Mobilität garantiert den Wohlstand Hamburgs, sagt Wirtschaftssenator Frank Horch. Allerdings kommen qualifizierte Arbeitskräfte nur, wenn es sich hier leben lässt. Deshalb müssen Verkehrsströme intelligent gesteuert werden.
Hamburger Abendblatt: In der vergangenen Legislaturperiode lag die Zuständigkeit für den Verkehr noch bei der Stadtentwicklungsbehörde. Bereuen Sie es schon, als Wirtschaftssenator die Verantwortung übernommen zu haben?
Senator Frank Horch: Nein. Zwar berührt die Verkehrsproblematik jeden Hamburger und ähnelt ein wenig dem HSV: jeder kann einen Kommentar dazu abgeben. Aber aus meiner Sicht ist es für die Hamburger Unternehmen mit ihren weit über 1,1 Millionen Beschäftigten sehr hilfreich, wenn der Wirtschaftssenator für den Verkehr verantwortlich ist. Eine intakte Verkehrsinfrastruktur ist heute eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine funktionierende Wirtschaft.
Abendblatt: Dass Sie in der Öffentlichkeit als Stausenator bezeichnet werden, stört Sie also nicht?
Horch: Meine Familie berührt das sicher mehr als mich.
Abendblatt: Vor einigen Tagen teilte Ihre Behörde mit, dass bis zum Jahresende 40 neue Baustellen eingerichtet werden. Auch in den kommenden Jahren wird es keine Entspannung geben. Wird der Stau auf Hamburgs Straßen zum Dauerzustand?
Horch: Sanierung und Instandhaltung der Verkehrsinfrastruktur ist doch deutschlandweit ein Thema. Denken Sie nur an die Rader Hochbrücke oder den Nord-Ostseekanal! In der Vergangenheit ist es versäumt worden, rechtzeitig mit dem Erhalt zu beginnen. Deshalb ist der Sanierungsstau – auch bei Hamburger Verkehrswegen – groß. Der Senat hat jetzt mehr Geld zur Verfügung gestellt und wir werden mit großer Intensität bauen.
Abendblatt: Die Bürger verstehen, dass Straßen und Brücken unterhalten werden müssen. Zugleich wollen sie nicht im Stau stehen. Wie wollen Sie diesen Widerspruch lösen?
Horch: Durch Baustellen wird es immer zu Störungen im Verkehrsfluss kommen. Vor allem bei unvorhergesehenen Ereignissen wie einem Unfall ist man als Behörde rasch am Ende seiner Möglichkeiten. Aber wir planen und koordinieren im Zusammenhang mit Baustellen sehr vorausschauend und intensiv. Dazu gehört, dass wir Anwohner und Autofahrer rechtzeitig umfassend informieren. Ein gutes Beispiel war der Austausch der Brücke der Güterumgehungsbahn im Bereich Stellingen im Frühjahr vergangenen Jahres. Dazu mussten wir die Autobahn 7 an einer Stelle, die täglich von bis zu 154.000 Fahrzeugen passiert wird, für ein Wochenende sperren. Wir informierten rechtzeitig. Viele Autofahrer reagierten und die Staus blieben aus.
Abendblatt: Dieses Beispiel zeigt, dass Autofahrer sich schnell auf veränderte Situationen einstellen. Setzen Sie auf deren „Hilfe“?
Horch: Eine bewusste Mitwirkung ist ausdrücklich erwünscht. Ich würde es sogar zuspitzen und sagen, dass die Autofahrer selbst mit dazu beitragen können, dass es weniger Stau gibt, würden sie auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen oder die angebotenen Ausweichrouten annehmen. Wir legen damit keine Verantwortung ab, aber wir erwarten auch, dass Verkehrsteilnehmer sich informieren und auf zeitweise Veränderungen durch Baustellen reagieren.
Abendblatt: In Ihrer Behörde ist die Baustellenkoordinierung (KOST) für die Planung zuständig. Ist die KOST jetzt personell ausreichend ausgestattet?
Horch: Aus meiner Sicht ja, wir haben dort genügend Mitarbeiter. Ergänzt wird das durch eine hohe Qualität des Managements. Viele Abteilungen meines Hauses sowie andere Behörden und Unternehmen wie Hamburg Wasser, Vattenfall oder Eon arbeiten eng und pragmatisch zusammen mit der Folge, dass die meisten Baustellen gut geplant sind. Natürlich wird man in Stoßzeiten oder nach einem Unfall Staus nicht gänzlich vermeiden können.
Abendblatt: Was ist Ihr Idealbild von einer verkehrsgerechten Stadt?
Horch: Vergleichen sie Hamburg mit anderen Metropolen! Wir sind als Stadtstaat eine der bedeutendsten Industrie- und Dienstleistungsregionen Deutschlands und Nordeuropas. Wir sind nicht Freiburg im Breisgau, also keine reine Fahrradstadt. Durch Hamburg führen mit der Autobahn 7 und Autobahn 1 zwei der europaweit wichtigsten Nord-Süd-Verkehrstrassen. Das ist die Ausgangssituation …
Abendblatt: ... die eben viel Verkehr bedeutet?
