Bürgermeister Olaf Scholz lehnt das in Europas Metropolen immer beliebtere Verkehrsmittel weiter ab. Ausgerechnet die CDU will jetzt mit dem Thema punkten. Was die Bürger wollen, weiß niemand so genau.

Womöglich ist der russische Schriftsteller Michail Bulgakow schuld. In dessen Roman „Der Meister und Margarita“ gerät bekanntlich ein Mann unter eine Straßenbahn und verliert dabei den Kopf.

Vielleicht habe Hamburgs Bürgermeister das Buch des Russen ja gelesen und die Enthauptungsszene bis heute nicht verkraftet, spekulierte kürzlich ein Witzbold bei Facebook. Das ist zwar unwahrscheinlich – aber es würde immerhin erklären, warum der sonst nicht für Gefühlsaufwallungen bekannte Olaf Scholz auf das Thema Stadtbahn im persönlichen Gespräch stets mit fast schon wütendem Widerwillen reagiert.

Man spürt sofort: Irgendetwas steht zwischen dem Senatsschef und diesem wieder so modernen Verkehrsmittel, das fast alle bedeutenden europäischen Metropolen entweder nie abgeschafft oder mittlerweile wieder eingeführt haben. Scholz aber beeindruckt das nicht. Sollen doch alle Verkehrsexperten und Bürgermeister dieser Welt anderer Meinung sein – König Olaf mag die Stadtbahn nicht. Basta.

Scholz nutzte Unmut gegen Straßenbahn für sich

Mag sein, dass ihm diese Haltung bei der Bürgerschaftswahl 2011 mit zur absoluten Mehrheit verholfen hat. Denn die Stadtbahn war damals ausweislich von Umfragen nicht beliebt bei den Hamburgern. Das hatte, so sagen es zumindest die Anhänger der Bahn, vor allem mit handwerklichen Fehlern bei der Planung zu tun, etwa damit, dass man die Strecke ausgerechnet durch das eng bebaute Winterhude legen wollte.

Außerdem habe Schwarz-Grün ohnedies nach dem Abgang von Bürgermeister Ole von Beust ein jämmerliches Bild abgegeben, da seien die Hamburger dann einfach gegen alles gewesen, das diese Chaostruppe angefasst habe. Scholz nutzte den Unmut für sich und schwor die bisher für eine Stadtbahn plädierende SPD auf seinen Kurs gegen das Modell ein. Seither hat sich an seiner Position nichts geändert.

Als Gefangener seines Wahlversprechens kratzt er mühsam die Argumente gegen die Stadtbahn zusammen. Sie biete nicht genügend Kapazitäten für Bedarfe in 20 oder 30 Jahren, so Scholz. Außerdem sei sie entweder nicht schnell genug – oder sie müsse, wenn sie zügig fahren solle, abgezäunt werden und zerschneide dann ganze Viertel. Komischerweise sehen Bürgermeister von Metropolen wie Paris, Madrid, Barcelona oder Londoner Vorstädte diese Probleme nicht. Sie alle haben die Straßenbahnen bereits wieder eingeführt.

Ausgerechnet die CDU hat das Thema jetzt wieder für sich entdeckt. Abgeschlagen in den Umfragen will sie die Bürgerschaftswahl im Februar 2015 nun auch zu einer Abstimmung über die Stadtbahn machen. In Ermangelung anderer Themen, bei denen man gegen Scholz punkten könnte, stört die Union dabei auch nicht, dass sie die Stadtbahnplanungen bereits zweimal selbst gestoppt hat: 2002 und 2010 im aussichtslosen Wahlkampf.

Nach dem Konzept, das Fraktionschef Dietrich Wersich und Verkehrspolitiker Klaus-Peter Hesse am Donnerstag vorlegten, sollen nun drei Linien gebaut werden: von Burgwedel bis auf die Veddel, vom Elbe Einkaufszentrum bis östlich von Rahlstedt und vom Volkspark bis Wandsbek. Gesamtlänge: 93,4 Kilometer. Kosten: 2,7 Milliarden Euro, von denen angeblich die Hälfte der Bund trägt. Baubeginn: 2016. Betriebsbeginn: 2020. Fertigstellung des Gesamtnetzes: 2029.

Verkehrspolitik dürfte zentrales Wahlkampf-Thema werden

Mit diesem Vorstoß hat sich die über Jahre eingeübte verkehrspolitische Gefechtslage um 180 Grad gedreht: Wer eine Stadtbahn will, der muss 2015 die CDU wählen. Denn wer weiß schon, ob die Grünen, falls Scholz sie nach der Wahl überhaupt als Partner braucht, gegen den Senatschef das neue System durchsetzen könnten.

Tatsächlich dürfte sich die Verkehrspolitik neben der Schulpolitik zu einem zentralen Thema im Wahlkampf entwickeln. Denn hier zeigt der Scholz-Senat noch am ehesten Schwächen. Das 259 Millionen Euro teure Busbeschleunigungsprogramm etwa nervt nicht nur die Autofahrer und Anwohner. Es wird auch als Lösung des stetig wachsenden Bedarfs im öffentlichen Personennahverkehr von niemandem richtig ernst genommen.

Auch wenn ein Bus ein paar Minuten schneller ist: In puncto Geschwindigkeit, Kapazität und Reisekomfort kommt auch der beste und abgasärmste XXL-Bus nicht gegen an Schienen gebundene Systeme an.

Beim Thema Radverkehr ist die Unzufriedenheit mit dem SPD-Senat ebenfalls groß. Noch immer sind die Radwege der Stadt in vergleichsweise miserablem Zustand. Geradezu symptomatisch erscheint es, dass Scholz und seine Mitstreiter nun auch den Ausbau des mit 221.000 Nutzern überaus erfolgreichen Fahrradverleihsystems StadtRAD gestoppt haben. Angeblich aus Kostengründen. Dabei sind die 10.000 Euro, die jede weitere Station kosten würde, im Vergleich zu anderen Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur tatsächlich „Peanuts“, wie die FDP in der Bürgerschaftsdebatte am Mittwoch konstatierte.

Was die Bürger denken, weiß keiner

Niemand allerdings weiß genau, was die Bürger derzeit über die Verkehrspolitik, vor allem über eine Einführung der Stadtbahn, denken. Seit 2010 hat es dazu keine Umfrage mehr gegeben.

Was wohl passieren würde, wenn im kommenden Herbst plötzlich eine Befragung zu dem Ergebnis käme, dass nun eine Mehrheit der Bürger für eine Stadtbahn ist?

Gut möglich, dass eine solche Umfrage heilende Wirkung hätte: Olaf Scholz würde womöglich schlagartig von seinem Bulgakow-Trauma erlöst. Schließlich sind die Hamburger Volksparteien zuletzt bei keinem Thema so wetterwendig wie beim endlosen Eiertanz um die Stadtbahn.

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