Hamburg. Schüler aus Altona informieren sich über das Schicksal eines Afrikaners, der nach Hamburg kam, Hilfe fand und doch nach Italien ging.

Die drängendste Frage stellten die Schüler gleich am Anfang: Was ist aus Adama geworden? In der 10. Klasse der katholischen Schule Altona geht es um das Schicksal des Lampedusa-Flüchtlings aus Mali, über den das Abendblatt im Oktober 2014 im Magazin in einer großen Titelgeschichte berichtet hatte.

„Wir haben das Thema Flüchtlinge im Religionsunterricht behandelt“, sagt Martin König-Konerding. Sie haben die schockierenden Berichte über die Versenkung eines Flüchtlingsschiffes im Mittelmeer mit mehr als 700 Menschen an Bord gelesen. Sie haben über die Ursachen der Flüchtlingsbewegung gesprochen, über die Reaktionen der europäischen Regierungen und den Aufruf des Papstes, „das Mittelmeer nicht zum Grab für Tausende von Flüchtlingen werden zu lassen“.

Dann sind sie auf den Artikel gestoßen. Der Lehrer sagt, seine Schüler hätten den langen Text mit Betroffenheit und Interesse gelesen. „Dabei hatten wir das Gefühl, einen Film anzuschauen, der uns Adamas oft lebensgefährlichen Weg von Mali bis nach Hamburg ganz unmittelbar miterleben ließ.“

Fasziniert habe die Schüler, dass hier einmal ganz genau und ausführlich das Schicksal eines einzelnen Flüchtlings in den Vordergrund gestellt worden ist.

Der Artikel habe wohl, sagt Martin König-Konerding, bei so manchem Schüler die Augen für das ganz persönliche Schicksal jedes Flüchtlings geöffnet. Und nicht zuletzt seien einige seiner Schüler, die aus vielen unterschiedlichen Ländern kommen, durch den Artikel an das eigene Schicksal oder das ihrer Eltern erinnert worden, denen es auf ihrem Weg nach Deutschland vielleicht ähnlich ergangen ist.

Beeindruckt waren die Zehntklässler auch von Jutta Köhn. Die Hamburgerin hatte vor fast genau zwei Jahren, am 17. April 2013, nachts um halb eins eine Gruppe Afrikaner getroffen, die frierend in einer Garageneinfahrt in der Nähe ihrer Wohnung in der Innenstadt stand.

Jetzt war Jutta Köhn zu Gast in der Schule und hat den Schülern noch einmal erzählt, warum sie damals sehr spontan geholfen und schließlich Adama und einen weiteren Afrikaner bei sich in der Wohnung aufgenommen hatte. Ob sie keine Angst gehabt habe, wird sie von den Schülern gefragt. „Sie kannten die Menschen doch gar nicht.“

Jutta Köhn sagt, dass sie von Anfang an ein gutes Gefühl gehabt habe. „Vor allem bei Adama mit seiner ruhigen und bedächtigen Art.“ Die Rechtsanwältin hat im unteren Stockwerk des Mietshauses noch eine kleine Wohnung, in der sie arbeitet. Da sie oft in Berlin ist, steht diese Wohnung dann leer. „Ich konnte diese Wohnung nicht auch nur zeitweise leerstehen lassen in dem Wissen, dass da draußen Menschen stehen, frieren und keinen Schlafplatz haben“, sagt sie. Aus einer Nacht wurden anderthalb Jahre – bis Adama sich entschlossen hat, nach Italien zu gehen, um dort seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern.

Adama hätte in Hamburg eine Duldung bekommen. Doch wenn diese irgendwann abgelaufen wäre, so seine Befürchtung, hätte man ihn direkt nach Afrika abschieben können.

Zurück nach Mali? Nach Kolomosso, in dieses kleine Dorf mit den 182 Familien im Süden des Landes, in dem er vor 33 Jahren geboren worden ist? „Ich bin mit leeren Händen gegangen, aber mit leeren Händen zurückzukehren, das ist ausgeschlossen“, hat Adama, der in Hamburg ohne Papiere nicht arbeiten durfte, gesagt.

Jutta Köhn erzählt den Schülern, dass sie sich zusammen mit Adama im Atlas oft die Länder angeschaut habe. „Er hat immer gesagt: ,Mali ist so groß, Deutschland so klein. Wieso ist mein Land so arm und euer Land so reich?’“

Vor einem Jahr hat Adama das Nötigste zusammengepackt und ist nach Neapel gefahren. Im Juli hat Jutta Köhn noch einmal mit ihm telefoniert, da hatte er seine Papiere von den italienischen Behörden immer noch nicht bekommen. Der Abendblatt-Artikel endet mit dem Satz: Seitdem hat sie von Adama nichts mehr gehört.

„Das offene Ende ließ bei den Schülern sofort die Frage aufkommen, was aus Adama geworden ist“, sagt König-Konerding. „Und haben Sie inzwischen wieder etwas von Adama gehört?“, wollen Catarina, 16, und Fabian, 15, wissen. „Ja“, sagt Jutta Köhn, „vor einigen Wochen habe ich ihn endlich wieder telefonisch erreicht.“

Sie erzählt, dass sich Adama in Neapel mit anderen Afrikanern eine Wohnung für 400 Euro pro Monat teilt. „Er arbeitet auf dem Feld, oft 15 Stunden am Tag. Sechs Tage die Woche. Er ist gesund, aber immer müde. Aber vor allem ist er jetzt in der Lage, Geld nach Hause zu seiner Familie zu schicken.“

Seine italienischen Papiere sind Ende November verlängert worden. Rückwirkend vom Januar 2014 an wieder für ein Jahr. Sie sind also wieder abgelaufen. Als Jutta Köhn Adama erzählt hat, dass sein Schicksal in einer Schule iim Unterricht behandelt werde, sei er ziemlich stolz gewesen. „Und dann hat er gesagt“, erzählt Jutta Köhn in der Klasse, „dass die Schüler doch lieber Mathe und Englisch lernen sollten, das sei viel wichtiger als seine Geschichte.“