Hamburg hat die Wahl: Am 25. Mai werden die Bezirksparlamente neu bestimmt. Eimsbüttel kämpft mit Enge, zu wenig bezahlbarem Wohnraum und Schönheitskuren an Uni und Autobahn.
Eimsbüttel ist ein Bezirk der Superlative. Beispiele gefällig? Mit durchschnittlich 60.000 Fahrgästen ist die Buslinie 5 von Lokstedt in die Innenstadt die täglich meistgenutzte Busverbindung Europas. Der Isemarkt kann sich mit einer Ausdehnung von knapp einem Kilometer längster Freiluftmarkt des Kontinents nennen. Und ein wohlhabender und gebildeter Bezirk ist Eimsbüttel auch. Mit 53,9 Prozent weist er den höchsten Anteil von Gymnasiasten in ganz Hamburg auf, einen geringeren Arbeitslosenanteil ha
t kein anderer Bezirk im Stadtgebiet. Der Tierpark Hagenbeck, eines der Hamburger Aushängeschilder und der einzige im Privatbesitz befindliche Großzoo Deutschlands, ist da noch gar nicht erwähnt.
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Was Eimsbüttel, dieses Fleckchen Hamburg zwischen Schnelsen und Rotherbaum, zwischen Eidelstedt und Harvestehude, aber am deutlichsten von den übrigen Verwaltungseinheiten unterscheidet: Als kleinster Bezirk besitzt er mit 252.340 Einwohnern die höchste Bevölkerungsdichte. Trotz durchaus weitläufiger Grünflächen wie dem Niendorfer Gehege, dem Innocentiapark und den Alsterwiesen muss man die Enge und andere Menschen mögen.
Durchschnittlich leben hier fast 5007 Menschen auf einem Quadratkilometer, während der Hamburger Durchschnitt 2300 beträgt. Ganz besonders kuschelig ist es für Bewohner im Stadtteil Eimsbüttel, dem sogenannten Kerngebiet, mit 17.000 Menschen. Noch dichter leben die 18.000 Einwohner von Hoheluft-West zusammen. Das ist sogar bundesweit spitze und macht sich in ganz alltäglichen Situationen bemerkbar: Die Bürgersteige sind voller Fahrräder und mit einem Meter so schmal, dass man meist nur hintereinander gehen kann. Oder sich an einem Fahrradlenker stößt.
Wer hier wohnt, muss entweder tolerant oder zuvorkommend oder beides sein. Etwa an warmen Sommertagen im Kaifu-Freibad: Nur wer rechtzeitig kommt, ergattert noch ein freies Fleckchen auf der Wiese. Und so bleibt Eimsbüttels Bezirksamtsleiter Torsten Sevecke, 51 (SPD), nichts anderes übrig, als hoch hinaus zu wollen: Für die Zukunft seines Bezirks, und um genügend Wohnraum schaffen zu können, müssen die Gebäude viel höher gebaut werden als zurzeit üblich, glaubt er. Der Radfahrer, Handballer und Verwaltungsfachmann ist seit 30 Jahren SPDMitglied und führt das Bezirksamt seit 2010. Mit Frau und Sohn wohnt er im Generalsviertel.
Wenn viele auf kleinem Raum zusammenleben, sorgt das für besonders viele Reibereien – könnte man meinen. Ist in Eimsbüttel aber nicht so. Ganz im Gegenteil: „Hier herrscht auf vielen Ebenen Konsens“, sagt Sevecke. Er meint das politische Miteinander in der Bezirksversammlung: Das Verhältnis zwischen Kommunalpolitikern und der Verwaltung sei traditionell kooperativ. Politische Verwerfungen hat es seit einigen Wahlen nicht mehr gegeben. Zudem besitze Eimsbüttel als einziger Bezirk eine bezirkliche Entwicklungsplanung, die auf den Vorjahren aufbaut und die wichtigsten Projekte im Blick behält. Ein wichtiges Instrument bei politischen Entscheidungen.
Sevecke meint aber auch das Miteinander im Stadtteil, das sich meist friedlich gestalte. Eine der größten Stärken des Bezirks. Als Beispiel dafür nennt der Bezirksamtsleiter die Ansiedlung von großen Unternehmen wie Bode Chemie, NXP oder Beiersdorf mitten in Wohngebieten – ohne größere Konflikte. Weltweit bekannte Marken wie Nivea und Tesa sind Produkte aus Eimsbüttel. „Sowohl in der Politik, als auch bei den Bewohnern ist die Kommunikationsfähigkeit hervorzuheben. Das Leben auf engem Raum bringt auch eine gewisse Diskussionskultur mit sich“, sagt Sevecke. Ein Wohlfühlbezirk?