Horch: Mobilität ist einer der Garanten für unser wirtschaftliches Wachstum und für unseren Wohlstand. Das müssen wir akzeptieren. Aber wir wollen auch in einer lebenswerten Stadt wohnen, die qualifizierte Arbeitskräfte aus aller Welt anzieht. Daher kommt es darauf an, das große Verkehrsaufkommen so intelligent zu steuern, dass Hamburg beides bleiben kann: wirtschaftlich erfolgreich und lebenswert.
Abendblatt: Aber wie soll das gehen?
Horch: Durch ein leistungsstarken und kundenorientierten öffentlichen Personen- und Nahverkehr sowie ein intaktes Straßensystem. Die Weiterführung der Autobahn 20 nordwestlich von Hamburg gehört dazu wie eine weitere Elbquerung bei Glücksstadt. Dazu gehört aber auch, so viel Fracht wie möglich auf die Bahn zu verlagern. Schon jetzt werden 40 Prozent aller Container aus dem Hamburger Hafen mit der Eisenbahn fortgeschafft. Gedanken machen wir uns auch darüber, die Binnenschifffahrt zu stärken.
Abendblatt: Hamburg soll wachsen, von der Einwohnerzahl her genauso wie vom Wirtschaftswachstum. Wenn in der Innenstadt viel gearbeitet und gewohnt wird, entsteht auch mehr Verkehr. Führt doch kein Weg an einer City-Maut vorbei?
Horch: Ich bin gegen eine City-Maut. Ausgrenzung passt zu einer Freien und Hansestadt Hamburg nicht. Ich halte es daher für besser, dass wir z.B. die U-Bahnlinie 4 und die S-Bahnlinie 4 erheblich ausbauen. Zudem optimieren wir das Bussystem und erhöhen seine Kapazität deutlich. Und zwar nicht als Antwort auf die Stadtbahn, sondern weil wir uns davon mehr Kunden in der Fläche der Stadt versprechen.
Abendblatt: Reichen diese herkömmlichen Ideen aus?
Horch: Unser Pilotprojekt „Komplementäre Mobilität“ ist sehr erfolgreich gestartet. Am Berliner Tor können HVV-Kunden seit Ende Mai mit Hilfe der switchh-Card bei Car2go und Europcar ein Auto mieten und erhalten Rabatt. Außerdem finden die Fahrgäste dort eine StadtRad-Station und einen Taxistand. Bislang haben schon 1000 HVV-Nutzer ihr Interesse an einer switchh-Card bekundet. Ziel ist es, dass Nutzer des ÖPNV bei Bedarf ohne großen Aufwand auf das Auto oder das Fahrrad umsteigen können.
Abendblatt: Park-&-Ride-Plätze sollen kostenpflichtig werden. Wie passt das zu Ihren Bemühungen?
Horch: Eine endgültige Entscheidung darüber, ob künftig für Park-&-Ride-Plätze Gebühren fällig sind, ist noch nicht gefallen. Allerdings betrifft das nur die Plätze in der Stadt. An der Peripherie müssen sie Gebühren fürP+R bezahlen. Dadurch werden falsche Anreize gesetzt. Um Geld zu sparen, fahren manche Autofahrer nach Hamburg und steigen dann für zwei oder drei Bahnstationen um. Sinnvoller wäre es doch, wenn vermehrt Autofahrer schon am Stadtrand die U- oder die S-Bahn nähmen.
Abendblatt: Auf einigen Hauptverkehrsstraßen soll in der Nacht jetzt testweise Tempo 30 vorgeschrieben werden. Aus der Wirtschaft gibt es daran Kritik. Was halten Sie davon?
Horch: Ich betone es noch einmal: Hamburg ist eine Wirtschaftsmetropole und dazu gehört, dass Wirtschaftsverkehr zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich sein muss. Hamburg ist aber auch eine lebenswerte Stadt, die eine Strategie gegen Lärm und Luftverschmutzung benötigt. Daher soll jetzt auf vier Teilabschnitten von Hauptverkehrsstraßen in der Nacht Tempo 30 gelten. Wir werden sehen, was diese Tests bringen.
Abendblatt: Das klingt, als wären Sie skeptisch?
Horch: Ich bin offen und warte erst mal ab. Aber die Reduzierung von Lärm wird künftig ein wichtiger Faktor für die Lebensqualität Hamburgs sein. Wenn Tempo 30 zwischen 22 und 6 Uhr vertretbar und sinnvoll ist, werden wir das auch an anderen Stellen umsetzen. Ich sage aber auch: Hamburgweit wird das aus wirtschaftlichen Gründen nicht machbar sein.
Abendblatt: Wenn man sich die Entwicklung und die vielen Projekte anschaut, muss man sagen: Für die Autofahrer wird es auf Hamburgs Straßen künftig insgesamt enger.
