Die Suche nach den Gerüchen der Festtage beginnt auf den Weihnachtsmärkten und endet bei den Gewürzen in Hamburgs Speicherstadt.
Hamburg. "Fröhliche Weihnacht überall!
tönet durch die Lüfte froher Schall.
Weihnachtston, Weihnachtsbaum,
Weihnachtsduft in jedem Raum!"
So dichtete August Heinrich Hoffmann von Fallersleben im 19. Jahrhundert. Aber wie ist es wirklich mit dem Weihnachtsduft? Wonach hat es damals in jedem Raum geduftet? Und wie riecht Weihnachten überhaupt?
Wer sich, um dem nachzuspüren, auf die Weihnachtsmärkte bemüht, nimmt zunächst anderes wahr: Vor allem Bratwurst- und Schmalzgebäckgeruch, dazu ein kräftiger Hauch Knoblauch und die Ausdünstungen von Alkohol und zu warm angezogenen Menschen im Regen. Das kann doch nicht Weihnachten sein.
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Wir wollen es herausfinden und fragen nach. Bei Bettina Matthaei, dem Hamburger Spice Girl, wie sie in einer Talkshow genannt wurde. Sie ist Gewürzexpertin, prämierte Kochbuchautorin und Journalistin. Ihr Arbeitswerkzeug ist die Nase. "Erkältet zu sein ist eine mittlere Katastrophe", sagt die vor Energie strahlende Frau mit weicher, prononcierter Stimme. Matthaei kreiert eigene, ganz besondere Gewürzmischungen mit ihrem Team in der Manufaktur "1001 Gewürze" in Barmbek, die ihre Tochter Katharina Köster leitet. In ihren Gewürzseminaren kann auch der Laie lernen, welche Gewürze zusammenpassen, was eher süß, was herb, scharf oder sauer schmeckt und warum es so wichtig ist, möglichst alle vier Geschmacksrichtungen in einer Mischung zusammenzubringen. Wichtig ist das Erkennen der verschiedenen Aromen innerhalb eines Gewürzes und die Fähigkeit, diese mit anderen harmonisch zu kombinieren. Auch die ungeübte Nase kann lernen, was wie riechen soll - und Qualität von Möchtegern unterscheiden.
Wie duftet also Weihnachten? "Mit Sicherheit hat jeder Mensch seinen eigenen Weihnachtsduft im Sinn", sagt Bettina Matthaei, "meist ist es eine wohlige Mischung aus nostalgischen Kindheitserinnerungen, dem Gefühl der Vorfreude und Erwartung, dem harzigen Duft von Kiefernnadeln und den süßen Düften von frisch gebackenen Plätzchen und Bratäpfeln. Aber eben auch dem Duft von Gewürzen. Später kommen dann andere Düfte dazu, zum Beispiel der einer gebratenen Gans mit Rotkohl oder der von Glühwein."
Wer einmal einen Schritt in die Gewürzmanufaktur getan hat, möchte rufen: Ach, wie weihnachtlich! "Das ist der warm-würzige Duftmix, den Zimt, Gewürznelken und Kardamom verströmen", sagt Matthaei, deren Gewürzmischung des Monats aus Koriander, schwarzem Pfeffer, Ceylon-Zimt, Macis, Piment, Gewürznelken und Wacholder besteht. "Wenn ich eine Gewürzmischung komponiere, entsteht diese zunächst im Groben im Kopf und dann auf dem Papier, die Feinarbeit mit exakter Waage. Und zwischendurch immer wieder pur probieren", erklärt Matthaei. "Wenn sie stimmig ist, kommt noch der Küchentest. Denn unter Temperatur verändern sich Gewürze noch einmal erheblich. Stabile Gewürze wie Lorbeer entlassen ihre Aromen nach und nach, andere wie Kardamom oder Muskatnuss sind sehr flüchtig. Zum Testessen muss die Familie antreten."
In Hamburg lässt sich dem Duft der Weihnacht fein hinterherschnuppern. "Freie und Gewürzstadt Hamburg", nennt sie Bettina Matthaei. Damit bezieht sie sich auf die Tradition der Stadt als bedeutender Gewürzhandelsplatz.