Laut Sevecke würden die Sachen angesprochen und geklärt – notfalls auch per Bürgerentscheid, zu dem es in den vergangenen vier Jahren zwei Mal gekommen ist. Das Ufer des Isebekkanals blieb danach naturbelassen und unangetastet, genau wie eine Grünfläche, die der Erweiterung des Eidelstedt Centers im Weg stand. Zwei Entscheidungen, die nicht zwingend die Meinung des Bezirksamtsleiters trafen, aber sowohl von ihm als auch von der Politik respektiert wurden. Bisweilen eben zähneknirschend.
Eimsbüttel soll aber nicht zu einer Oase der Besserverdienenden werden, sondern ein Platz für alle bleiben. Deshalb sei der Umgang mit dem begrenzten Platz eine der größten Aufgaben für die kommenden Jahrzehnte. Torsten Sevecke: „Eine zentrale Herausforderung wird dabei die Unterbringung von Flüchtlingen und Wohnungslosen bei gleichzeitiger Schaffung von bezahlbarem Wohnraum sein. Der Platz in Eimsbüttel ist minimal, die Preise bei Neuvermietungen steigen maximal. Hier müssen Konzepte und Hebel gefunden werden, um diesen Trend zu stoppen.“ Das Problem sei nicht unbedingt der Neubau, sondern die Art des Neubaus. „Wir haben zwar um die 1000 Baugenehmigungen pro Jahr“, sagt Sevecke. Aber die Quote von 30 Prozent geförderten Wohnungen sei schwer zu erreichen. „Vielleicht sollte man deshalb wirklich darüber nachdenken, höher zu bauen. Das könnte das Problem entschärfen.“ Wolkenkratzer in Stellingen, Schnelsen oder Niendorf? Ein bis zwei Geschosse mehr im dicht besiedelten Zentrum? „Viele Freunde mache ich mir damit nicht, das ist mir bewusst.“
Freunde wie auch Kritiker gibt es bei einem der wichtigen Projekte der nächsten Jahre: der Umgestaltung der Osterstraße. Vom Umbau soll ein Impuls für den Stadtteil ausgehen. Sevecke begrüßt als Radfahrer die Umgestaltung der Osterstraße im Herzen Eimsbüttels. „Wir wollen richtig in den Straßenraum eingreifen.“ Geplant sind breitere Fußwege, Radstreifen auf der Fahrbahn, mehr Platz für Spaziergänger. Dadurch werden auch Parkplätze wegfallen, denn künftig sind nur noch Längsparkplätze möglich.
Mobilität ist in dem exzellent vom Nahverkehr erschlossenen Bezirk ein anderes wichtiges Thema. U2 und U3 sowie die Buslinien 4 und 5 sind die Lebensadern der Bewohner. Die Schaffung eines „Switchpools“ am Schlump, wo Leihwagen, StadtRäder und öffentlicher Nahverkehr demnächst geballt zur Verfügung stehen sollen, um den Anspruch an urbane Mobilität zu erfüllen, sei deshalb von besonderer Bedeutung. Nicht zu vergessen die Radwegestrategie und das Busbeschleunigungsprogramm. Zumindest Sevecke erhofft sich davon eine Verbesserung.
Zwar habe Eimsbüttel unterschiedliche Sozialstrukturen, aber diese seien nicht so stark differenziert wie in den übrigen Bezirken, sagt der Bezirksamtschef: In den alsternahen Stadtteilen wie Harvestehude und Rotherbaum stehen prächtige Villen, während Hoheluft-West und das Kerngebiet Eimsbüttel von Altbauten geprägte Viertel sind. Lokstedt und Stellingen weisen eine lockere typische Vorstadtbebauung auf, die in Einfamilienhausgebiete von Eidelstedt, Schnelsen und Niendorf übergeht. Alle gelten als durchaus wohlhabend. Durchmischt sind sie etwa durch die Lenz-Siedlung oder Sozialwohnungen in Eidelstedt.
Dichte Bebauung muss nicht in einer Betonwüste enden: Auch wenn Eimsbüttel einer der wenigen Hamburger Bezirke ohne Naturschutzgebiete ist, gibt es durchaus gehobenen Erholungswert. Und auch die kleinsten haben hier eigene Namen, wie der Mansteinpark am Isebekkanal oder die Grasflächen rund um das Bezirksamt am Grindelberg. Im Norden Niendorfs, an der Grenze zu Schleswig-Holstein, liegt direkt an der Startbahn 2 des Flughafens das Landschaftsschutzgebiet Ohmoor. Im Osten die Außenalster, die sich Eimsbüttel aber mit den Bezirken Nord und Mitte teilt. Im Kerngebiet, in Hoheluft-West und in Harvestehude, bieten Grünanlagen wie das Kaiser-Friedrich-Ufer, der Unna-Park oder der „Weiher“ Raum zum Durchatmen. Die Moorweide in Rotherbaum ist ein beliebter Startplatz für Demonstrationen.