Horch: Menschen sind ja nicht nur Autofahrer. Viele Hamburger nutzen neben dem Auto das Rad oder die Bahn. Es geht mir nicht um die Bevorzugung oder Benachteiligung eines Verkehrsträgers, sondern darum, dass jeder in dieser Stadt, der sich fortbewegen will, auch vorankommt - möglichst mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln. In der Innenstadt muss der ÖPNV das Rückgrat des Verkehrs sein.
Abendblatt: Sollte die Hochbahn den Takt ihrer Züge verringern, damit noch mehr Hamburger vom Auto umsteigen?
Horch: Die Hochbahn ist eines der innovativsten Verkehrsunternehmen in Hamburg. Der Grund ist ihre hohe Attraktivität. Aber es ist auch richtig: wir wollen, dass zum Beispiel auf der Linie 3 eine Bahn alle 90 Sekunden kommen kann. Wie das umgesetzt wird, wird gerade untersucht.
Abendblatt: In der Rushhour sind die Bahnen sehr voll. Schwenken Hamburger rascher um, als die Planungen es vorsehen?
Horch: Hamburg ist eine weltoffene Stadt. Das zeigt sich auch daran, dass die Menschen offen für neue Verkehrssysteme sind. Car2go oder StadtRad haben innerhalb weniger Jahre Erfolgsgeschichte geschrieben. Verkehrsplanung ist in der Tat ein längerfristiger Prozess. Was nicht heißt, dass wir nicht auf dem richtigen Weg sind.
Abendblatt: Wer morgens den Verkehrsfunk hört, muss oft von kilometerlangen Staus auf den Autobahnen rund um Hamburg hören. Ist der Ausbau der Autobahnen verschlafen worden?
Horch: Wir dürfen zunächst eines nicht vergessen. In Hamburg leben rund 1,8 Millionen Menschen. In der Metropolregion sind es rund fünf Millionen. Hamburg ist der größte Arbeitgeber für Schleswig-Holstein und der zweitgrößte für Niedersachsen. Insofern ist es nicht ungewöhnlich, dass morgens viele Straßen voll sind. Schließlich müssen die Menschen ja zu Arbeit kommen.
Abendblatt: Es geht nicht so sehr um den Verkehr innerhalb der Metropolregion Hamburg. Sie können heute vom Nordkap trockenen Fußes den europäischen Kontinent erreichen und stehen dann im Stau vor dem Elbtunnel. Muss nicht rasch eine weitere Elbquerung her?
Horch: Wir bauen in Hamburg demnächst die A 7 aus, aber wir machen seit vielen Jahren Druck, dass eine weitere Elbquerung gebaut wird. Wir unterstützen Schleswig-Holstein und Niedersachsen in ihrem Ringen mit der Bundesregierung, die Autobahn 20 westlich von Hamburg weiterzuführen und eine Elbquerung bei Glücksstadt auf den Weg zu bringen. Aber wir sehen auch, dass das kein einfaches Vorhaben ist.
Abendblatt: Täuscht der Eindruck oder hat Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer bei der Umsetzung von Verkehrsprojekten eher die süddeutschen Bundesländer im Blick?
Horch: Wir haben eine starke Fraktion der norddeutschen Küstenländer und versuchen, unsere Interessen zu bündeln. Wir haben verstanden, dass wir in Berlin mit einer Stimme auftreten müssen. Ich denke auch, dass man in der Bundeshauptstadt die große Bedeutung Hamburgs als Logistikdrehscheibe und Hafenstandort für Deutschland erkannt hat. Und ich sage deutlich: wir im Norden sind jetzt mit dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur dran.
Abendblatt: Der Bund wird in den kommenden zehn Jahren rund eine Milliarde Euro in den Bau des A-7-Deckels stecken. Haben Sie Angst vor dem Mammutprojekt?
Horch: Wir haben exzellente Leute in unserer Behörde und sind gut aufgestellt. Daher trauen wir uns zu, das Projekt mit den vorhandenen Ressourcen zu managen. Wir haben aber auch eine Studie auf den Weg gebracht, um das beste Baustellenmanagement herauszufinden. Ein erstes Ergebnis liegt schon vor: Wir werden während der Bauzeit zwar die sechs Fahrspuren verengen müssen. Sie werden aber breiter sein als bei den Bauarbeiten auf der A1 zwischen Hamburg und Bremen in den vergangenen Jahren. Das bedeutet, der Verkehr wird besser fließen.
Abendblatt: Gestatten Sie uns zum Schluss eine persönliche Frage. Vorausgesetzt, die SPD gewinnt die Bürgerschaftswahl im Jahr 2015: Stehen Sie dann wieder als Wirtschaftssenator zur Verfügung?
Horch: Ob ich das Amt erneut übernehmen darf, bestimme nicht ich. Aber mir macht die Arbeit sehr viel Spaß. Ich habe in den vergangenen Jahren viel gelernt und sehe auch, dass man viele Dinge auf den Weg bringen kann. Solange es meine Konstitution zulässt, kann ich mir vorstellen, die Arbeit weiter zu machen.