In seiner Bilanz nach 100 Tagen im Amt spricht der neue Hamburger Polizeipräsident Ralf Meyer über zunehmende Straftaten in der Hansestadt und erklärt, wie es um den Personalmangel steht.
Alsterdorf. 100 Tage ist Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer im Amt. Im Gespräch mit dem Abendblatt zieht er Bilanz, erläutert, wie er die Polizei zukunftsfähig machen will, und reagiert auf Kritik der Opposition, die beklagt, dass zu wenig Polizisten auf den Straßen präsent sind.
Hamburger Abendblatt: Herr Polizeipräsident, die Zahl der Straftaten ist in einigen Bereichen deutlich angestiegen, insbesondere bei Einbrüchen und Körperverletzungen im öffentlichen Raum, wo die Zuwächse im zweistelligen Prozentbereich liegen. Wo liegt das Problem?
Ralf Martin Meyer: Die aktuelle Entwicklung leiten wir daraus ab, dass die Menschen in diesem Jahr länger auf der Straße waren. Es war sechs Wochen früher warm und die Menschen mehr unterwegs. Und genau die dazu typischen Deliktsformen sind gestiegen, die Körperverletzungen auf öffentlichen Wegen und Plätzen, der Diebstahl allgemein, erheblich der Taschendiebstahl. Ein weiterer Grund ist die gestiegene Zuwanderung. Gerade Flüchtlinge wachsen in sozial prekären Lebensverhältnissen auf. Ein Teil entscheidet sich, wie in unserer Bevölkerung auch, für einen kriminellen Weg. Wir registrieren stärker als bisher Tätergruppen aus nordafrikanischen Ländern.
Damit können Sie nicht zufrieden sein.
Meyer: Woran ich mich gern messen lasse, ist, dass spürbar mehr Fälle aufgeklärt werden. Diese Zahl möchte ich insbesondere beim Einbruch gesteigert sehen. Und wenn wir mit unserem Konzept gegen schweren Diebstahl, in das wir viel investieren, keine Steigerung erreichen, müssen wir uns fragen lassen, ob wir die richtigen Dinge getan haben. Man muss einen langen Atem haben und nicht auf kurzfristige Erfolge setzen. Trotzdem denke ich, dass bis zum Jahresende eine Steigerung der Einbruchsaufklärungen zu erkennen sein muss. Das ist der Gradmesser.
Was genau unternehmen Sie gegen die hohe Zahl an Einbrüchen?
Meyer: Wir haben seit April des Jahres im LKA eine Soko eingerichtet, um die Einbruchsbekämpfung zu optimieren. Basis des neuen Konzepts ist eine verbesserte Lageauswertung, anhand derer wir tagesaktuell auf Entwicklungen reagieren. Dazu setzen wir zusätzliches Personal ein. So haben wir unter anderem jüngst 60 bis 80 zusätzliche zivile Polizisten in der Innenstadt eingesetzt, als sich dort kurzfristig ein Brennpunkt entwickelte. Mit Beginn der dunklen Jahreszeit wollen wir noch gezielter gegen bekannte Einbrecher vorgehen.
Die Gewerkschaften beklagen massive Personalprobleme an den Wachen. Sind zu wenig Beamte auf der Straße?
Meyer: Wir stehen vor großen personellen Strukturveränderungen. Wir haben einen Wandlungsprozess begonnen, hin zu einer Verjüngung der Polizei. Wir stellen jedes Jahr 250 bis 300 Beamte neu ein, die die Reviere künftig verstärken werden. Und wir haben an den Polizeikommissariaten die Dienstgruppe Operative Aufgaben aufgebaut, die ihren Möglichkeiten entsprechend die Arbeit der Funkstreifenwagen-Besatzungen unterstützt. Die mittlerweile 190 Beamten arbeiten im Früh- und Spätdienst, sind auf der Straße präsent. Mein Ziel ist, dass sie die Wachdienstgruppen im Tages- und Spätdienst bei der Erfüllung dieser Grundlast, wo knapp 100 Kollegen fehlen, unterstützen. Wir haben also nicht zu wenig Personal. Wir haben die Einheiten an den Revieren nur anders aufgestellt.
Aber ein vollwertiger Ersatz sind diese neu geschaffenen Einheiten nicht. Setzen sie sich doch oft aus Beamten zusammen, die aufgrund körperlicher Probleme woanders nicht eingesetzt werden können.
Meyer: Doch, sie bilden einen guten Ersatz. Der Vorteil ist, dass wir sie flexibel einsetzen können, etwa an Brennpunkten. In der Nacht sieht das anders aus, weil die Beamten meist aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten besetzen können. Wir wollen sie auf weit mehr als 200 Beamte ausbauen, damit andere Einheiten, etwa Zivilfahnder, weniger aushelfen müssen.
Warum wird das Personal an den Wachen nicht einfach angehoben?
Meyer: Das ist noch nicht möglich. Ich bin aber überzeugt, dass sich die Situation in einigen Jahren erheblich verbessern wird. Viele Beamten werden uns in den nächsten Jahren schrittweise verlassen. Nicht alle können noch voll eingesetzt werden. Gleichzeitig bekommen wir viele neue Kollegen. Und die werden in genau diese Positionen gehen, ohne Einschränkungen. Dann erleben wir eine größere Verjüngungswelle.
Irgendwann kommt man aber auch mit 250 Neueinstellungen nicht mehr aus.
Meyer: Für uns ist zunächst der Generationswechsel wichtig, dass wir wieder eine große Zahl an Nachwuchskräften bekommen. Die ersten Früchte aus unserer Einstellungsoffensive können 2015 geerntet werden. Die Ausbildung dauert drei Jahre. Deshalb kommen die ersten Kräfte, die 2012 gestartet sind, dann an den Revieren an. Der Verjüngungsprozess, das ist der Mehrwert. Jüngere Kollegen, die wieder belastbarer sind. Und derzeit können die Einstellungen die Abgänge durch Pensionierungen noch ausgleichen.
Wo ist der sichtbare Erfolg? Im Bezirk Mitte ist die Zahl der Präsenzstunden laut einer CDU-Senatsanfrage trotz der Verstärkung der Wachen gesunken.
Meyer: Präsenzstunden, die nur die Zeit bezeichnen, in der wir ohne speziellen Anlass Präsenz zeigen, machen den kleinsten Teil der Zeit aus, die wir für den Bürger da sind. Allein der Streifendienst, der im Peterwagen von Einsatz zu Einsatz fährt, erbringt im Jahr zwischen ein bis zwei Millionen Einsatzstunden. Ein Problem ist, dass wir bei der Präsenz knapsen müssen, wenn diese Einsatzstunden steigen. Ein Grund ist die steigende Zahl an Demos und Veranstaltungen von 850 auf 904.
Wie will man die Arbeit an den Wachen attraktiver machen?
Meyer: Wir müssen an den Schichtmodellen arbeiten, sodass die Kollegen etwa nach einem Nachtdienst länger als bisher freihaben. Der Knackpunkt ist das Geld: Wenn jemand erschwerte Arbeit macht wie Schichtdienst, muss das finanziell spürbar sein. Das ist es heute noch nicht genug.