Gewürze waren enorm kostbar. Den Preis bestimmte früher weniger die Nachfrage als vielmehr der Besitzer. Die langen Wege und strapaziösen Umstände des Transports verteuerten das Gut zusätzlich. Arabische Händler beförderten schon vor mehr als 2000 Jahren die Gewürze aus Indien, China und Indonesien mit Karawanen über verschiedene Handelswege wie die berühmte Seidenstraße und manche Gewürzstraße nach Beirut oder Byzanz. Von dort ging es über Venedig oder Genua und schließlich über die Alpen Richtung Norden. Mit jeder Zwischenstation, jedem Aufenthalt, jeder Landesgrenze verteuerten sich die Gewürze. Wenn sie dann schließlich in Deutschland ankamen, hatte sich ihr Preis mehr als verhundertfacht. Nun diente besonders Pfeffer - den man seit etwa 5000 Jahren kennt - als Gewürz, viele der heute gängigen Kräuter waren noch unbekannt. Gewürze wurden sogar als Mitgift angeboten, Kaufleute, denen es gelang, mit dem kostbaren Gut Handel zu treiben, erlangten einen hohen gesellschaftlichen Rang. Gemeinhin nannte man sie ein wenig verächtlich Hamburger Pfeffersäcke. Neben verschiedenen Pfeffersorten importierten die Hamburger besonders und in großen Mengen die kostbare Vanille und Zimt.
Heute ist Hamburg der drittgrößte Gewürzumschlagplatz der Welt. Hunderttausende Tonnen, auch viele "Weihnachtszutaten", werden über Hamburg verschickt: Weihrauch, Rosinen, Zimt kommen über die Hansestadt in deutsche Städte. Hamburg importiert jährlich etwa 30 000 Tonnen Rosinen aus der Türkei, den USA, dem Iran und Griechenland, 26.000 Tonnen Haselnüsse, Paranüsse, Walnüsse, 36.000 Tonnen Pistazien und 24.000 Tonnen Mandeln. Dazu 1700 Tonnen Datteln und 4500 Tonnen Feigen. Aus Indonesien, Brasilien und Sri Lanka kommen 1014 Tonnen Zimt und aus den USA und Madagaskar 104 Tonnen Vanille. Man könnte also sagen: Der Containerhafen duftet heute nach Weihnachten.
In Deutschland wurde im Mittelalter zunächst Nürnberg zum Zentrum im Gewürzhandel, weil hier mehrere Handelsrouten zusammenliefen. Schon zuvor war es hier Tradition, Honigkuchen zu backen. Der Legende nach steckten während eines sehr kalten Winters Gewürzhändler in Nürnberg fest. Und ob sie nun Langeweile hatten oder einfach eine gute Idee, sie mischten Gewürze unter das Mehl und buken daraus einen Lebkuchen. Das fand Gefallen. Allerdings wurden sie nicht als Gebäck zum Naschen verzehrt, sondern dienten als Medizin, weil die Zutaten bestimmte der Gesundheit zuträgliche Eigenschaften haben. Das Wort Lebkuchen jedoch meint nicht etwa den "Kuchen für das gesunde Leben", sondern leitet sich vom lateinischen Wort "libum" ab, was "Fladen" bedeutet.
"In einem typischen Lebkuchengewürz", sagt Gewürzfachfrau Matthaei, "sind Zimt, Koriander, Piment, Anis, Kardamom, Gewürznelke, Ingwer und Muskatnuss enthalten. Und in Pfefferkuchen gab man früher womöglich wirklich Pfeffer hinein. Vielleicht auch nicht, denn im Mittelalter wurden viele Gewürze einfach 'Pfeffer' genannt."
Jedem dieser Weihnachtsgewürze wird eine andere Wirkung zugesprochen, manchmal sogar mehrere. Mitunter scheiden sich hier die Geister. Zimt regt demnach die Fettverdauung an und senkt den Blutzuckerspiegel. Schwangere sollten auf Zimt übrigens lieber verzichten, weil er wehenfördernd wirken kann. Gewürznelken werden eine schmerzstillende, desinfizierende und appetitanregende Wirkung nachgesagt. Muskatnuss beruhigt die Nerven und fördert die Durchblutung. Anis wiederum wirkt bei Husten und bei der Verdauung fetter Speisen. Koriander wirkt sowohl beruhigend als auch belebend. Kardamom befreit den Kopf und schafft guten Atem. Vanille hebt die Stimmung und sorgt für starke Nerven. Allen gemeinsam ist jedoch eins: Sie steigern das Wohlgefühl und bringen uns in Weihnachtsstimmung.
