Hamburg. Die Speicherstadt und das Kontorhausviertel wurden ins Weltkulturerbe aufgenommen. Scholz: Ein Grund zu „außerordentlicher Freude“.

Am Ende, nach 16 Jahren Anlaufzeit, ging doch alles etwas schneller als gedacht. Bereits am Sonntagmorgen und nicht erst kurz vor Ende des Referendums in Griechenland kam die erfreuliche Nachricht von der 39. Sitzung des Unesco-Welterbekommitees aus Bonn: Hamburg ist erstmals Heimat eines Weltkulturerbes. Das Ensemble aus Speicherstadt, Kontorhausviertel und Chilehaus wurde mit diesem Titel versehen, den bislang 39 andere Kandidaten in Deutschland erhalten hatten. Die Bestenliste dieser Prestige-Adressen führt Italien mit 51 Orten an, China kann 48 präsentieren, Spanien 44 und Frankreich 41.

Ganz überraschend kam diese Aufwertung nicht, denn schon im Vorfeld hatte es überdeutliche Signale gegeben, wie gut die Chancen stünden. Die Nachrichtenagenturen vermeldeten Szenenapplaus und Jubelszenen, danach hagelte es Glückwünsche wie „wunderbare Nominierung“ (Finnland) oder „Bereicherung des Welterbes“ (Philippinen). Verena Metze-Mangold, Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, stellte die Speicherstadt sogar in eine Reihe mit den Pyramiden und dem Taj Mahal. Außenminister Frank-Walter Steinmeier habe Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz per Twitter gratuliert, hieß es. Maria Böhmer (CDU), Staatsministerin im Auswärtigen Amt, sagte als Vorsitzende des Unesco-Welterbekomitees: „Das ist ein großer Tag für Hamburg.“ Sie freue sich, dass das Engagement der Hansestadt „überragende internationale Anerkennung gefunden“ habe. „Es steht für die Kultur der Weltoffenheit, die Hamburg seit jeher prägt.“

Für die Unesco-Experten sind die Gebäude ein „hervorragendes Beispiel“, um „einen oder mehrere bedeutsame Abschnitte der Menschheitsgeschichte zu versinnbildlichen“. Die Speicherstadt, von 1885 bis 1927 errichtet, gilt als das größte zusammenhängende und einheitlich geprägte Speicherensemble der Welt. Das Kontorhausviertel entstand in den 1920er- und 1930er-Jahren.

Für Olaf Scholz, dem diese Würdigung nicht zuletzt bestens in seine Stadtplanung zum Thema Olympia 2024 passt, war die Ehrung ein Grund zu „außerordentlicher Freude“: „Wir dürfen stolz sein. Es ist uns gelungen, das weltweit höchste Fachgremium von der nationalen wie auch internationalen Sonderstellung von Speicherstadt und Kontorhausviertel zu überzeugen. Die Besonderheit wird im Vergleich mit maritimen Lagerhauskomplexen und modernen Bürogebäuden des frühen 20. Jahrhunderts in anderen Großstädten der Welt besonders deutlich. Wir sind uns der großen Ehre bewusst und nehmen nun gern die Verantwortung für den Schutz und die Vermittlung dieses Erbes wahr.“ Dazu passen die Warnungen der Unesco, den historischen Komplex pfleglich zu behandeln. Man solle nicht auf die Idee kommen, in der eng gefassten umliegenden Schutzzone massiv baulich einzugreifen.

Die Geschichte der Speicherstadt

 

Hamburg hatte die Speicherstadt dem Deutschen Reich einst abgerungen. Auf Wunsch des Reichskanzlers Otto von Bismarck sollte Hamburg bis 1888 in das deutsche Zollgebiet eingegliedert werden - was den Kaufleuten gar nicht gefiel. Sie pochten auf ihr Privileg, Importe zollfrei umzuschlagen, zu lagern und zu veredeln.

 

Der Kompromiss: Ein Freihafengebiet, das vom Anschluss an den Deutschen Zollverein ausgenommen war. 1881 wurde der Zollanschlussvertrag unterzeichnet. Es war der Startschuss für den Bau der Speicherstadt.