An den Seiten franst der Bezirk aus und wird fast schon wieder ländlich. Wildfleisch beim Förster im Niendorfer Gehege kaufen? Kein Problem. Die Eidelstedter Feldmark mutet mit ihren Wiesen- und Knicklandschaften wie das tiefste Schleswig-Holstein an. Hier werden auch die Futterrüben für die Elefanten im Tierpark Hagenbeck angebaut.
In den Tierpark gehen besonders gern Familien mit Kindern, die in Eimsbüttel bestens versorgt sind – mit 34 Grundschulen, 205 Kindertagesstätten und Sportvereinen wie dem Eimsbütteler Turnverband (ETV), dem SC Victoria, dem Hamburg Eimsbüttel Ballspiel Club (HEBC) und dem Niendorfer TSV oder Grün-Weiss Eimsbüttel und SV Eidelstedt. Nicht zu vergessen das Tennisstadion am Rothenbaum.
Walrossdame Antje, ehemaliger Hagenbeck-Star und NDR-Maskottchen, ist im Zoologischen Museum in ausgestopfter Form fast unsterblich geworden. Überhaupt: Das Zoologische Museum und das Uni-Viertel. Ein guter Ausflugstipp für Familien mit Kindern an verregneten Tagen. Und eines der bedeutendsten naturwissenschaftlichen Forschungsmuseen Deutschlands (da ist er wieder, der Superlativ.). Mit ihren zehn Millionen zoologischen Objekten ist es die viertgrößte Sammlung ihrer Art in Deutschland. Kulturell unterversorgt kann sich in Eimsbüttel niemand nennen.
Weitere Sammlungen wie das Museum für Völkerkunde in Rotherbaum, das Botanische Museum der Universität oder das Mineralogische Museum an der Grindelallee bieten jede Menge Wissensgewinn. Kleine charmante Kinos wie das Abaton und das Holi stehen inzwischen für sich und bedürfen keiner Beschreibung mehr. Nur so viel, und dieser Superlativ sei noch erlaubt: Das Abaton gilt nach dem Bremer „Cinema“ als eines der ersten Prorammkinos in Deutschland. Die Hamburger Kammerspiele sind das bekannteste Theater, das freie, unsubventionierte Theater N.N. kommt aus dem Bezirk, und an der Hoheluftbrücke spielt das Theater Zeppelin auf dem HoheLuftschiff, ein Jugendtheater.
Entwicklung hört aber nie auf in Eimsbüttel. Rund um die Bundesstraße wird gerade alles umgekrempelt: Für den Neubau am Geomatikum an der Bundesstraße haben die ersten bauvorbereitenden Maßnahmen begonnen. Ende 2014 soll Baubeginn für die Häuser des Klima-Campus sein. Die Stadt will in den kommenden Jahren 500 Millionen Euro in die Universitätserweiterung stecken. Allein 320 Millionen Euro sollen in den neuen Gebäudeverbund, der sich vom Geomatikum an der Straße Beim Schlump über die Bundesstraße bis hin zur Grindelallee zieht, investiert werden. Die naturwissenschaftlichen Fakultäten werden ein eigenes MIN-Forum (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften) erhalten, zwei weitere Gebäude, unter anderem für die Chemiker, sollen folgen – Mensa und Bibliothek inklusive. Geplante Fertigstellung: Ende 2018.
Also keine Wünsche offen? Torsten Sevecke hat so einige: „Ich wünsche mir für den Bezirk die Fähigkeit, mit der Dichte zurechtzukommen, mehr Menschen auf engerem Raum ein Zuhause zu bieten.“ Die Auswirkung des Autobahndeckels über die A 7 – ein weiteres Großprojekt, das den Bezirk verändern wird – sei momentan noch nicht absehbar. „Da wünsche ich mir, dass es im Ergebnis dazu führt, dass der Bezirk und einzelne Stadtteile zusammenwachsen. Und natürlich wünsche ich mir eine hohe Wahlbeteiligung, damit die künftigen Entscheidungen auf eine kraftvolle und breite Unterstützung in der Bevölkerung treffen.“