Hamburg . Scholz und Fegebank präsentierten Koalitionsvertrag. Die wichtigsten Themen im Überblick. Umfrage: Was halten Sie von Rot-Grün?

Die neue Regierung in Hamburg steht. Fast zwei Monate nach der Bürgerschaftswahl präsentierten die Spitzen von SPD und Grünen am Mittwochvormittag in den Deichtorhallen den Entwurf ihres Koalitionsvertrags.

Danach wird es im neuen Senat elf Senatoren geben, einen mehr als vorher. Die Grünen bekommen drei Posten: Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung, Umwelt und Energie sowie Justiz. Wie erwartet soll Grünen-Chefin Katharina Fegebank Wissenschaftssenatorin werden, Fraktionschef Jens Kerstan Umweltsenator und Till Steffen wird nach fünf Jahren als Chef in die Justizbehörde zurückkehren.

„Hamburg wird auch in Zukunft weiter gut regiert“, sagte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Man habe sehr sorgfältig, sehr lange und sehr gut miteinander verhandelt. „Das war ein sehr erfreulicher Prozess.“ Die Schnittmenge für eine gemeinsame Regierungsbildung sei sehr groß. Das größte Projekt der künftigen Partner „ist sicherlich die Olympia-Bewerbung unserer Stadt“, sagte der Bürgermeister. „Und für uns ist es zugleich eine Gelegenheit zu demonstrieren, dass alles das, was uns zusammenführt, was wir in den nächsten fünf Jahren als Regierung bewegen wollen, miteinander gelingen kann.“

Grünen-Chefin Katharina Fegebank betonte: "Hinter uns liegt ein hartes Stück Arbeit." Hamburg solle mit dem neuen Koalitionsvertrag "grüner" werden. Das Vertragswerk umfasst 115 Seiten.

Positive und negative Reaktionen

Die ersten Redaktionen waren unterschiedlich. Der Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, Hans-Jörg Schmidt-Trenz, sagte, man betrachte "die explizite Uneinigkeit" bei der Elbvertiefung mit großer Sorge. DGB-Chefin Katja Karger lobte, dass befristete Arbeitsverträge im öffentlichen Dienst künftig die Ausnahme sein sollen und der Hamburgische Mindestlohn erhöht werden solle. Von den Oppositionsparteien kam teilweise deutliche Kritik. Der neue CDU-Landeschef Roland Heintze bezeichnete den Koalitionsvertrag als "Dokument des Misstrauens". Er monierte, dass das Thema Innere Sicherheit "unter ferner liefen" abgehandelt werde. Die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte nannte er einen "Schlag ins Gesicht unserer Hamburger Polizei".

Zentrale Vereinbarungen von SPD und Grünen

Die Unterhändler von SPD und Grünen in Hamburg haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Zentrale Inhalte sind dabei:

Haushalt/Finanzen: Die Haushaltskonsolidierung wird fortgesetzt, die Ausgaben werden weiter am langfristigen Einnahmetrend ausgerichtet. Die jährliche Steigerung im Haushalt bleibt bei 0,88 Prozent gedeckelt (0,5 Prozent nach dem neuen Finanzrahmengesetz). Die von 2020 an geltende und auch in der Hamburgischen Verfassung verankerte Schuldenbremse hat Bestand. Insgesamt 100 Millionen Euro stehen in den kommenden fünf Jahren zusätzlich zur Verfügung.

Schule: Die Schulen werden finanziell und personell besser ausgestattet, der Ganztagsbereich wird ausgebaut und die Inklusion vorangetrieben. Außerdem soll es mehr Produktionsküchen geben und der Kampf gegen Unterrichtsausfall verstärkt werden. Zudem sollen sich Hamburgs Schüler mehr an zentralen Bundesprüfungen beteiligen.

Wirtschaft/Hafen: Sollten die Gerichte die Elbvertiefung zulassen, wird sie auch umgesetzt. Gleichzeitig soll dann auch ein Paket zur „Ökologisierung der Elbe“ geschnürt werden.

Verkehr: Der geplante U-Bahnbau wird beschleunigt, das Busbeschleunigungsprogramm modifiziert und der Fahrradverkehr in Hamburg soll bis spätestens 2030 auf 25 Prozent erhöht werden. Nicht geben wird es eine Stadtbahn, eine City-Maut oder eine Umweltzone.

