Ole von Beust weiß seine Kräfte einzuteilen. Anders als viele seiner Amtsvorgänger vermeidet es der Bürgermeister auf Reisen ...

Ole von Beust weiß seine Kräfte einzuteilen. Anders als viele seiner Amtsvorgänger vermeidet es der Bürgermeister auf Reisen (wie jetzt in Lateinamerika) abends noch etwas zu unternehmen oder sich mit Mitreisenden auf einen Absacker an die Hotelbar zu setzen. Fast immer zieht er sich zwischen 20 und 21 Uhr auf sein Zimmer zurück. Er muss wohl ein klassischer Achtstundenschläfer sein das individuelle Schlafbedürfnis ist bekanntlich genetisch bedingt. Bei Empfängen etwa bleibt von Beust nur solange wie nötig ohne jedoch jemals die Gebote der Höflichkeit zu missachten. Überhaupt hat von Beust den effektiven Smalltalk zu einer Kunstform entwickelt. Der Bürgermeister schafft es, bei offiziellen Anlässen mit beinahe allen Anwesenden ein paar lockere Sätze zu wechseln, die jedem seiner Gesprächspartner das Gefühl geben, auf Augenhöhe mit dem aktuellen Bundesratspräsidenten zu reden. Es gibt wohl kaum einen Politiker, der zugleich so locker, uneitel und gelegentlich auch mit charmanter Frechheit auftritt wie von Beust. Und doch schafft er auch immer nach einer oder zwei Minuten den Absprung, um sich dem nächsten Smalltalker zuzuwenden. So schafft er es, nach kürzester Zeit eine Veranstaltung zu verlassen und zugleich bei allen Anwesenden in angenehmer Erinnerung zu bleiben. Seine Begleiter haben auf dieser Reise nach Kolumbien und Mexiko schon gelegentlich Wetten abgeschlossen, wann von Beust wohl gehen würde. Fast immer haben diejenigen gewonnen, die darauf gesetzt hatten, dass er schon vor dem offiziellen Veranstaltungsende verschwinden würde.

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Klar, Reisen wie diese rufen immer wieder Argwohn hervor. Warum muss man denn unbedingt nach Kolumbien und Mexiko? Das sind doch alles Lustreisen auf Kosten der Steuerzahler! Und dann noch mit einem Luftwaffen-Airbus mit noblem Schlafzimmer. Typisch Politiker, machen sich ein schönes Leben auf unsere Kosten. So ist es immer wieder zu hören. So lauten auch einige der Stimme zur Lateinamerikareise. Was dabei vergessen wird: Diese Reisen sind erstens alles andere als erholsam. Von morgens um sieben bis abends um zehn gibt es ein dichtes Programm, bei dem man von Termin zu Termin hetzt und immer wieder im Stau steht. Und mal im Ernst: Ist es etwa ein Vergnügen, den lieben langen Tag Politiker- und Unternehmerhände zu schütteln und dabei Höflichkeitsfloskeln auszutauschen? Und zweitens führen derlei Reisen immer wieder dazu, dass die deutsche Wirtschaft Aufträge bekommt. Jetzt zum Beispiel könnten Hamburger Unternehmen womöglich an der Modernisierung des Nahverkehrssystems in Bogota teilhaben, weil von Beust dessen Bürgermeister nach Hamburg einladen will. Wenn Deutschland Exportweltmeister bleiben will, gehört das Knüpfen neuer, internationaler Kontakte zu einer Pflichtaufgabe von Politikern. Wieso wollen eigentlich so viele Leute, dass die Politiker, die von ihnen gewählt wurden und für sie unterwegs sind, möglichst schlecht für ihre Arbeit bezahlt werden und sich am liebsten noch in alten Pferdekutschen fortbewegen müssen? Wäre denn das Volk glücklicher, wenn seine eigenen Vertreter vor mächtigen Wirtschaftsbossen in zerrissenen Lumpen auftreten müssten? Würde das denn der Demokratie nützen?

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Wahr ist aber auch: Auf dieser Reise sind allerlei Lobbyisten im Schlepptau des Bürgermeisters unterwegs. Der eine oder andere spricht gern von "Verantwortung", wenn er seine eigenen Interessen meint. Nehmen wir zum Beispiel den in Hamburg ansässigen Honorarkonsul Kolumbiens, Reginald Schlubach. Der hat von Beginn der Reise immer wieder die mitreisenden Journalisten auf ihre "Verantwortung" hingewiesen und meinte damit: Man möge doch am liebsten nur Gutes über Kolumbien schreiben. Also etwa, dass das Land sicher sei und schön, aufstrebend und ein lohnendes Ziel für deutsche Investitionen. "Denken Sie an Ihre Verantwortung", so Schlubach in stets belehrendem Tonfall. Zum Glück sind die Medien nicht den Schlubachs verantwortlich, sondern der ganzen Wahrheit. In den wenigen Tagen, die wir in Lateinamerika unterwegs sind, hat es über Kolumbien folgende Schlagzeilen gegeben: Gegen den Senatspräsidenten wird wegen des Verdachts der Korruption ermittelt und gegen 94 Kongressmitglieder wegen angeblicher Beziehung zu den jahrelang mordend und folternd durch die Lande ziehenden Paramilitärs. Amnesty International hat die Einstellung aller Militärhilfen für Kolumbien gefordert, weil die Zahl der aus der Armee verübten Gewalttaten deutlich zunehme. Und schließlich: Präsident Uribe hat soeben 27 Militärs entlassen und sie der Justiz überantwortet, weil die kolumbianische Armee an dem Verschwindenlassen und der Ermordung von 20 Jugendlichen in dem Ort Soacha beteiligt gewesen ist. Es ist unsere Verantwortung, allen wirtschaftlich interessierten Honorarkonsuln zum Trotz, über diese Wahrheiten zu berichten. Niemals dürfen Wirtschaftsinteressen über Menschenrechten stehen.

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Eines muss man den Mexikanern lassen. Zwar ist ihre Hauptstadt überfüllt und laut, die Luft ist schlecht und wer bei Grün ohne zu gucken über die Straße geht, wird vermutlich überfahren, weil fast alle Ampeln falsch geschaltet sind. Außerdem prangen fast täglich auf den ersten Seiten der Zeitungen Bilder von Ermordeten des Drogenkriegs, die in ihrem eigenen Blut liegen. Die Polizei gilt als ausgesprochen korrupt, und die Wirtschaft wird durch die Finanzkrise besonders hart getroffen. Aber das Leben wissen die Leute hier trotzdem zu genießen. Wer in den breiten Avenidas oder durch die Parks in der Innenstadt schlendert, der sieht buchstäblich auf jeder zweiten Bank ein knutschendes Pärchen sitzen. Dass die Latinos im Schnitt glücklicher sind als die meisten anderen Menschen zeigt auch der Happy Planet Index, der das individuelle Glücksempfinden und die Zufriedenheit nach Staaten aufgeteilt ermittelt hat. Unter den ersten zehn Ländern finden sich sieben lateinamerikanische Staaten (an Platz zwei übrigens nicht etwa Mexiko, sondern Kolumbien). Ab Donnerstagabend werden wir mal kontrollieren, wie glücklich die Menschen in der mexikanischen Hafenstadt Veracruz, der letzten Station unserer Reise, so sind. Und ob dort auch so viel geknutscht wird.