Hamburg. Zahlen 2015 höher als erwartet. Bis zum Jahresende muss die Stadt 10.000 neue Plätze zur Unterbringung schaffen.
Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) richtet sich angesichts der weiter wachsenden Zahl von Flüchtlingen auf die größte Herausforderung der vergangenen Jahrzehnte ein. „Wir rechnen damit, dass die hier Schutz suchenden Menschen länger im Land bleiben als jene, die Anfang der 90er-Jahre nach Deutschland kamen. Deshalb wird die Zahl der Flüchtlinge insgesamt zunehmen“, sagte Scheele dem Abendblatt. Bis zum Ende dieses Jahres werden aller Voraussicht nach rund 22.000 Menschen, die vor Krieg, Vertreibung und Armut geflüchtet sind, in Hamburg unterkommen.
Wie rasant die Entwicklung ist, zeigt sich an folgenden Zahlen: Vor fünf Jahren lag die Zahl der in der Stadt untergebrachten Flüchtlinge bei 7811, also bei einem guten Drittel dessen, was in diesem Jahr erwartet wird. Noch 2012 hat sich die Sozialbehörde darauf eingerichtet, 1000 zusätzliche Unterbringungsplätze zu schaffen. Das Ziel für dieses Jahr sind 10.000 Plätze.
Unlängst hatte die Sozialbehörde angekündigt, dass ein Nachtragshaushalt zur Finanzierung der Unterkünfte und Betreuung nötig werden könnte. „Bei anhaltend hohem Zuzug ist absehbar, dass das 2015 zur Verfügung stehende Geld nicht ausreichen wird und wir die Bürgerschaft deshalb voraussichtlich um zusätzliche Mittel bitten müssen“, hatte Behörden-Sprecher Marcel Schweitzer angekündigt. Im vergangenen Jahr haben die Ausgaben dafür rund 300 Millionen Euro betragen.
„Die Herausforderung in der Flüchtlingspolitik liegt nun darin, dass alle Verantwortlichen Lösungen innerhalb ihres Verantwortungsbereiches finden und Initiativen starten, die für mehr Flexibilität bei der Unterbringung und Integration von geflüchteten Menschen sorgen“, sagt Sozialsenator Scheele heute. Er spielt damit erneut auf seine Initiative an, Flüchtlinge in geänderter Form auf die Bundesländer zu verteilen. Bislang geschieht dies nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel, der sich an Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft eines Bundeslandes orientiert. Allerdings haben Stadtstaaten naturgemäß weniger Platz als Flächenländer. Denkbar ist, Staatsverträge mit anderen Bundesländern über die Verteilung zu schließen.
Von den 10.000 benötigten Plätzen sind schon 6000 in der Planung
Von den in diesem Jahr benötigten 10.000 zusätzlichen Unterbringungsplätzen sind rund 6000 bereits genehmigt und laut Sozialbehörde konkret geplant. Zum ersten Mal könnte auch eine Einrichtung für Flüchtlinge in Eppendorf errichtet werden. Als Standort hat die Sozialbehörde eine Fläche zwischen Deelböge und Salomon-Heine-Weg im Blick. Ebenfalls im Bezirk Nord liegt die Einrichtung am Jugendparkweg in Langenhorn. Diese soll im letzten Quartal dieses Jahres Platz für 240 Menschen bieten.
Neue Planungen gibt es auch in Osdorf (Bezirk Altona). Hier sollen auf dem Gelände der Generalleutnant-Graf-von-Baudissin-Kaserne am Blomkamp 145 Flüchtlinge unterkommen. Bundeswehr und Sozialbehörde wollen einen entsprechenden Vertrag abschließen. Die Kaserne soll aber weiter von der Bundeswehr genutzt werden. Auch soll im Bezirk Altona der Standort Sieversstücken II (Sülldorf) um etwa 150 Plätze auf 438 Plätze erweitert werden. An der August-Kirch-Straße (Bahrenfeld) werden 100 weitere Flüchtlinge untergebracht, bislang gibt es dort 288 Plätze. Auch in Lokstedt am Hagendeel kommen zu den vorgesehenen 288 Plätzen nach Planungen der Sozialbehörde weitere 240 Plätze dazu.
Wie sehr diese Plätze benötigt werden, zeigt sich auch an der Zahl der Flüchtlinge, die sich noch in der Zentralen Erstaufnahme befinden. Rund 1600 Menschen warten darauf, in die etwas komfortableren Folgeunterbringungen umzuziehen. Darauf haben sie nach drei Monaten ein Recht. Da Erstunterbringungen zeitlich begrenzt sein sollen, sind deren Standards auch niedriger. Um die Situation in den Zentralen Erstaufnahmen für Flüchtlinge zu entspannen, wird geprüft, auch die Plätze aus dem Winternotprogramm für Obdachlose zu nutzen. Diese stehen im Sommer leer.
Mittlerweile verlässt sich Hamburg bei seiner Planung für die Flüchtlingsunterbringung nicht mehr auf die Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Dessen Zahlen haben sich in der Vergangenheit immer wieder als zu niedrig erwiesen. Das liegt an der Art der Erfassung. Das BAMF rechnet die ihm gemeldeten Asylantragszahlen in seiner Vorhersage für ganz Deutschland hoch. Die tatsächlichen Neuzugänge in den Ländern sind dabei noch nicht berücksichtigt.
Dabei sind die korrekten Prognosen wichtig, nicht nur um Flächen und Plätze bereitzustellen, sondern auch Sozialarbeiter einzustellen und neue Vorbereitungs- und Alphabetisierungsklassen einzurichten. Seit Anfang 2015 erstellt Hamburg nun selbst Prognosen. Wie groß die Differenzen sind, zeigt sich am Beispiel des vergangenen Februars: In diesem Monat hat die Hansestadt 1080 Asylanträge erwartet. Die Zahl des BAMF für Hamburg lag dagegen bei nur 745.