Hamburg. Die Speicherstadt und das Kontorhausviertel sind ein quirliges Viertel mit Modefirmen, Museen, Teppichhändlern und vielen Cafés.
Die ägyptischen Pyramiden gehören dazu, der Aachener Dom ebenso – und seit Sonntag auch Speicherstadt und Kontorhausviertel: Sie sind Weltkulturerbe der Menschheit. Ein großes Wort, das viel nach Denkmal und Museum klingt; doch wer durch die beiden Hamburger Quartiere streift, erlebt sehr lebendige, sehr geschäftige Stadtviertel: „Wir sind kein Museumspark“ beeilte sich dann auch Klaus Hadaschik mitzuteilen, als der Welterbetitel bekannt gegeben wurde. Hadaschik ist Geschäftsführer der HHLA-Speicherstadt Immobilien GmbH.
Das zu größten Teilen städtische Hafen-Unternehmen war Ende des 19. Jahrhundert gegründet worden, um den riesigen Backstein-Lagerhauskomplex am neuen Freihafen zu bauen. Kaffee, Tee, Kakao, Gewürze, Holz – verschiedenste Waren lagerten auf den Böden. Heute sucht man den einst typischen Geruch oft vergeblich. Äußerlich sieht die Speicherstadt aus wie in den Jahrzehnten zuvor, streng achtete der Denkmalschutz darauf, dass die typischen, goldenen Schriftzüge an Fassaden und Klingelknöpfen beibehalten wurden. Aber man liest dort nicht mehr „Kaffee-Kontor“ oder ähnliches, heute steht dort „Urban Electrics“ oder „High-End-Fashion“ .
Die Speicherstadt und das Kontorhausviertel
Nicht dem bulligen Hafenarbeiter begegnet man, sondern Menschen wie Andreas Gröger, 33, und Navid Shahadi, 25. Beide arbeiten bei einer der vielen Werbeagenturen in der Speicherstadt. Hafenambiente, die Geschichte der Speicher, alles noch spürbar? „Nö“, sagen sie. Davon merke man kaum etwas. „Vielleicht nur durch die knarzenden Holzfußböden.“ Auch der Titel Weltkulturerbe werde daran wohl nicht viel ändern. „Das fühlt sich an wie vorher auch“, sagt Gröger. Dann zögert er kurz, na ja, vielleicht kämen ja noch mehr Touristen, vermutet er.
Schon heute aber schlendern viele Besuchergruppen über das Kopfsteinpflaster dort, fotografieren das Schattenspiel der Sonne zwischen den hohen Speichergebäuden. Oder sie stehen Schlange vor den Museen: dem Miniaturwunderland etwa oder auch dem Speicherstadtmuseum, wo die Geschichte des Viertels wohl noch am lebendigsten ist .
Einen rasanten Wandel habe die Speicherstadt erlebt, sagt auch der 75 -jährige Teppichhändler Holger Brands. In den 60er-Jahren hat er hier angefangen, damals musste er noch die Zollgrenzen passieren. 2003 wurde der Komplex aus dem Freihafengebiet entlassen. Für die HHLA war das der Startschuss zu einer umfassenden Sanierung – aber auch Umnutzung, die weiter fortgesetzt werden soll. Rund die Hälfte der etwa 300.000 Quadratmeter Speicherfläche ist modernisiert und wird heute schon von Büros, Modefirmen, Gastronomien, Museen und seit Ende 2014 sogar von einem Hotel genutzt. Nur das Wohnen ist dort nicht erlaubt, weil die Speicherstadt als sturmflutgefährdet gilt. Noch 1988 war sie fast vollständig an Hafenbetriebe verpachtet, die später am anderen Elbufer neue Logistikhallen bauten. Die alten Speicherböden eignen sich eben nicht für moderne Gabelstapler, aber sie sind ideal als Showrooms, wie es in der Modebranche heißt. Anfangs nutzten dies Händler von Orientteppichen, die den klassischen Lagerbetrieben seit den 1960er-Jahren folgten. Nach 2003 begann eine zweite Wandelwelle, von einst 600 Teppichhändlern gibt es nur nach knapp 50. Dafür sind in den Böden viele große Modemarken vertreten. „Mit dem Weltkulturerbe ändert sich an dieser Entwicklung nix – aber vielleicht kommen noch mehr Touristen und kaufen dann mal einen Teppich“, hofft Teppichmann-Brands jetzt.
Tatsächlich bringt der neue Titel den Menschen in beiden Vierteln zunächst keine direkten Veränderungen oder gar Verpflichtungen. „Denkmalschutz gab es schon vorher“, sagt Enno Isermann, Sprecher der Kulturbehörde. Allerdings müsse die Stadt nun in den Randbereichen, den „Pufferzonen“ drauf achten, dass der Blick auf das Weltkulturerbe nicht verbaut wird, etwa durch Hochhäuser.
Die Geschichte der Speicherstadt
Aber die beiden Viertel dürften in der Welt bekannter werden. „Bisher brauchte ich keinem Hamburger zu erklären, wo das Chilehaus ist – jetzt auch anderen nicht mehr“, sagt Rechtsanwalt Peter Hambach, der sein Büro eben in diesem prächtigen Backsteinbau im Kontorhausviertel hat. Auch hier achtete der Denkmalschutz auf die alte Gestaltung, ohne die Entwicklung zu behindern. Das Viertel sei in den letzten Jahren viel lebendiger geworden, findet Anwalt Hambach. Restaurants machten auf, Galerien, neue Cafés. Mittags sitzen dort die Angestellten der Büros, die die Häuser hier immer noch prägen. Um den Ersten Weltkrieg herum wurde das Viertel gebaut, damals mit den wohl weltweit modernsten Bürogebäuden, Die Stahlbetonbauten wurden aber bewusst mit Backstein verkleidet. Mit zunehmenden Alter würden die Häuser immer schöner, argumentierten die Architekten. Offensichtlich hatten sie Recht.