Ein ungewöhnliches Plakat, ein bisschen Aufregung – und schon ist Hamburgs FDP wieder in aller Munde. Für einen erneuten Einzug in die Bürgerschaft ist das trotzdem zu wenig, meint unser Autor.

Hamburg/Berlin. Diese Geschichte sollte eigentlich ganz anders anfangen. Mit einer kurzen Abhandlung über die Bedeutung von Mitleid und Spott in der parlamentarischen Demokratie. Darüber, dass man sich fairerweise nicht lustig machen sollte über kleine Parteien, denen es ohnehin schon nicht so gut geht. Über Freidemokraten zum Beispiel, die den Schaden längst haben.

Wie die Dinge aber gelaufen sind in der vergangenen Woche, beginnt dieser Bericht über den „Hamburg-Abend“, zu dem die FDP in ihre Bundeszentrale nach Berlin geladen hatte, doch erst einmal mit einem Hinweis auf jene humorlose Kleinkariertheit, jene kaum noch für möglich gehaltene Spießigkeit und Piefigkeit, mit der in diversen alten und neuen Medien über das dort vorgestellte Werbeposter der Hamburger Liberalen hergefallen wurde.

„Peinlich-Plakat?“ Nö. Das in Berlin vorgestellte Katja-Suding-Poster mit dem Spruch „Unser Mann für Hamburg“ ist zum einen ein wunderbar ironischer Anschlag auf alle Gender- und Quotendebatten dieser Republik. Zum anderen erfüllt es schlicht und ergreifend seinen Zweck. Es lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Partei, die der NDR in Hamburg gerade bei zwei Prozent vermessen hat, die um jede Zeitungszeile ringen muss und auch in den sozialen Medien meistens mit sich selbst spricht.

Macho-Plakat dürfte Preise der Werbeindustrie abräumen

Das war in dieser Woche offensichtlich anders. Sudings Macho-Plakat, keine Frage, dürfte beste Chancen haben, die einschlägigen Preise der Werbeindustrie abzuräumen. Insofern: Gratulation, liebe Liberale, endlich mal wieder alles richtig gemacht.

Das gilt leider nicht für den Rest jener als „Hafenrundfahrt“ deklarierten Veranstaltung, bei der man sich trotzig Mühe gegeben hatte, wenigstens ein bisschen maritimes Flair in Berlins steinerne Mitte zu bugsieren. An der Wand hängt also ein Fischernetz. In dem Fischernetz sind Pappfischlein befestigt. Auf den Pappfischlein stehen noch kleinere Polit-Sprüchlein. Man erkennt nicht in jedem Fall auf Anhieb, ob sie nun freiwillig oder unfreiwillig komisch sein sollten. „Elbvertiefung: Schwimmen mit mehr Tiefgang“, steht da. Oder: „Beste Bildung statt Schulen wie Sardienenbüchsen“. Sardine mit „ie“, hehe. „Willkommen auf der Titanic“ hätte auch ganz gut gepasst.

Die gelb-blauen Protagonisten oben an Deck mühen sich redlich, das Leck im liberalen Dampfer trotzdem wieder dichtzukriegen. Alle hier sind fest entschlossen, die Krise der FDP möglichst klein- und Sudings Chancen auf einen Wiedereinzug in die Bürgerschaft möglichst großzureden. Die Vorzeichen für die beiden Bürgerschaftswahlen in Hamburg (im Februar) und Bremen (im Mai) stünden „besser als je zuvor“, behauptet keck die ebenfalls frisch gekürte Bremer FDP-Frontfrau Lencke Steiner, die der Partei allerdings vorsichtshalber nicht beigetreten ist. Angesichts der Umfragedaten in Hamburg und der bisherigen Performance der Weser-FDP eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung. Abstand ist dort im Moment so ziemlich die beste Werbung für die FDP.

Model-Doppel soll inhaltliche Tristesse der FDP verblenden

Die liberale Lage ist in beiden Stadtstaaten desolat; in Bremen ist das Fehlen der Partei in den vergangenen dreieinhalb Bürgerschaftsjahren nicht ein einziges Mal bemerkt worden; in Hamburg hat die alte Parteiführung es geschafft, die ordentliche Parlamentsarbeit geschickt und vollständig hinter ständigen innerparteilichen Querelen zu verstecken. Inzwischen setzt man alles, aber auch wirklich alles auf die äußere Wirkung der beiden Spitzenkandidatinnen: Katja Suding und Lencke Steiner geben im Atrium des Thomas-Dehler-Hauses erstmals jenes forsch-fotogene Model-Doppel, das die inhaltliche Tristesse der FDP in den kommenden Monaten formschön verblenden soll.

Mann fragt sich in so einem Moment fast zwangsläufig, an welche der beiden Damen Rainer Brüderle wohl seine Tanzkarte ausgegeben hätte. Mann erinnert sich an „Bambus“ und „Eiche“, an afghanische Teppiche, Gurkentruppen und an das Auswärtige Amt. Mann nimmt auch zur Kenntnis, dass keiner aus der Riege der früheren Bundesminister noch teilnimmt an so einem liberalen Festabend. Nur Hermann-Otto Solms ist da. Er betreibt hier im gleichen Haus ein Consulting-Büro.

