Hamburg muss handeln. Es darf nicht sein, dass Verfahren über Jahre unbearbeitet liegen bleiben.

Wenn die Flüchtlingszahlen deutlich steigen, ist es offensichtlich, dass in dem Bereich mehr Personal eingesetzt werden muss. Wenn Straßen in einem nicht mehr befahrbaren Zustand sind, bemerkt das jeder. Und auch in der Zuständigkeit der Jugendämter ist es schnell offensichtlich, wenn Mängel auftreten. Aber im Bereich der Strafjustiz sind es oft nur Interessierte und Eingeweihte, die erkennen, wenn es Missstände gibt. Es sind jedoch Schwierigkeiten, die sich zu einem gesellschaftlichen Manko ausweiten können. Denn wenn unser Rechtsstaat nicht mehr richtig funktioniert, muss uns das alle etwas angehen.

Richter üben sich meist in vornehmer Zurückhaltung. Und sie betonen oft, sie würden nicht über ihre Urteile sprechen, sondern vielmehr durch ihre Urteile. Deshalb hat es umso mehr Gewicht, wenn Juristen in durchaus eindringlicher Diktion Missstände anprangern. Und wenn sie warnen, dass Verfahren teilweise über Jahre unbearbeitet liegen bleiben müssen – ein unhaltbarer Zustand.

Es geht um Angeklagte, über denen das Damoklesschwert einer Verurteilung schwebt und deren Leben über lange Zeit durch ein schwebendes Verfahren erheblich beeinträchtigt werden kann. Es geht um zum Teil schwer traumatisierte Opfer, die vom Staat erwarten dürfen, dass er die Täter schnell vor Gericht stellt. Und es geht um die Wahrheitsfindung, die sehr viel besser gewährleistet wird, wenn Zeugen einer Straftat zeitnah vor Gericht das schildern können, was sie erlebt haben und nicht erst dann gehört werden, wenn sie sich nur noch sehr grob oder sogar gar nicht mehr an Begebenheiten erinnern können. Ihre Aussage hat dann womöglich kaum noch Wert, und dies kann unter Umständen sogar dazu führen, dass ein Täter ungeschoren davon kommt. Dies muss jedoch bei unklarer Beweislage im Extremfall in Kauf genommen werden. Denn der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ ist einer der wichtigsten Grundsätze, die es in unserem Rechtsstaat gibt.

Hamburg steht mit seinem Pro­blem einer überlasteten Strafjustiz in Deutschland nicht allein da. Aber die Hansestadt muss sich, wie andere Bundesländer auch, ihre Justiz etwas kosten lassen. Und eine gut ausgestattete Polizei und eine tüchtige Staatsanwaltschaft reichen da bei Weitem nicht. Letztlich sind es die Richter mit ihren Urteilen, die einen funktionierenden Rechtsstaat gewährleisten, die Straftäter gegebenenfalls auch hinter Gitter schicken.

Ihre Belastung lässt sich nicht an der Anzahl von Verfahren messen, die sie zu bearbeiten haben, sondern vielmehr an deren Komplexität und am Umfang. Es ist schon lange keine Seltenheit mehr, dass in Fällen etwa der Wirtschaftskriminalität die Aktenberge etliche Umzugskartons füllen – und natürlich mit Akribie durchzuackern sind.

Wenn in der Personalausstattung der Strafjustiz nicht Abhilfe geschaffen wird, bleibt es vielleicht eines Tages nicht mehr beim Warnruf der Strafrichter, dass Verfahren, in denen Verdächtige nicht in Untersuchungshaft sitzen, jahrelang nicht bearbeitet werden können. Irgendwann ist die Belastung unter Umständen so hoch, dass ein eines schweren Verbrechens Beschuldigter aus der Untersuchungshaft entlassen werden muss, weil sein Prozess nicht zeitnah terminiert werden kann. So etwas hat es in Hamburg zuletzt vor sehr vielen Jahren gegeben. Der Aufschrei war groß – und verhallte recht schnell. Dazu soll es nicht wieder kommen. Wir müssen früher zuhören und vor allem: handeln.