Der neue Polizeipräsident Ralf Martin Meyer spricht im Abendblatt über Gewalt gegen Beamte, wie Minikameras Angreifer abschrecken können und die größten Herausforderungen der Hamburger Polizei.
Winterhude. Seit dem 1. Mai ist Ralf Martin Meyer neuer Polizeipräsident. Der 54-Jährige leitete früher das Mobile Einsatzkommando (MEK), er wurde als Pressesprecher bekannt, führte als Vizechef das Landeskriminalamt und zuletzt die Polizeiakademie.
Hamburger Abendblatt: Als Polizeipräsident hatten Sie gleich den Einsatz am 1. Mai zu verantworten. Dabei hatten Attentäter Molotowcocktails gegen einen Peterwagen geschmissen, ermittelt wird wegen versuchten Mordes. Erst im Dezember waren Polizisten der Davidwache schwer verletzt worden. Was wollen Sie tun, um Ihre Polizisten zu schützen?
Ralf Martin Meyer: Tatsächlich war das eine gefährliche Situation. Es ist wohl reinem Glück zu verdanken, dass die Brandsätze nicht zündeten. Wir prüfen gerade, wie wir mit den nach den schweren Ausschreitungen zusätzlich bewilligten zehn Millionen Euro durch den Senat etwa unsere Schutzausstattung verbessern, die Schutzkleidung optimieren, Fahrzeuge nachrüsten können.
Für einen Modellversuch in Hessen sind Streifenpolizisten mit Schulterkameras ausgerüstet worden. Die Angriffe auf Polizisten gingen um ein Viertel zurück. Wäre das ein Modell für Hamburg?
Meyer: Wir schauen mit großem Interesse nach Hessen und haben bereits mit den Kollegen Kontakt aufgenommen. Ich persönlich halte von dem Einsatz der Schulterkameras sehr viel, in erster Linie, weil ihr Einsatz einen präventiven Effekt hat. Allein die Tatsache, dass ein Angreifer gefilmt wird, könnte verhindern, dass eine bedrohliche Situation weiter eskaliert.
Gibt es in Hamburg immer mehr Menschen, die es gezielt darauf anlegen, Polizisten zu verletzen?
Meyer: Es gibt Menschen, die gegen den Staat sind und in uns den Feind sehen. Statistisch steigt die Gewalt gegen Polizisten nicht. Allerdings steigt die Brutalität. Mich ärgert, dass die Polizei oft als Gegner angesehen wird. Die Polizei ist, auf den Fußball übertragen, der Schiedsrichter zwischen den Parteien. Nehmen wir das Spiel vom vergangenen Wochenende, HSV gegen Bayern, da prallen vor der Begegnung zwei Fanlager wie ungebremste Züge aufeinander, und die Polizei muss einschreiten, um Auseinandersetzungen zu verhindern. Zu hören war dann, die Polizei habe mit der Gewalt angefangen. Solche Aussagen sind barer Unfug.
Das im Januar eingerichtete Gefahrengebiet ist auf heftige Kritik gestoßen. Was halten Sie von diesem Instrument?
Meyer: Es gab ja nicht nur Kritik. Das Instrument der Einrichtung eines Gefahrengebiets ist wichtig und hat sich bewährt. Beispielsweise konnte die Drogenkriminalität im öffentlichen Raum damit zurückgedrängt werden. Zum Januar: War das Gefahrengebiet zu groß, bestand es zu lange? Wie jeden Einsatz bereiten wir auch diesen nach. Es gab in den Abläufen Fehler, und die werden jetzt aufgearbeitet. Eine Änderung gibt es bereits: Die Entscheidung über ein Gefahrengebiet liegt jetzt allein beim Polizeipräsidenten. Eines richterlichen Vorbehalts bedarf es nicht. Wir müssen allerdings die Verfahrensabläufe optimieren und frühzeitig transparenter mit dem Thema umgehen, nach außen wie nach innen.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen?
