Hamburg. In vier Wochen soll bei einer Unesco -Tagung in Bonn über die Würdigung der Speicherstadt und des Kontorviertels entschieden werden.
Mit historisch wertvollen Schlössern, prunkvollen Kirchen oder liebreizenden Naturlandschaften können hierzulande etliche Regionen und Städte dienen, wenn es um Bewunderungswürdiges für einen Platz auf der Unesco-Welterbeliste geht. Offenbar heißester Kandidat für das 40. Weltkulturerbe aus Deutschland sind aber andere, zentraler gelegene Adressen in Hamburg: die Speicherstadt und das Kontorhausviertel mit dem gut 90 Jahre alten Chilehaus als ästhetisches Epizentrum.
Diese Bauten gehören eben nicht in die bereits gut gefüllte Kategorie, sie sind einzigartige Dokumente einer städtischen Bau- und Wirtschaftstradition, wie es sie so nur hier an der Elbe gab. Backstein statt Putten und aktiv bewirtschaftete Nutzflächen im täglichen Gebrauch statt eingerahmter Repräsentationsräume nur für feiertags. Und nicht nur das, sie ergänzen sich auch inhaltlich, als Kombination von Handel und Lager, als Symbol für die Mentalität dieser Stadt.
Über den hiesigen Antrag wird zwar erst in vier Wochen bei einer internationalen Unesco-Tagung in Bonn entschieden. Die Wartezeit bis zu dieser Entscheidung war sehr lang: Hamburg startete 1999 in das Bewerbungsverfahren, zunächst nur mit dem Chilehaus, 2007 wurde diese Bewerbung um die Speicherstadt und das Kontorhausviertel erweitert. Doch bei einem Besuch von Maria Böhmer, der aktuellen Vorsitzenden des Welterbekomitees in Hamburg, herrschte gestern viel demonstrative Vorfreude und allgemeine Zuversicht auf der Zielgeraden. Kultursenatorin Barbara Kisseler gab im Chilehaus eine steile Prognose über die Wahrscheinlichkeit einer positiven Nachricht ab: „Ich will mich nicht vergaloppieren, aber ich würde sagen: 99 Prozent.“
Empfangen wurde Böhmer, ansonsten für die CDU als Staatsministerin im Auswärtigen Amt, nicht nur von der lokal zuständigen Kultursenatorin, sondern auch vom Ersten Bürgermeister Olaf Scholz. Der erklärte im Innenhof des 20er-Jahre-Klassikers, wie sehr es sich hier um „großartige Industriearchitektur“ handele, „als Bürogebäude zu einer Zeit entstanden, in der das noch etwas ganz Besonderes war. Die Anerkennung als Weltkulturerbe wäre eine große Ehre und ist mit einer hohen Verantwortung verbunden.“
Böhmers Meinung zu dem Areal und seinen Aussichten auf einen Wahlsieg klang (ohne vorschnell klare Festlegung natürlich) ebenfalls durchaus vielversprechend: „Ich bin guten Mutes, dass diese Entscheidung leichtfallen wird“, sagte sie. Das Bild Deutschlands auch so darzustellen, sei eine große Chance, und es sei „beeindruckend, wie in Hamburg kulturelle Stätten mit Leben erfüllt werden“. Kisseler sekundierte: „Besonders ist hier, dass es sowohl eine überzeugende zeitgenössische ökonomisch orientierte Nutzung, aber auch eine kulturelle gibt.“
Der Regierungschef war anschließend auch beim gefällig staunenden Begutachten des Panoramablicks vom Dach des Chilehauses dabei, als Stadtführer von ganz oben sozusagen. Ein weiteres kleines, aber gut sichtbares Signal, dass das Rathaus sich entschiedene Hoffnungen machen möchte, in wenigen Wochen schon mal den ersten Zuschlag für ein international wahrnehmbares Großprojekt zu erhalten. Damit würden sich die Chancen auf kommende Attraktionen nicht verschlechtern. Ein Weltkulturerbe-Gütesiegel in der näheren Nachbarschaft zu einem möglichen Olympia-Areal – und in ebenso naher Nachbarschaft zur fast fertigen Elbphilharmonie als insgeheim vorempfundenes Weltkulturerbe von überübermorgen? In dieser Kombination wäre das eine überaus verlockende Aussicht für jeden Regierungschef mit langfristig gedachtem Ehrgeiz. Kisselers Meinung zum Trophäen-Dreier Elbphilharmonie/Weltkulturerbe/Olympia blieb mit Scholz auf einer Wellenlänge: „Ich finde, Hamburg hat Nachholbedarf. Wenn wir die Gunst der Stunde nutzen und solche auch kulturpolitischen Schwergewichte alle zusammenbekommen könnten – wunderbar. Das wäre ein sehr effizientes, sehr ökonomisches Vorgehen.“
Mit Hamburg im Rennen sind ein Kandidat aus Sachsen-Anhalt: der Naumburger Dom und die „hochmittelalterliche Herrschaftslandschaft an Saale und Unstrut“ sowie eine Antiquität aus Schleswig-Holstein, Danewerk und Haitabu, als Teil der grenzüberschreitenden Nominierung „Denkmäler und Stätten der Wikinger“. Eine Entscheidung für Hamburg wäre aber nicht automatisch eine gegen die anderen beiden, denn es kann auch mehr als ein einziger neuer Weltkulturerbe-Status vergeben werden. 2014 hatte die Unesco den Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe als würdig erachtet.