Hamburg. Die Speicherstadt und das Kontorhausviertel sind ein quirliges Viertel mit Modefirmen, Museen, Teppichhändlern und vielen Cafés.

Die ägyptischen Pyramiden gehören dazu, der Aachener Dom ebenso – und seit Sonntag auch Speicherstadt und Kontorhausviertel: Sie sind Weltkulturerbe der Menschheit. Ein großes Wort, das viel nach Denkmal und Museum klingt; doch wer durch die beiden Hamburger Quartiere streift, erlebt sehr lebendige, sehr geschäftige Stadtviertel: „Wir sind kein Museumspark“ beeilte sich dann auch Klaus Hadaschik mitzuteilen, als der Welterbetitel bekannt gegeben wurde. Hadaschik ist Geschäftsführer der HHLA-Speicherstadt Immobilien GmbH.

Das zu größten Teilen städtische Hafen-Unternehmen war Ende des 19. Jahrhundert gegründet worden, um den riesigen Backstein-Lagerhauskomplex am neuen Freihafen zu bauen. Kaffee, Tee, Kakao, Gewürze, Holz – verschiedenste Waren lagerten auf den Böden. Heute sucht man den einst typischen Geruch oft vergeblich. Äußerlich sieht die Speicherstadt aus wie in den Jahrzehnten zuvor, streng achtete der Denkmalschutz darauf, dass die typischen, goldenen Schriftzüge an Fassaden und Klingelknöpfen beibehalten wurden. Aber man liest dort nicht mehr „Kaffee-Kontor“ oder ähnliches, heute steht dort „Urban Electrics“ oder „High-End-Fashion“ .

Die Speicherstadt und das Kontorhausviertel

Der Mond scheint auf die Speicherstadt
Der Mond scheint auf die Speicherstadt © dpa | Axel Heimken
Die Speicherstadt und im Hintergrund die Baustelle der Elbphilharmonie
Die Speicherstadt und im Hintergrund die Baustelle der Elbphilharmonie © dpa | Daniel Bockwoldt
1881 fiel der Startschuss für den Bau der Speicherstadt
1881 fiel der Startschuss für den Bau der Speicherstadt © dpa | Daniel Bockwoldt
Hafencity mit Speicherstadt (l.) und Kontorhausviertel (r.)
Hafencity mit Speicherstadt (l.) und Kontorhausviertel (r.) © dpa | Christian Charisius
Fast 60 Jahre lang war die Speicherstadt ein boomendes Quartier, bis im Zweiten Weltkrieg fast 50 Prozent der Gebäude zerstört wurden
Fast 60 Jahre lang war die Speicherstadt ein boomendes Quartier, bis im Zweiten Weltkrieg fast 50 Prozent der Gebäude zerstört wurden © dpa | Daniel Reimann
Eine Fassadenansicht des Chilehauses im Kontorhausviertel
Eine Fassadenansicht des Chilehauses im Kontorhausviertel © dpa | Christian Charisius
Das Chilehaus im Kontorhausviertel
Das Chilehaus im Kontorhausviertel © dpa | Christian Charisius
Der Sprinkenhof im Kontorhausviertel
Der Sprinkenhof im Kontorhausviertel © dpa | Christian Charisius
Treppenhaus im Gebäudekomplex Chilehaus
Treppenhaus im Gebäudekomplex Chilehaus © dpa | Christian Charisius
EinTreppenhaus im Gebäudekomplex Sprinkenhof
EinTreppenhaus im Gebäudekomplex Sprinkenhof © dpa | Christian Charisius
Das Bild zeigt verschiedene Details und Ansichten vom Chilehaus und vom Sprinkenhof
Das Bild zeigt verschiedene Details und Ansichten vom Chilehaus und vom Sprinkenhof © dpa | Christian Charisius
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Nicht dem bulligen Hafenarbeiter begegnet man, sondern Menschen wie Andreas Gröger, 33, und Navid Shahadi, 25. Beide arbeiten bei einer der vielen Werbeagenturen in der Speicherstadt. Hafenambiente, die Geschichte der Speicher, alles noch spürbar? „Nö“, sagen sie. Davon merke man kaum etwas. „Vielleicht nur durch die knarzenden Holzfußböden.“ Auch der Titel Weltkulturerbe werde daran wohl nicht viel ändern. „Das fühlt sich an wie vorher auch“, sagt Gröger. Dann zögert er kurz, na ja, vielleicht kämen ja noch mehr Touristen, vermutet er.

Schon heute aber schlendern viele Besuchergruppen über das Kopfsteinpflaster dort, fotografieren das Schattenspiel der Sonne zwischen den hohen Speichergebäuden. Oder sie stehen Schlange vor den Museen: dem Miniaturwunderland etwa oder auch dem Speicherstadtmuseum, wo die Geschichte des Viertels wohl noch am lebendigsten ist .

