Wie der Verkauf an Praktiker, eine falsche Strategie und gierige Gläubiger eine solide Baumarktkette ruinierten

Hamburg. Peter Möhrle will eigentlich nicht reden. Als der einstige Patriarch der Baumarktkette Max Bahr Mitte September dieses Jahres das Telefon abnimmt, da wirkt er distanziert, auf der Hut. Natürlich gehe ihm die Situation in der Hamburger Baumarktkette sehr nah, sagt Möhrle. Für die Mitarbeiter sei das alles ganz furchtbar.

Ja, sagt Möhrle, er wisse, dass sich jetzt viele um die Rettung seines Lebenswerks bemühten. Aber nein, er selbst wolle sich lieber nicht daran beteiligen. Auch Mitglieder des Hamburger Senats sind bei ihm schon vorstellig geworden, ohne Erfolg. Für ihn sei das Kapitel Max Bahr mittlerweile abgeschlossen, sagt der Senior.

Nach diesem Telefonat wird sich Peter Möhrle nicht mehr zum Untergang des Hamburger Traditionsunternehmens äußern, Gesprächsangebote laufen ins Leere. Dabei hätte er viel zu erzählen. Nicht nur darüber, wie er Max Bahr nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer der größten Baumarktketten Deutschlands machte, sondern auch darüber, weshalb er 2007 den Glauben an die Firma verlor und sie an den Konkurrenten Praktiker verkaufte. Im Nachhinein erscheint dies als erster in einer langen Reihe von Fehlern, die letztlich zur Insolvenz, zur Aufspaltung und zum Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen führten.

Die Fehler der Familie Möhrle

Peter Möhrle ist gerade einmal 24 Jahre alt, als er sich Mitte der 50er-Jahre für den Betrag von 12.000 Mark in dem Familienbetrieb Max Bahr einkauft. Eine einfache Holzhandlung ist die Firma damals, hervorgegangen aus einer Barmbeker Stellmacherei für Wagenräder. Der im Schwarzwald aufgewachsene Holzkaufmann macht daraus eine Baumarktkette nach Vorbild der amerikanischen Do-it-yourself-Märkte. Das Konzept kommt an, überall in Hamburg wird jetzt gebaut, die Heimwerker suchen nach günstigen Gelegenheiten, um an Werkzeuge, Tapeten und Farben zu kommen. Zielstrebig, aber auch solide treibt Möhrle den Ausbau voran, erst im Norden, dann in ganz Deutschland. Die Wiedervereinigung bringt einen neuen Schub, Anfang der 90er-Jahre kommen erstmals auch Gartencenter hinzu. Schon bald zählen die Hamburger mit fast 80 Märkten zu den zehn größten Ketten Deutschlands.

Lange kann sich der Patriarch nicht vorstellen, sein Lebenswerk aus der Hand zu geben. Er baut seinen Sohn Dirk zum Nachfolger auf, der schließlich auch für sieben Jahre den Chefsessel übernimmt. Mit umweltgerechten Baumaterialien und neuen, großen Filialen setzt er eigene Akzente.

Doch Ende 2004 kommt es überraschend zum Bruch zwischen Vater und Sohn. Peter Möhrle zieht Dirk aus der Unternehmensführung ab. Der Senior habe ihm den Chefposten nicht länger zugetraut, sagen manche Beteiligte von damals. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass zu diesem Zeitpunkt in der Familie schon der Streit um die Zukunft von Max Bahr entbrannt ist. Der Vater glaubt nicht mehr, dass die Firma mit einem Jahresumsatz von gut 800 Millionen Euro gegen Riesen wie Obi bestehen kann, die auf Erlöse von fünf Milliarden Euro kommen. Peter Möhrle will an die Konkurrenz verkaufen, Sohn Dirk hält dagegen.

Im Machtkampf setzt sich letztlich der Vater durch und veräußert sein Lebenswerk an den Konkurrenten Praktiker. In jedem Fall ist der Verkauf ein lukratives Geschäft. Die Möhrles zählen heute zu den reichsten Hamburgern, ihnen gehört unter anderem das Hotel auf dem Süllberg in Blankenese. Das Vermögen schätzte das „Manager Magazin“ jüngst auf knapp eine Milliarde Euro.