Auf der Suche nach dem Duft der Weihnacht in Hamburg ist die Speicherstadt ein Ort, an dem man fündig wird. Neben Kaffee, Kakao und Tee werden hier seit 100 Jahren Gewürze gelagert, zuvor saßen viele Gewürzhändler in den Kontoren an der alten Deichstraße.
In der Speicherstadt lädt seit 1993 das Gewürzmuseum Spicy's am Sandtorkai zum Schnuppern ein - nicht nur zu Weihnachten. Viola Vierk, die selbst 14 Jahre lang im Gewürzhandel tätig war, und ihr Mann Ingo haben diese Duftstätte auf 350 Quadratmetern errichtet. Hier kann man fremde Gerüche auf sich wirken lassen, etwa 50 Gewürze kennenlernen, mehr über den Handel und die Herkunft der Pflanzen erfahren und sie sogar anfassen. 9000 Exponate beleuchten 500 Jahre Gewürzhandel. Die aktuelle Teilausstellung heißt "Kekse, Kanehl & Koriander", ist noch bis Silvester zu sehen und liefert "würzige Tipps aus der Weihnachtsbäckerei". Man kann dort zum Beispiel lernen, dass das Wort Plätzchen von Platz kommt, was im 15. Jahrhundert auch einen "flach geformten Kuchen" meinte. Dass es Plätzchen damals nur zur Weihnachtszeit gab, erklärt sich wiederum aus den hohen Preisen. Zucker und Gewürze waren mit Gold aufzuwiegen, das änderte sich erst im 19 Jahrhundert. Zucker war in Europa bis zu den Kreuzzügen völlig unbekannt, gesüßt wurde mit (teurem) Honig.
Das teuerste Gewürz der Welt ist noch heute der Safran. Ein Kilo der rötlichen Staubfäden einer besonderen Krokusart, die nach wie vor mühsam per Hand gepflückt werden, kostet je nach Qualität zwischen 6000 und 10 000 Euro. Aus dem Mittelalter ist bekannt, dass man ein Pfund Safran gegen ein Pferd tauschen konnte.
Haben sich die Gewürze und damit die Düfte im Laufe der Zeit eigentlich verändert? Roch Weihnachten früher ganz anders? "Eher nicht", sagt Bettina Matthaei. "Es waren Naturprodukte, also getrocknete Pflanzenteile wie Rinden, Samen, Blüten, Wurzeln und Ähnliches, die entweder als Medizin oder eben zur Verbesserung des Geschmacks oder zur besseren Bekömmlichkeit der Speisen dienten. Damals wie heute."
Die Natur bringe nicht regelmäßig neue Gewürze hervor, wohl aber änderten sich die Moden, was die Intensität des Würzens betrifft oder die Art, Speisen und Gewürze zu kombinieren. Im Mittelalter wurde zeitweilig so intensiv gewürzt, dass es nach unseren Vorstellungen kaum mehr gut schmecken konnte. Allerdings verdeckten Gewürze auch schon von jeher üblere Gerüche, was zu einer Zeit, da es noch keine Kühlschränke gab, ganz hilfreich gewesen sein mag. Auch vermochten manche Gewürze Lebensmittel länger haltbar zu machen. Das wirkte sich natürlich auch auf den Geschmack aus. Die hohen Preise dürften ebenfalls Einfluss darauf gehabt haben, wie damals gewürzt wurde. Wer viel hatte, streute womöglich auch besonders viel auf sein Essen. Gewürze waren ein Statussymbol.
Unsere Großeltern hingegen würzten eher spärlich, sie kannten Pfeffer, Salz, Paprika, Gewürznelke und Muskat. Erst die Globalisierung, die besseren Reisemöglichkeiten und die Öffnung der Märkte haben unser Würzgebaren verändert - es ist exotischer geworden. Deshalb duftet Weihnachten, besonders in dieser Stadt, auch nach der großen weiten Welt.