Hamburg. Warnungen der Kontrolleure vor Kostenrisiken gingen von „unrealistischen“ Annahmen aus und seien zum Teil „spekulativ“.

Der Rechnungshof ist mit dem Entwurf für eine Stellungnahme zu den Olympia-Planungen der Stadt bei den anderen Behörden kräftig angeeckt. „Unrealistisch“, „weitgehend spekulativ“ und „nicht zutreffend“ – die an den Planungen für die Bewerbung um die Austragung der Olympischen Sommerspiele 2024 beteiligten Behörden gehen mit den Bewertungen und Einschätzungen des Rechnungshofs hart und mit ungewöhnlich deutlichen Worten ins Gericht.

Über den ersten Abschnitt des 55-seitigen Entwurfs, der mit „Wesentliches Ergebnis“ überschrieben ist, heißt es in der sechsseitigen Stellungnahme von Senatskanzlei sowie Innen-, Stadtentwicklungs-, Umwelt- und Wirtschaftsbehörde wenig begeistert: „Aus Sicht der beteiligten Stellen (gemeint: Behörden, die Red.) sollte der Abschnitt grundlegend geändert werden.“

In einem sogenannten „Prüferentwurf“ hatten die Kontrolleure des Rechnungshofs, wie berichtet, eindringlich vor den finanziellen Risiken eines Olympia-Engagements gewarnt. Vor allem der Zeitpunkt des Referendums, bei dem die Hamburger am 29. November über Ja oder Nein zu Olympia abstimmen sollen, sei zu früh. Es werde dann noch „keine abgeschlossenen Bedarfsplanungen, keinen belastbaren Finanzrahmen für alle erforderlichen Maßnahmen, kein verbindliches Finanzierungskonzept und keine angemessene Nutzen-Kosten-Untersuchung“ geben.

Olympia könnte 6,5 Mrd. Euro kosten
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    „Ein Referendum zu diesem Zeitpunkt ist vor dem Hintergrund des stattfindenden differenzierten Vorgehens auch hinsichtlich der dann vorliegenden Erkenntnisse gut vertretbar“, heißt es dazu lapidar in der Behörden-Stellungnahme. Kritik üben die Olympia-Planer daran, dass der Rechnungshof den Gastgeberstadtvertrag der gescheiterten Bewerbung Münchens um die Winterspiele 2018 heranzieht, statt auf den neuen Vertragsentwurf des IOC zu warten. „Es besteht damit aus Sicht der Verwaltung die Gefahr, dass Bewertungen auf der Grundlage falscher Prämissen erfolgen“, heißt es. Auf das Selbstverständnis des Rechnungshofs zielt dieser wenig schmeichelhafte Satz: „Der Rechnungshof prüft üblicherweise vorliegende Unterlagen. Daher ist zu fragen, ob in diesem Fall die Spekulation über Unterlagen, die nicht vorliegen, aber in wenigen Tagen veröffentlicht werden, zu einer angemessenen Diskussion beitragen.“

    Nachhaltigkeit: Das sagen die Experten

     

    Prof. Dr. Maximilian Gege (Vorstandsvorsitzender B.A.U.M. e.V.): „Die Chancen nachhaltige Spiele in Hamburg liegen auf der Hand: Vernetzte Mobilität, eine zukunftsorientierte, regenerative Energieversorgung, modernste Technologie für Energieeffizienz, rohstoffsparendes Bauen, Sozialwohnungen, Leuchtturmprojekte, eine zukunftsfähige Stadtentwicklung. Aber auch Bilder einer faszinierenden Olympiade mit beeindruckenden Sportstätten und Gebäuden in der Metropolregion, begeisterte Menschen, internationale positive Berichterstattung. Dafür bedarf es klaree Bürgerinformation mit verständlicher Kosten-Finanzplanung. Dann sollten wir uns diese großartige Chance nicht entgehen lassen."

     

    Dr. Monika Griefahn (Direktorin für Umwelt und Gesellschaft AIDA Cruises): „Es wäre eine verpasste Chance, Olympia 2024 nicht auf einem nachhaltigen Gesamtkonzept aufbauen. Deshalb engagiert sich AIDA dafür, dass im Hamburger Hafen eine ökologische und soziale Infrastruktur entwickelt wird, die weit über den sportlichen Wettbewerb hinaus Maßstäbe setzt. Von einem grünen Hafen profitieren nicht nur die Sportler, sondern auch die Bürger in Hamburg und dem Umland. AIDA wird mit seinem Konzept "Green Cruising" einen wichtigen Beitrag leisten!"

     

    Jens Kerstan (Senator für Umwelt und Energie der Stadt Hamburg): „Hamburg geht mit dem Versprechen kompakter, grüner und nachhaltiger Spiele ins Bewerber-Rennen um die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024. Wer sich am Ende gegen Weltstädte durchsetzen will, muss durch Ideen und Einzigartigkeit punkten. Wir wollen zeigen, dass die Nachhaltigkeit – ökologisch, sozial und wirtschaftlich – den entscheidenden Ausschlag geben kann für Hamburgs Erfolg.“

     

    Merlin Koene (Communications Director Unilever): „Es gibt nur wenige Länder wie Deutschland und Standorte wie Hamburg auf der Welt, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit und Olympia so intensiv auseinandersetzen. Darum unterstützen wir die Bewerbung sehr.”