„Als wir verkauft wurden, hat Herr Möhrle den Mitarbeitern in der Zentrale die Hand gegeben und gesagt, dass wir nun in sicheren Händen sind“, erinnert sich der Betriebsratsvorsitzende Ulli Kruse. Beim Gedanken daran bleibt ihm noch heute die Spucke weg. Für viele Beobachter ist der Partner Praktiker schon damals eine seltsame Wahl. Die einstige Metro-Tochter passt nicht wirklich zu den Hamburgern. Mit marktschreierischen Rabattaktionen haben sich die Saarländer einen Namen gemacht. Den Spruch „20 Prozent auf alles“ können die meisten Deutschen noch heute um den Zusatz „Außer Tiernahrung“ ergänzen. Max Bahr setzt hingegen auf Service, Beratung und eine große Auswahl, das bringt weniger Umsatz, garantiert aber höhere Margen.

Für Möhrle ist Praktiker dennoch eine gute Wahl, eben weil die damalige Nummer zwei hinter Obi so anders ist. Dies ermöglicht den Erhalt der Hamburger Kette im Rahmen einer Zweimarkenstrategie. Doch langfristig wird sich zeigen, dass die Kulturen einfach nicht zusammenpassen.

Die zweite problematische Entscheidung von Möhrle ist der gesonderte Verkauf der Immobilien von Max Bahr. Bis zu diesem Zeitpunkt haben die Hamburger immer auf eigenen Flächen expandiert, Schwierigkeiten mit zu hohen Mieten kannten sie nicht. Nun wandert die in Oststeinbek ansässige Immobilienholding in neue Hände und landet schließlich beim britischen Fonds Moor Park. Beim Untergang der Kette werden die Briten Jahre später noch eine zweifelhafte Rolle spielen.

Die falsche Strategie von Praktiker

Was Peter Möhrle beim Verkauf von Max Bahr beim besten Willen nicht ahnen kann, ist das beispiellose Chaos, in das die Muttergesellschaft Praktiker in den kommenden Jahren stürzt. Anfangs sitzt der damalige Konzernchef Wolfgang Werner noch sicher im Sattel, verteidigt wacker die Zweimarkenstrategie und verspricht, dass sich Discount und Premium optimal ergänzen. Doch nach und nach wird offenbar, dass sich die Saarländer mit ihren Rabattaktionen verkalkuliert haben. Sie haben ihre Kunden zu Schnäppchenjägern erzogen, die immer nur noch dann Nägel und Bohrmaschinen kaufen, wenn es 20 Prozent auf alles gibt. Das treibt zwar den Umsatz in die Höhe, doch Praktiker verdient dabei kaum Geld.

Viel zu spät versucht Werner umzusteuern, doch die Bemühungen bleiben in Ansätzen stecken. Im Sommer 2011 wirft der Manager selbst das Handtuch, der Aufsichtsrat engagiert an seiner Stelle den erfahrenen Sanierer Thomas Fox, den man zuvor auch schon bei Karstadt angeheuert hatte. Der wuchtige Mann ist ein Spezialist für schwere Fälle, sieht sich selbst „eher als Notarzt denn als Schönheitschirurg“.

Seinem Ruf als Radikalo wird Fox rasch gerecht, ein paar Monate nach seinem Amtsantritt ist im Praktiker-Konzern nichts mehr wie es war. Der Sanierer beschließt kurzerhand, den Firmensitz vom saarländischen Kirkel nach Hamburg zu Max Bahr zu verlagern, weil er die Tochtergesellschaft für den einzig funktionierenden Teil der Gruppe hält. Die Praktiker-Beschäftigten sind geschockt, viele müssen jetzt nach Jahren im Südwesten Deutschlands nach Norden umziehen – oder sie verlieren ihren Arbeitsplatz.

Fox agiert zu radikal, auch er tritt nach nur wenigen Monaten im Streit ab und wird durch den eher farblosen Manager Kay Hafner aus dem Aufsichtsrat ersetzt. Der neue Vorstand müht sich nun, die Lücken in der Finanzierung zu schließen. Zugleich soll Max Bahr der Heilsbringer für den gesamten Praktiker-Konzern werden. Ein immer größer werdender Teil der Praktiker-Filialen soll auf das Konzept der Tochter umgeflaggt werden, weil dies angeblich höhere Renditen verspricht.

Den Aktionären des börsennotierten Unternehmens wird das alles zu bunt, sie proben den Aufstand. An einem heißen Julitag im Jahr 2012 kommt es zum Showdown in einem völlig überhitzten Saal des Curio-Hauses an der Rothenbaumchaussee. Der Schweiß rinnt Vorstand und Aktionären in den Nacken, während sie sich im Saal bekriegen. „Es geht ums Überleben“, ruft Vorstand Hafner und fordert die Zustimmung zu einer Kapitalspritze von 85 Millionen Euro zu horrenden Zinsen. „Wir lassen uns nicht erpressen!“, empören sich die Aktionäre.

