. Was ich damit sagen will: Man muss es schaffen, dass sich die IOC-Mitglieder mit dem Hamburger Konzept beschäftigen, denn das ist sehr, sehr gut.

Was sind Hamburgs besondere Stärken?

Weiss : Die unglaublich vielen kurzen Wege zwischen dem olympischen Dorf und den meisten Sportstätten. Das gefällt vor allem den Athleten. Das entspricht exakt ihren Vorstellungen – und ist zudem ein Alleinstellungsmerkmal. Aber auch ich als Funktionär freue mich, wenn ich mal nach einer Veranstaltung kurz ins Hotel gehen kann, um mich frisch zu machen. Und was Sie nicht vergessen sollten: Hamburg als Stadt mit dem Hafen, der Elbe, der Alster hat unübertroffenes Flair.

Wer sind die stärksten Konkurrenten?

Weiss : Paris ist ein sehr ernst zu nehmender Kontrahent. Los Angeles fürchte ich weniger, aber sollte sich Toronto noch bewerben, wäre das für viele, die aus den verschiedensten Gründen nicht in die USA wollen, möglicherweise ein perfekter Kompromisskandidat. Die Kanadier haben erst vor wenigen Wochen die panamerikanischen Spiele durchgeführt und dafür viel Lob erhalten, speziell für ihr Athletendorf.

Nach welchen Kriterien entscheiden die etwa 100 IOC-Mitglieder?

Weiss : Die meisten, ich schätze rund 70 Prozent, informieren sich sehr genau über die Kandidaten, legen sich danach fest. Der Rest entscheidet nach der Präsentation vor der IOC-Vollversammlung, einige sicherlich auch aus dem Bauch heraus. Wichtig ist aber, im Vorwege Allianzen zu bilden, dass man die Stimmen jener Städte erhält, die in den ersten Runden ausgeschieden sind. So hat Sydney die Sommerspiele 2000 bekommen, Sotschi die Winterspiele 2014, und selbst Rio hatte für 2016 im ersten Wahlgang nicht die meisten Stimmen erhalten. Mit dem Schmieden dieser Allianzen kann nicht früh genug begonnen werden.

Ist der deutsche Sport überhaupt in der Lage, solche Netzwerke zu knüpfen?

Ingo Weiss, 51, aus
Münster, Präsident
des Deutschen
Basketball Bundes,
ist weltweit einer
der bekanntesten
und profiliertesten
deutschen Sportfunktionäre
Ingo Weiss, 51, aus Münster, Präsident des Deutschen Basketball Bundes, ist weltweit einer der bekanntesten und profiliertesten deutschen Sportfunktionäre © picture alliance

Weiss : Vor einigen Jahren war das sicherlich schwieriger, jetzt haben wir drei Weltverbandspräsidenten und in der zweiten Reihe viele gute Leute, die an Einfluss in den Sportorganisationen gewonnen haben. Die ehemalige Fecht-Weltmeisterin Claudia Bokel als IOC-Mitglied, Walther Tröger als IOC-Ehrenmitglied und die vielen deutschen Mitglieder in IOC-Kommissionen werden an der ein oder anderen Stelle positiv über Hamburg berichten können.

Stünde Dirk Nowitzki, Deutschlands, bester Basketballer, als Olympia-Botschafter für Hamburg zur Verfügung?

Weiss : Wie ich ihn kenne, wäre er höchstwahrscheinlich dazu bereit, wenn sich die Termine mit seinen Verpflichtungen bei den Dallas Mavericks und mit denen in der nordamerikanischen Profiliga NBA vereinbaren lassen. In Dallas läuft sein Vertrag ja noch bis Mitte 2018.

Sollte Paris für 2024 den Zuschlag erhalten, wäre dann eine Hamburger Bewerbung für 2028 aussichtslos?

Weiss : Das hängt vom Ergebnis ab. Sind die IOC-Mitglieder von dem Hamburger Konzept überzeugt, fehlen am Ende nur wenige Stimmen, lohnt sich ein zweiter Anlauf. Es gibt beim IOC kein Kontinental-Hopping, Europa bleibt eine starke Lokomotive für die internationale Sportbewegung. Wir sollten aber auf Sieg spielen, mit Hamburg für Deutschland die Spiele 2024 holen. Das ist in Traum, der wahr werden kann!