     

    Prof. Dr.-Ing. Kunibert Lennerts (Präsidiumsmitglied DGNB e.V.): „Olympische und Paralympische Spiele in Hamburg bieten die große Chance der Welt zu zeigen, wie nachhaltiges Planen, Bauen und Betreiben funktionieren kann. Es geht nicht nur um Energieeinsparung, sondern um eine lebenszyklusorientierte Betrachtung über das Event hinaus. Alle Aspekte, von der maximalen Nutzungsqualität für Sportler, Besucher sowie den späteren Bewohner des Quartiers bis hin zur Analyse der Stoffströme beim Rückbau, müssen berücksichtigt werden. Lasst uns das Olympiaquartier zum Leuchtturm für „Ernsthafte Nachhaltigkeit made in Germany“ machen!“

     

    Dr. Johannes Merck (Leiter Dialogkreis Nachhaltigkeit / Direktor Corporate Responsibility Otto Group): „Hamburg besitzt nur eine Chance auf Erfolg, wenn unsere Bewerbung beim Thema Nachhaltigkeit punktet: Umweltfreundlich, sozial verträglich und ökonomisch ausgewogen. Mit hohen Standards können wir Wegweiser für künftige Olympische und Paralympische Spiele werden. Der Nachhaltigkeitsanspruch darf auf keinem Fall verwässert werden und muss Bestandteil jeder Entscheidung in der Planung und Umsetzung sein.“

     

    Reinhard Müller (Vorstandsvorsitzender EUREF AG): „Hamburg hat die einmalige Chance, die weltweit ersten CO2-neutralen Olympischen Spiele zu veranstalten. Dieses wäre ein besonderer Meilenstein in der Geschichte des Sports und würde global ein Zeichen setzen für einen bewussteren Umgang mit Klima und Ressourcen. Deutschland als Vorreiter der Energiewende könnte mit den Olympischen Spielen 2024 in Hamburg zeigen, wie solche Sportereignisse in Zukunft ablaufen können – ökonomisch und ökologisch nachhaltig durch innovative technologische Lösungen.“

     

    Sascha Müller-Kraenner (Bundesgeschäftsführer Deutsche Umwelthilfe e.V): „Bei aller Begeisterung für Rekorde und Medaillen – Olympische und Paralympische Spiele stellen nicht nur die Ausrichterstadt selbst, sondern auch ihre Umwelt auf eine harte Belastungsprobe. Unserer Empfehlungen für eine ökologische Stadtentwicklung beinhalten folgende Schwerpunkte: klimaneutrale Spiele, ein Naturschutz- und Freiflächenkonzept beim Bau des Olympischen Dorfes und der Sportanlagen, das nicht zum zusätzlichen Verlust unversiegelter Fläche und von Biodiversität führt, sowie den konsequenten Einsatz von Mehrwegsystemen bei der Verkostung der Sportler und Besucher.“

     

    Alexander Porschke (Vorstandsvorsitzender NABU Hamburg): „In Hamburgs Olympia-Bewerbung stecken Chancen und Risiken: Zentrumsnahe Wohnentwicklung statt Zersiedelung am Stadtrand verringert Verkehrswegen und Naturverbrauch. Und eine Bewerbung, die zwölf Jahre ökologisch gereifter ist als London und im verfügbaren Kostenrahmen bliebe, wäre global ein positives Signal. Ökologie und Nachhaltigkeit dürfen aber nicht beiseitegeschoben werden. Zudem läuft das Referendum Gefahr, als ein Blanko-Scheck für die Betreiber missbraucht zu werden. Das gilt es zu verhindern.“

     

    Sylvia Schenk (Leiterin Arbeitsgruppe Sport Transparency International Deutschland): „Wer heute für 2024 plant, muss sich der Verantwortung für die Zukunft stellen. Dies verlangt eine umfassende, in alle Organisationsbereiche von Anfang an integrierte Nachhaltigkeitsstrategie. Die Olympia-Bewerbung eröffnet Hamburg die Chance, die besten Ideen und Köpfe zu gewinnen, um die Stadtentwicklung ökologisch, ökonomisch und sozial-gesellschaftlich beispielhaft zu gestalten. So kann Olympia in globaler Partnerschaft Nutzen für die lokale, nationale und internationale Ebene bringen.“

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    „Auch wenn es sich nur um einen Vorentwurf einer Stellungnahme handelt, nehmen wir die Hinweise ernst“, sagten die Bürgerschafts-Fraktionschefs Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne). Allerdings würden viele offene Punkte schon im Herbst konkretisiert werden können. „Die Mahnungen des Rechnungshofs sind Auftrag an SPD und Grüne, vor dem Referendum größtmögliche Kostentransparenz herzustellen“, so CDU-Fraktionschef André Trepoll. „Die Kritik des Landesrechnungshofs ist absolut berechtigt und stützt sich auf Erfahrungen in vielen anderen Olympia-Städten“, sagte dagegen Sabine Boeddinghaus (Linke).