Hamburger Abendblatt:

Der Start von Schwarz-Grün ist begleitet von spektakulären Verbrechen wie dem sogenannten Ehrenmord des 23-jährigen Ahmad O., der seine Schwester Morsal erstochen hat. Was muss geschehen, um solche Taten zu verhindern?

Till Steffen:

Die "Ehrenmorde" haben viel zu tun mit Rollenbildern von Männern in bestimmten Gruppen, aber es betrifft nicht nur Migranten. Die Frage ist: Was kann man mehr machen, als den potenziellen Opfern Schutz zu gewähren, die Straftäter nach den Taten zu verurteilen? Das ist selbstverständlich. Wir müssen aber auch öffentlich deutlich machen, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, wenn ein Mann Frauen respektvoll behandelt. Ich kann mir vorstellen, dass wir in enger Zusammenarbeit mit Verbänden der Migranten-Community im Rahmen von öffentlichen Kampagnen solche Rollenbilder von Männern mit Migrationshintergrund herausstellen.



Abendblatt:

Es ist doch seit Jahrzehnten nicht gelungen, diese Rollenbilder aufzubrechen.

Steffen:

Da ist aber viel in Bewegung. Der isolierte Blick auf die Migranten versperrt ein wenig die Erkenntnis. Wenn wir 40, 50 Jahre zurückgucken, waren das Schlagen von Kindern und die Unterdrückung von Frauen nicht geächtet. Das hat sich bis heute deutlich verändert. So etwas kann auch auf die Migrantengruppen überspringen. Ich weiß, dass es so ist, weil ich solche Menschen mit Migrationshintergrund kenne. Aber das gilt noch nicht für alle, und daran müssen wir Politiker arbeiten.



Abendblatt:

Das ist das Bohren dicker Bretter. Wichtig ist doch aber, was in den akuten Fällen getan werden kann, und ebenso, ob genug getan worden ist. Morsal O. war in der Obhut des Kinder- und Jugendnotdienstes. Sie ist wohl auf eigenen Wunsch wenige Stunden vor der Tat entlassen worden. War das ein Fehler?

Steffen:

Das Mädchen ist nicht entlassen worden, sondern es hat die Einrichtung freiwillig verlassen. Wir haben im Senat verabredet, uns diesen Fall sehr genau anzusehen. Wo hat es Fehler gegeben, was hätte besser gemacht werden können? Es kann sein, dass wir am Ende feststellen, dass alles Erforderliche geschehen ist. Wenn aber in den Behörden Defizite festgestellt werden, wird es Aufgabe des zuständigen Senators sein, diese Defizite abzustellen.



Abendlatt:

Der Jugendrechtsexperte Prof. Christian Bernzen sagt, dass es die rechtliche Handhabe gegeben hätte, das junge Mädchen gegen seinen Willen festzuhalten, mit der Begründung: Schutz seines Lebens.

Steffen:

Klar, aber das wäre ein Novum. Einen solch weitreichenden Schritt, das Einsperren von Menschen gegen ihren Willen zu ihrem eigenen Schutz, muss man sich sehr genau überlegen.



Abendblatt:

Es handelte sich um ein minderjähriges Mädchen, das möglicherweise den Ernst seiner Lage nicht überblickt hat. Schließen Sie diese Maßnahme grundsätzlich aus?

Steffen:

Es wäre völlig verfrüht, irgendwelche Konsequenzen von vornherein auszuschließen. Es ist allerdings ein sehr drastisches Mittel. Die Frage ist ja auch, wie lange das Einsperren denn dauern sollte. Ich glaube, dass dieser Vorschlag nicht wirklich zu Ende gedacht ist.



Abendblatt:

Ist die Integration, wie Sie sie sich vorstellen, angesichts eines solchen schrecklichen Falls, zumindest in Teilen gescheitert?

Steffen:

Dieser Täter war nicht integriert. Aber die Frage ist, inwieweit man von diesem Täter etwa auf die ganze Gruppe der hier lebenden Afghanen schließen kann. Da wäre ich sehr zurückhaltend. Die meisten von ihnen werden niemals straffällig. Gerade aus Afghanistan kommen auch viele hoch gebildete Menschen. Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Regionen mit sehr unterschiedlichem Zugang zu Bildung.



Justizsenator Till Steffen (GAL) ist mit 34 Jahren das jüngste Mitglied des schwarz-grünen Kabinetts.

Lesen Sie morgen Teil zwei des Interviews