 

Weil die Lager der Kaufleute zuvor in der ganzen Stadt und damit im zukünftig zollpflichtigen Gebiet verstreut waren, musste ein Bauprojekt von heute unvorstellbaren Ausmaßen angeschoben werden. Ein ganzer Stadtteil fiel ihm zum Opfer. Mehr als 18.000 Menschen verließen notgedrungen ihre Häuser, damit 1885 mit der Errichtung der Speicher begonnen werden konnte.

 

Fast 60 Jahre war die Speicherstadt ein boomendes Quartier, bis im Zweiten Weltkrieg fast 50 Prozent der Gebäude zerstört wurden. Unter der Leitung von Werner Kallmorgen wurde das Viertel wieder aufgebaut.

 

Die Einführung der Container in den 1960er Jahren machte die Anlieferung per Schuten zu teuer. In den 1980er Jahren, als die einstigen Waren der Speicherstadt größtenteils an modernen Container-Terminals umgeschlagen wurden, hielten die Teppichhändler Einzug in das Quartier.

 

Noch heute gilt die Speicherstadt als weltweit größter Lager- und Handelsplatz für Orientteppiche, obwohl die Zahl der Händler dramatisch gesunken ist. „Früher gab es hier rund 400 Teppichhändler, heute sind es gerade mal 50“, sagt Holger Brands, Mitarbeiter bei Abulhassan Heidarinami aus dem Iran.

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Die erste Reaktion von Kultursenatorin Barbara Kisseler bei der Unesco-Tagung in Bonn: „Wir fühlen uns so gerührt, so erfreut.“ Danach sekundierte sie Scholz: „Unsere Anstrengungen haben sich gelohnt. Dieses herausragende Ensemble fungiert heute als lebendiges Bindeglied zwischen historischer Innenstadt und neuer HafenCity. Der Titel bietet große Chancen, Hamburg auch kulturell international noch bekannter zu machen.“ Zur praktischen Umsetzung soll ein Unesco-Koordinator eingesetzt werden.

Mit diesem Upgrade aus dem denkmalgeschützten Status in die höhere Würdigungsstufe ist Hamburg nun Mitglied in einem illustren Club von etwa 1000 Naturregionen und Kulturstätten, die Bandbreite reicht vom Great­ Barrier Reef vor Australien über die Athener Akropolis bis zum Kölner Dom. Bei der Bonner Tagung standen 38 Kandidaten auf dem Prüfstand. Zur Liste hinzugefügt wurden unter anderem die Altstadt von Palermo und die Taufstätte Bethanien in Jordanien, der Botanische Garten in Singapur und die Weinbaugebiete im Burgund und in der Champagne. Andere Bewerber aus Deutschland hatten weniger Glück: Der Naumburger Dom und die hochmittelalterliche Herrschaftslandschaft an Saale und Unstrut blieben ungewürdigt, ebenso eine multinationale Bewerbung von Wikingerstätten in Nordeuropa. Naumburg bekam allerdings eine zweite Chance, mit dem Beistand des Internationalen Denkmalrats darf die Bewerbung nachgebessert werden.

Ein Problem dieser jährlichen Ausweitung der Einzigartigkeitszonen: Die Unesco leidet unter Geldmangel. Nach der Aufnahme Palästinas 2011 haben die USA ihre Zahlungen eingestellt und damit eine Lücke ins Budget gerissen. Für die Welterbe-Programme stehen weniger als fünf Millionen Euro zur Verfügung, und vier dieser fünf Millionen werden in Bewertung und Überprüfung der Stätten investiert.

Der Titel ist jetzt vergeben, die offizielle Übergabe einer Unesco-Urkunde soll möglicherweise Ende 2015 erfolgen (das Miniatur Wunderland stattete seine Liliput-Gebäude schon jetzt mit Plakettchen aus). Außerdem hat sich die Stadt verpflichtet, vor Ort ein Welterbe-Informationszentrum einzurichten und zu betreiben. Das soll ab 2017 passieren, teilte die Kulturbehörde mit, im Jahr der geplanten Elbphilharmonie-Eröffnung. Als Vorgeschmack soll der nächste Tag des Denkmals am 13. September ganz im Zeichen des hiesigen Weltkulturerbes stehen.