Wissenschaft: Die Wissenschaft in Hamburg erhält zusätzlich 40 Millionen Euro. Der Hochschulbau wird unverändert fortgesetzt. Die umstrittenen BAföG-Millionen in Höhe von rund 30 Millionen Euro fließen weiterhin nicht in die Hochschulen.

Kultur: Bau und Betrieb der Elbphilharmonie werden nicht zulasten der übrigen Kultur gehen. Die Filmförderung bleibt bestehen, die Bildenden Künste werden gestärkt und die Privattheater weiter unterstützt. Die Tourismus- und Kulturtaxe soll Raum für neue Projekte schaffen.

Umwelt: Der Umwelt- und Klimaschutz wird mit 30 Millionen Euro zusätzlich ausgestattet. Naturschutzgebiete werden ausgeweitet, die Grünanlagen besser gepflegt und mehr Dachbegrünungen vorgenommen. Der Luftreinhalteplan wird weiterentwickelt. Das veraltete Kohlekraftwerk Wedel wird ersetzt - unklar ist jedoch wodurch.

Wohnen: Senatsziel bleibt, dass jedes Jahr 6000 neue Wohnungen gebaut werden, ein Drittel davon als Sozialwohnungen. Grünflächen, Biotope und Landschaftsachsen sollen dabei besonders geschont werden, und auch die Energieeffizienz soll im Vordergrund stehen. Menschen in Notlagen sollen von Projekten sozialer Investoren profitieren, welche von der Stadt günstige Grundstücke erhalten sollen. Die Mietpreisbremse wird möglichst in ganz Hamburg eingeführt.

Gesundheit/Verbraucherschutz: Der Senat will mehr spezialisierte, überregionale Behandlungszentren nach Hamburg holen, eine gleichmäßige Ärzteversorgung in allen Stadtteilen fördern und in jedem Bezirk ein Zentrum für Altersmedizin einrichten. Bei der Pflege gilt weiter das Ziel, Pflegebedürftige möglichst lange zu Hause leben zu lassen. Außerdem wird ein Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an namentlich bekannte Erwachsene geprüft.

Justiz: Der Strafvollzug in Hamburg wird reformiert, die Frauenabteilungen werden nach Billwerder verlegt. Außerdem soll es ein Resozialisierungsgesetz geben. Der Datenschutzbeauftragte soll mehr Freiheiten erhalten.

Soziales/Kinder: Der Betreuungsschlüssel an Kindertagesstätten wird schneller auf 1:4 erhöht als geplant. Außerdem soll der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) besser ausgestattet und ein Personalbemessungssystem rasch eingeführt werden. Das Hamburger Mindestlohngesetz wird angepasst, die Leiharbeit eingeschränkt. Befristungen sollen vermieden und Langzeitarbeitslose mehr unterstützt werden.

Olympia/Referendum: Bevor Olympische Spiele in Hamburg stattfinden können, soll es ein verbindliches Referendum geben. Dazu soll die Verfassung geändert werden. Außerdem sind sich beide Parteien einig, dass Sommerspiele in Hamburg deutlich kleiner, bescheidener und nachhaltiger werden müssen als Olympische Spiele bislang sind.

1/13

Die Vorstellung in den Deichtorhallen des Vertragswerks hatte etwa zwei Stunden gedauert. Über die Verteilung der Senatorenposten sei noch nicht abschließend entschieden worden, sagte Scholz. Unter dem Motto „Never Change A Winning Team“ sei es aber keine besonders schwierige Aufgabe, eine Lösung zu finden. Allerdings haben in den vergangenen Tagen zwei Senatorinnen ihr Ausscheiden erklärt. Jana Schiedek (Justiz) und Jutta Blankau (Stadtentwicklung/Umwelt) werden dem neuen Senat nicht mehr angehören. Zuletzt gab es deshalb Diskussionen um die Frauenquote in Scholz' Regierungsmannschaft gegeben.

Für die nächsten 5 Jahre Rot-Grün
Rot-grüner Senat besiegelt

weitere Videos

    Bau der U5 soll schneller Fahrt aufnehmen

    Es wird erwartet, dass die bisherige Mannschaft bestehend aus Peter Tschentscher (Finanzen), Ties Rabe (Schule und Berufsbildung), Detlef Scheele (Arbeit, Soziales, Familie und Integration), Michael Neumann (Inneres und Sport), Cornelia Prüfer-Storcks (Gesundheit und Verbraucherschutz), Barbara Kisseler (Kultur) und Frank Horch (Wirtschaft, Verkehr und Innovation) im Kern bestehen bleibt.