Später wird noch Birgit Homburger vorbeischauen, die frühere Fraktionschefin im Bundestag. Auch sie ist Consulterin. Und zufrieden. Irgendwie sind hier alle Ehemaligen entweder nicht gekommen oder zufriedene Consulter. Katja Suding, oben auf der kleinen Bühne, ist noch nicht in die Beratungsbranche gewechselt. Aber sie konterkariert gerade ein wenig die Professionalität und Pfiffigkeit ihres Wahlkampf-Plakats. Ihre kleine Ansprache bleibt so brav, dass man um die Wirkung ihres Plakats gleich wieder bangen muss.

Man müsste nicht nur auf den Plakaten innovativ sein

Suding verweist auf den knappen Betreuungsschlüssel in den Hamburger Kitas und auf das fiese Busbeschleunigungsprogramm des Senats; man kennt das auch von den anderen Oppositionsparteien. „Hamburg verscholzt“, beschließt die Spitzenkandidatin, ohne auch nur einen konkreten Hinweis darauf zu geben, warum genau der Hamburger Wähler der FDP doch wieder eine Chance geben sollte.

Liberales Plakat prima, liberale Argumente nicht vorhanden, das ist, jenseits von Mett und Matjes am Büfett, die Quintessenz dieses Berliner Hamburg-Abends. Man wird da noch ein wenig nachsteuern müssen. Es gäbe ja hinreichend Gelegenheit, sich abzusetzen vom Rest des Rathauses. Moderne Schulpolitik, moderne Flüchtlingspolitik, moderne Wirtschaftspolitik, moderne Verkehrspolitik, die Felder liegen ja brach. Nur müsste man eben nicht nur auf den Plakaten innovativ sein.

Warum also ist die FDP nicht die Partei, die die Probleme an Hamburgs Schulen beim Namen nennt? Die benennt, dass es falsch ist, die Klassenverbünde nach vier Jahren auseinanderzureißen, nur um eine Schulform aus Kaisers Zeiten zu bewahren, das mit den Ansprüchen und Bedürfnissen unserer Gesellschaft nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun hat. Eine Partei, die erkennt, dass man in der Mittelstufe stumpfe Schreibtisch-Lehrpläne ausdünnen muss. Eine Partei, die auf dieser Basis klar sagt, dass man in Hamburgs Oberstufen und Universitäten natürlich endlich die Leistungs-Eliten fördern muss. Dass nicht nur akademische Masse gebraucht wird, sondern auch akademische Klasse.

Warum ist es nicht die FDP, die die gut gemeinte, aber eben doch mangelhafte Flüchtlingspolitik der Stadt verändern will? Die massiv in Integration investieren will statt Asylbewerber nur irgendwie unterzubringen und vor Übergriffen zu schützen, weil an dieser Stelle sonst ebenso wie in der Schulpolitik Talente und Zukunftschancen verschleudert werden, wie es sich weder die Stadt, noch das ganze Land noch unsere Wirtschaft leisten kann.

Mit Rückenwind aus Berlin sollte Hamburgs FDP nicht rechnen

Warum gelingt es der FDP nicht, Bündnisse mit Hamburgs kleinen, kreativen Unternehmen zu schließen? Sich offensiv statt verhalten der Förderung von Start-Ups und neuem Mittelstand zu widmen; liberales Know-how zu vermitteln statt lobbyistisch das Interesse dieser oder jener Branche zu vertreten; sich zum Anwalt jener dynamischen Selbstständigkeit macht, die sie politisch immer wieder im Munde führt.

Schließlich: Verkehrspolitik. Es ist ziemlich altbacken, sich in einer Stadt, die Metropole sein will, über Verkehrsstaus zu beklagen. Oder über Baustellen. Das ist doch lächerlich. Die gehören dazu; soll man denn alles lassen, wie es ist? Natürlich nicht. Es ist schlichtweg richtig, dass die Stadt jetzt versucht, die Innenstadtstraßen fit zu machen für die kommenden Jahre; auch den existierenden Nahverkehr. Das darf man sagen als Oppositionspartei. Und sich dann an die Spitze derjenigen setzen, die sagen, dass es trotzdem noch besser werden kann. Dass man die neue U-Bahn auch deutlich fixer fertig bekommen könnte, wenn man es ernst meint.

Von alledem ist in Berlin nicht die Rede gewesen. Stattdessen hat Christian Lindner noch ein Grußwort abgeliefert, das ahnen ließ, wie furchtbar weit der Weg der Liberalen noch sein wird. Etwas „Lust auf Leistung“, ein Schuss „Mut zur Eigenverantwortung“, eine Prise beleidigter Medienkritik – das sind die Ergebnisse des einjährigen „Selbstvergewisserungsprozesses“ der Liberalen. Mit Rückenwind von der Bundesebene sollte Hamburgs FDP lieber nicht rechnen.

Wenn man rausgeht aus der Berliner FDP-Zentrale, dann hängt gleich draußen links am Haus ein Schild, auf dem Thomas Dehler, einer der Gründerväter der Partei, zitiert wird: „Liberal zu sein, heißt auch mutig sein.“ Tapfer waren sie an diesem Abend schon mal.