Meyer: Da ist vor allem die Neuorganisation der Polizei, die man nicht einfach laufen lassen kann, sondern bei der man genau hinsehen und gegebenenfalls nachsteuern muss. Wir sind in einem laufenden Prozess. Im Kern geht es immer um die Sicherheit in der Stadt. Die Menschen haben einen Anspruch auf ein sicheres Leben, und dafür sind wir da. Am wichtigsten sind die Phänomene, die die Menschen und Familien verunsichern, Übergriffe in der Öffentlichkeit etwa, bei denen Angehörige verletzt werden. Hier müssen wir Entwicklungen frühzeitig erkennen, dagegen vorgehen und Präventionsstrategien entwickeln.
Wie etwa bei der Einbruchskriminalität, deren Fallzahlen seit Jahren steigen.
Meyer: Die Bekämpfung der Einbruchskriminalität hat nach wie vor hohe Priorität. Wir haben dazu auch die Maßnahmen intensiviert. Wichtig ist mir zudem der Schutz, Opfer einer Gewalttat zu werden, ob zu Hause oder auf der Straße. Hier müssen wir uns stärker die Frage stellen, welche Möglichkeiten der Früherkennung wir haben.
Dafür braucht die Polizei mehr Polizisten auf der Straße.
Meyer: Das ist bereits Teil der Neuorganisation. Die Stäbe hat man neu aufgestellt, damit mehr Beamte auf die Straße kommen. Jetzt ist die Kriminalpolizei vor Ort personell gestärkt worden. Das reicht vorerst. Wir müssen abwarten und evaluieren, wie gut das läuft.
Was können Sie noch tun?
Meyer: Die Frage ist, ob Abläufe so bleiben müssen, wie sie sind, oder wir etwas verschlanken können? Womit muss sich ein Streifenpolizist heute beschäftigen? Wie hoch ist der administrative Aufwand? Warum ist es in Norwegen und München anders als hier? Da werden zum Beispiel Einsätze, bei denen nichts festgestellt wurde, nicht vom Streifenbeamten zu Papier gebracht, sondern von einer höheren Ebene protokolliert. Das wäre eine Idee, für Entlastung zu sorgen. Eine andere Idee ist, das Schichtmodell attraktiver zu gestalten. So könnten an einigen Kommissariaten andere Schichtmodelle eingeführt werden. Ziel ist, dass so viele Beamte wie möglich möglichst lange auf der Straße präsent sind.
Viele Straftaten geschehen mittlerweile online. Wie wollen Sie das Phänomen Cybercrime bekämpfen?
Meyer: Wir planen eine Kooperation zwischen dem Hochschulteil der Akademie der Polizei und dem Landeskriminalamt. Zum einen suchen wir Akademiker für eine IT-Professur, zum anderen sollen sieben zusätzliche Stellen im Fachbereich Cybercrime bis Juni besetzt werden. Die Idee ist, dass die Experten im LKA mit den Dozenten an der Akademie kooperieren, um durch das Zusammenarbeiten von Praxis und Forschung Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen und Handlungsoptionen zu erarbeiten.
Als Innensenator Michael Neumann (SPD) Sie gefragt hat, ob Sie Polizeipräsident werden wollen, haben Sie sich Bedenkzeit ausgebeten. Warum?
Meyer: Schlicht und einfach, weil an diesem Amt sehr viel hängt, vor allem viel Verantwortung, und weil ich diese Frage in aller Ruhe auch mit meiner Familie erörtern wollte. Ich habe das Amt nie angestrebt. Aber es fühlt sich jetzt schon ganz gut an. Nach neun Tagen im Amt verspüre ich vor allem Tatendrang. Zudem erhalte ich sehr viel Zuspruch und werde dabei auch von meiner Familie stark unterstützt.
Sie haben in den vergangenen Wochen mehrfach Einsätze begleitet. Wie war Ihr Eindruck von der Stimmung innerhalb der Polizei?
Meyer: Es ist gut, mit den Kollegen Zeit zu verbringen. Aus den bisherigen Treffen habe ich das Gefühl, dass alle hoch motiviert, sehr offen und zugewandt sind. Überall, wo ich war, war ein positives Gefühl. Es ist wichtig, dass man die Offenheit hat zu hören, was die Leute bewegt, und daraus wieder neue Gedanken und neue Dinge entstehen.