Staatsrat Pörksen ist der erste Zeuge aus der Landesebene, der vor dem Untersuchungsausschuss aussagt. Im Fall Yagmur habe es laut Pörksen eine „systemische Verantwortung“ in der Behörde gegeben.
Hamburg. Bis zur entscheidenden Frage im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum gewaltsamen Tod des dreieinhalb Jahre alten Mädchens Yagmur hat es gut zweieinhalb Stunden gedauert. „Wer trägt die politische Verantwortung“, lautete die Frage an Jan Pörksen (SPD), Staatsrat der Sozialbehörde, der als Zeuge geladen war. Er zeigte sich darauf vorbereitet – hatte er zuvor ausschweifend seine Sicht auf das Jugendhilfesystem und den Fall Yagmur dargestellt, antwortete er diesmal vergleichsweise klar. „Die politische Verantwortung für das Gesamtsystem trägt die Leitung der Behörde.“ Gleichzeitig schloss er indirekt personelle Konsequenzen aus. So habe die Sozialbehörde schon nach dem Tod des Pflegekindes Chantal, das an einer Methadonvergiftung starb, vor zweieinhalb Jahren „mit großem Engagement die richtigen Schlussfolgerungen gezogen und unpopuläre Entscheidungen getroffen“.
Aus diesem Grund habe ihn der „Fall Yagmur“ schwer getroffen. Die Konsequenzen, die nach dem Tod des dreieinhalb Jahre alten Mädchens gezogen wurden, nämlich die Kooperation mit dem Kinderkompetenzzentrum des UKE und einer besseren Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft, hätten natürlich auch vorher getroffen werden können, so Pörksen. „Getötet wurde Yagmur von ihren Eltern“, sagte Pörksen. Auch wenn es eine „systemische Verantwortung“ in der Behörde gegeben habe.
Aus Pörksens Sicht gehe es in dem Fall um die Grundsatzfrage, warum die Rückführung des Mädchens in seine leibliche Familie im Fokus stand. Wie berichtet hatte die leibliche Mutter, die sich derzeit wegen des Vorwurfs des Mordes an ihrer Tochter vor Gericht verantworten muss, Yagmur bereits kurz nach der Geburt in die Hände einer Pflegemutter gegeben. „Ich würde niemals sagen, wie man handeln muss, aber dass die leiblichen Eltern sosehr im Mittelpunkt standen, ist aus der Rückschau schwer nachvollziehbar.“
Staatsrat Pörksen ist der erste Zeuge aus der Landesebene, der vor dem Untersuchungsausschuss aussagt. Zuvor waren Zeugen vernommen worden, die unmittelbar mit dem Mädchen zu tun hatten. Zuletzt war Andy Grote (SPD), Bezirksamtsleiter von Mitte, befragt worden. Dieser hatte ausgesagt, dass man „nicht dicht genug dran“ an dem Mädchen gewesen sei. Zu Beginn seiner Aussage am Montagnachmittag sagte Jan Pörksen, dass die Todesfälle von Chantal und Yagmur zu den schlimmsten Ereignissen in seiner Zeit als Staatsrat gehörten. Es stelle sich die Frage, wie man das künftig verhindern könne. „Wir haben nach dem Tod von Chantal gelernt, dass man erst genau wissen muss, was passiert ist. Deshalb ist die Einrichtung der Jugendhilfeinspektion bei Yagmur gut gewesen.“ Aus seiner Sicht fehle es nicht an Regeln. „Es geht darum, wie diese Regeln in der Praxis eingehalten werden und wie das Kindeswohl sichergestellt werden kann und das eigene Handeln immer wieder hinterfragt werden kann. Wir erwarten, dass wie bei einem Arzt, die Diagnose immer wieder in Frage gestellt wird.“
Über den Bericht der Jugendhilfeinspektion, der viele Fehler an den Schnittstellen zwischen den Institutionen offen gelegt hat und damit für Missstimmung in den Bezirksämtern sorgte, sagte Pörksen: „Es geht es nicht um individuelle Schuld, sondern um die Frage ob es an einer bestimmten Stelle auch eine andere Entscheidung hätte geben können. Auch wenn der Bericht wegen der zugespitzten Wortwahl für die Mitarbeiter hart war.“
Ressourcen hätten bei den Fällen Chantal und Yagmur eine Rolle gespielt. Zwar könne nur ein „starker Allgemeiner Sozialer Dienst seinem Helfer- und Wächteramt nachkomme“, so Pörksen. Aber derzeit seien die Stellen in den die Jugendämter zu „99 Prozent“ besetzt. Vor gut zwei Jahren seien es nur 80 gewesen. Vielmehr habe man es mit den Folgen der Nachbesetzungen zu tun. „Es gibt viele junge Mitarbeiter. Es gibt also nicht strukturelle Probleme. Dennoch müssen wir zusehen, dass die Übergaben der Fälle klappen.“
Für diese Aussagen musste der Staatsrat sich harsche Kritik von Christiane Blömeke (Grüne) und Christoph de Vries (CDU) anhören. „Plötzlich war Geld für mehr Stellen da. Warum also nicht schon vor gut zwei Jahren, nach dem Tod von Chantal“, sagte Blömeke. Aus ihrer Sicht sei der Senat seiner Verantwortung nicht nachgekommen. Ähnlich äußerte sich auch de Vries: „Aus allen bisherigen Aussagen im Untersuchungsausschuss entstand der Eindruck, dass sich die Arbeitsbedingungen verschlechtert haben.“
Die umstrittene Behördensoftware Jus-IT, mit der Jugendämter ihre Fälle elektronisch dokumentieren, sei weder bei Chantal noch bei Yagmur ein Problem gewesen, sagte Pörksen. „Im Fall Chantal war die Drogenvergangenheit der Pflegeeltern tief, tief in den Papierakten. Das kann es mit Jus-IT nicht geben“, sagte Pörksen. „Mein Eindruck ist, dass das Thema Jus-IT in den Hintergrund gerät. Das war am Anfang anders.“ Es gebe sogar Behördenbereiche, die damit zufrieden seien.