Es ist der Tag der österreichischen Großaktionärin Isabella de Krassny, die in ein smaragdgrünes Kleid gehüllt dem Vorstand die Leviten liest und sich ihre Zustimmung zum Rettungskredit letztlich durch einen erneuten Machtwechsel im Vorstand abkaufen lässt. Die Österreicher bekommen Praktiker unter ihre Kontrolle, zumindest ziehen jetzt wieder alle an einem Strang. Doch für eine Rettung des Konzerns ist es zu spät. Nach einem völlig verkorksten, kalten Frühjahr muss Praktiker Mitte dieses Jahres Insolvenz anmelden. Kurze Zeit später misslingt der Versuch, zumindest Max Bahr aus der Pleite herauszuhalten.

Die Gier der Gläubiger

Ein Insolvenzverfahren muss nicht das Ende für ein Unternehmen bedeuten, der mindestens ebenso schwierige Fall der Warenhauskette Karstadt beweist dies. Doch bei Praktiker und Max Bahr lässt sich im Wochentakt beobachten, wie das einstige Baumarktimperium mit einst 15.000 Beschäftigten in sich zusammenfällt. Erst werden die alten Praktiker-Filialen in den Abverkauf und die Einzelverwertung geschickt, dann jene Märkte, die noch kurz vor der Pleite auf das Konzept von Max Bahr umgestellt wurden.

Nur der Insolvenzverwalter der alten, knapp 80 Bestandsmärkte von Max Bahr, der Hamburger Rechtsanwalt Jens-Sören Schröder, kämpft verbissen um eine Rettung durch einen Investor. Es geht um exakt jene Gruppe von Filialen, die Peter Möhrle vor Jahren an den großen Konkurrenten verkauft hatte.

Die Hoffnung auf Rettung kommt ausgerechnet von der ehemaligen Eigentümerfamilie. Allerdings ist es nicht der einstige Patriarch, sondern Sohn Dirk, der Max Bahr nun im Schulterschluss mit dem Dortmunder Konkurrenten Hellweg vor dem Untergang bewahren möchte. Ein Stück weit mag hier Revanche gegenüber dem Vater im Spiel sein, vor allem aber ist es wohl der Versuch, Fehlentscheidungen der Vergangenheit zu korrigieren. „Vor Jahren haben mein Vater und der Rest der Familie die Zuversicht verloren, das Unternehmen weiterführen zu können“, sagt der 50-Jährige. „Jetzt bietet sich die einmalige Gelegenheit, Max Bahr zusammen mit kompetenten Partnern wieder neu aufzustellen.“

Tatsächlich sieht es gut aus für das Konsortium, Anfang November fehlt nur noch die Zustimmung des Vermieters der meisten Max-Bahr-Immobilien, um das Geschäft zum Abschluss bringen zu können. Der Vermieter ist die Gesellschaft Moor Park, die einst viele Häuser und Grundstücke aus dem Besitz der Familie Möhrle erworben hatte. Doch die Briten, mittlerweile selbst insolvent, stellen sich stur und beharren auf einer Konzernbürgschaft für die Mieten. Vor allem ist es der größte Gläubiger, die Royal Bank of Scotland (RBS), die diese Sicherheit einfordert.

Nach der gescheiterten Übernahme durch Hellweg und Möhrle lassen die Briten auch noch einen letzten Rettungsversuch durch die saarländische Handelskette Globus platzen. Diesmal gibt es keine Einigung über den Gesamtpreis für die Immobilien.

Für viele Beschäftigte liegt der Verdacht nahe, dass die RBS nie wirklich mit den zwei Konsortien zu einem Abschluss kommen wollte, sondern stattdessen auf einen lukrativeren Einzelverkauf spekulierten. Dafür spricht, dass nur einen Tag nach den letzten gescheiterten Rettungsbemühungen mit dem Konkurrenten Bauhaus ein Käufer für 24 Max-Bahr-Häuser präsentiert wird. Es sind die Filetstücke der Kette.

Die Wut der Mitarbeiter richtet sich so verständlicherweise gegen die Briten. Auf einer der letzten Demos für den Erhalt trägt ein Lagermitarbeiter ein Plakat auf den Schultern. Darauf ist ein Schotte zu sehen, der auf das Grab von Max Bahr pinkelt. Doch allein die Bank für den Untergang des Hamburger Traditionsunternehmens verantwortlich zu machen, greift zu kurz. Viele haben den Niedergang mitverursacht. Unvermeidlich war er nicht.