Einen rasanten Wandel habe die Speicherstadt erlebt, sagt auch der 75 -jährige Teppichhändler Holger Brands. In den 60er-Jahren hat er hier angefangen, damals musste er noch die Zollgrenzen passieren. 2003 wurde der Komplex aus dem Freihafengebiet entlassen. Für die HHLA war das der Startschuss zu einer umfassenden Sanierung – aber auch Umnutzung, die weiter fortgesetzt werden soll. Rund die Hälfte der etwa 300.000 Quadratmeter Speicherfläche ist modernisiert und wird heute schon von Büros, Modefirmen, Gastronomien, Museen und seit Ende 2014 sogar von einem Hotel genutzt. Nur das Wohnen ist dort nicht erlaubt, weil die Speicherstadt als sturmflutgefährdet gilt. Noch 1988 war sie fast vollständig an Hafenbetriebe verpachtet, die später am anderen Elbufer neue Logistikhallen bauten. Die alten Speicherböden eignen sich eben nicht für moderne Gabelstapler, aber sie sind ideal als Showrooms, wie es in der Modebranche heißt. Anfangs nutzten dies Händler von Orientteppichen, die den klassischen Lagerbetrieben seit den 1960er-Jahren folgten. Nach 2003 begann eine zweite Wandelwelle, von einst 600 Teppichhändlern gibt es nur nach knapp 50. Dafür sind in den Böden viele große Modemarken vertreten. „Mit dem Weltkulturerbe ändert sich an dieser Entwicklung nix – aber vielleicht kommen noch mehr Touristen und kaufen dann mal einen Teppich“, hofft Teppichmann-Brands jetzt.

Jasmin Mynarek und Sarah Gad (r.)
arbeiten in der Markthalle in der Speicherstadt,
einem Gastrozentrum
Jasmin Mynarek und Sarah Gad (r.) arbeiten in der Markthalle in der Speicherstadt, einem Gastrozentrum © Klaus Bodig

Tatsächlich bringt der neue Titel den Menschen in beiden Vierteln zunächst keine direkten Veränderungen oder gar Verpflichtungen. „Denkmalschutz gab es schon vorher“, sagt Enno Isermann, Sprecher der Kulturbehörde. Allerdings müsse die Stadt nun in den Randbereichen, den „Pufferzonen“ drauf achten, dass der Blick auf das Weltkulturerbe nicht verbaut wird, etwa durch Hochhäuser.

Die Geschichte der Speicherstadt

 

Hamburg hatte die Speicherstadt dem Deutschen Reich einst abgerungen. Auf Wunsch des Reichskanzlers Otto von Bismarck sollte Hamburg bis 1888 in das deutsche Zollgebiet eingegliedert werden - was den Kaufleuten gar nicht gefiel. Sie pochten auf ihr Privileg, Importe zollfrei umzuschlagen, zu lagern und zu veredeln.

 

Der Kompromiss: Ein Freihafengebiet, das vom Anschluss an den Deutschen Zollverein ausgenommen war. 1881 wurde der Zollanschlussvertrag unterzeichnet. Es war der Startschuss für den Bau der Speicherstadt.

 

Weil die Lager der Kaufleute zuvor in der ganzen Stadt und damit im zukünftig zollpflichtigen Gebiet verstreut waren, musste ein Bauprojekt von heute unvorstellbaren Ausmaßen angeschoben werden. Ein ganzer Stadtteil fiel ihm zum Opfer. Mehr als 18.000 Menschen verließen notgedrungen ihre Häuser, damit 1885 mit der Errichtung der Speicher begonnen werden konnte.

 

Fast 60 Jahre war die Speicherstadt ein boomendes Quartier, bis im Zweiten Weltkrieg fast 50 Prozent der Gebäude zerstört wurden. Unter der Leitung von Werner Kallmorgen wurde das Viertel wieder aufgebaut.

 

Die Einführung der Container in den 1960er Jahren machte die Anlieferung per Schuten zu teuer. In den 1980er Jahren, als die einstigen Waren der Speicherstadt größtenteils an modernen Container-Terminals umgeschlagen wurden, hielten die Teppichhändler Einzug in das Quartier.

 

Noch heute gilt die Speicherstadt als weltweit größter Lager- und Handelsplatz für Orientteppiche, obwohl die Zahl der Händler dramatisch gesunken ist. „Früher gab es hier rund 400 Teppichhändler, heute sind es gerade mal 50“, sagt Holger Brands, Mitarbeiter bei Abulhassan Heidarinami aus dem Iran.

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Aber die beiden Viertel dürften in der Welt bekannter werden. „Bisher brauchte ich keinem Hamburger zu erklären, wo das Chilehaus ist – jetzt auch anderen nicht mehr“, sagt Rechtsanwalt Peter Hambach, der sein Büro eben in diesem prächtigen Backsteinbau im Kontorhausviertel hat. Auch hier achtete der Denkmalschutz auf die alte Gestaltung, ohne die Entwicklung zu behindern. Das Viertel sei in den letzten Jahren viel lebendiger geworden, findet Anwalt Hambach. Restaurants machten auf, Galerien, neue Cafés. Mittags sitzen dort die Angestellten der Büros, die die Häuser hier immer noch prägen. Um den Ersten Weltkrieg herum wurde das Viertel gebaut, damals mit den wohl weltweit modernsten Bürogebäuden, Die Stahlbetonbauten wurden aber bewusst mit Backstein verkleidet. Mit zunehmenden Alter würden die Häuser immer schöner, argumentierten die Architekten. Offensichtlich hatten sie Recht.