    Offenbar soll der Bau der U5 schneller an Fahrt aufnehmen. Das kündigte der Fraktionsvorsitzende der SPD, Andreas Dressel, an. Auch das Projekt "Fahrradstadt Hamburg" soll vorangetrieben werden, sagte der Fraktionschef der Grünen, Jens Kerstan. Der Radverkehr soll auf 25 Prozent steigen. 30 Millionen Euro sind dafür im Budget vorgesehen. Insgesamt gibt ihm zu zufolge bis 2020 einen finanziellen Spielraum von 100 Millionen Euro. 40 Millionen sollen demnach in die Wissenschaft fließen, 30 Millionen in die Bereiche Umwelt, Klimaschutz und Energie und weitere 30 Millionen für andere Projekte verwendet werden. Beide Parteien wollen die Haushaltskonsolidierung fortsetzen.

    Grüne mussten Zugeständnisse machen

    Als weiteren Erfolg können die Grünen für sich verbuchen, das doch keine Rechtsmittel gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg zur Luftreinhaltung eingelegt werden. Und im Rahmen einer Ökologisierung des Hafens sollen Unternehmen dazu bewegt werden, „freiwillig auf den Transport von hochradioaktiven Kernbrennstoffen“ zu verzichten, wie Kerstan ankündigte.

    In einigen Punkten mussten die Grünen Zugeständnisse machen. So soll etwa die umstrittene Elbvertiefung kommen, wenn die Gerichte zustimmen. Beim Thema Flüchtlinge hatte es zuletzt deutlich geknirscht im rot-grünen Verhandlungsmarathon. Jetzt erklärte Scholz, dass Lampedusa-Flüchtlinge, die sich bislang noch nicht bei den Ämtern gemeldet haben und eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt haben, dieses trotz Ablauf der Frist vor fast einem Jahr tun können. Allerdings wird es keine Gruppenlösung für die etwa 300 Männer aus Afrika geben, die seit Anfang 2013 in der Stadt sind. Das war eine der Forderungen der Grünen gewesen.

    "Von Krötenrettern zu Krötenschluckern"

    Auch beim Thema Gefahrengebiete hat sich die SPD offenbar durchgesetzt. Eine Abschaffung der umstrittenen Zonen mit Sonderrechten für die Polizei soll es nicht gegen. "Wir werden die Rechtsgrundlage überprüfen", hieß es.

    Schon am Nachmittag reagierte auch die Opposition auf den Vertragsentwurf. "Dieser Koalitionsvertrag dokumentiert, dass sich die grünen Krötenretter zu Krötenschluckern gewandelt haben, um auf neue Posten zu gelangen", kritisierte FDP-Fraktionschefin Katja Suding. "Olaf Scholz und die SPD zelebrieren ein visionsloses ‚Weiter-so‘ mit grünem Minimalanbau."

    Der Fraktionschef der CDU, André Trepoll, sagte: "Dieser aufgeblähte Senat, mit zusätzlichen Mini-Behörden, steht somit nicht für ein modernes und effizientes Hamburg, sondern ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für rote und grüne Parteimitglieder auf Kosten der Steuerzahler.“

    Scholz soll am 15. April im Amt bestätigt werden

    „Dieser Vertrag hat viele schöne Überschriften, aber praktisch keine konkreten Ansätze für ein sozial gerechtes Hamburg“, erklärt auch Cansu Özdemir, Ko-Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft.

    Mit der heutigen Vorstellung ist das Regierungsbündnis aber noch nicht besiegelt. Vielmehr muss am 12. April eine Mitgliederversammlung der Grünen und am 14. April ein Parteitag der SPD noch darüber abstimmen. Danach könnte Olaf Scholz (SPD) am 15. April in der Bürgerschaft von Rot-Grün als Bürgermeister im Amt bestätigt werden.

    Bei der Bürgerschaftswahl am 15. Februar hatte die SPD ihre absolute Mehrheit verloren. Die Sozialdemokraten kamen auf 45,7 Prozent, die Grünen erreichten 12,3 Prozent. (HA)