Welchen Wert hat Bildung in Hamburg und wofür braucht die Stadt eine starke Uni? Professoren und Studenten streiten mit Politikern um Sparpläne.
Hamburg. Wenn etwas fehlt, dann merkt man das nicht gleich, nur weil es nicht da ist. "Universität", wer in München zur Alma Mater fahren will, nimmt die U-Bahn zur dieser Haltestelle. Auf den Straßen Hamburgs, an scheinbar sämtlichen Kreuzungen, prangen Schilder die in Richtung "Messe/CCH" weisen. Während es im Bezirksamt heißt, die Uni müsse Schilder schon bei der Polizei beantragen, wenn sie welche haben wolle. Immerhin, am Dammtor findet man klein gedruckte Hinweise auf den Campus gegenüber, die Bushaltestelle "Staatsbibliothek" wurde im Jahr 2009 in "Universität/Staatsbibliothek" umbenannt. 90 Jahre nach ihrer Gründung ist die Uni im Verkehrsnetz zu finden. Wenigstens.
Doch wenn schon unklar ist, wie man in dieser Stadt überhaupt zur Universität gelangt, ist derzeit noch unklarer, wohin sich die Universität entwickeln soll. Hamburgs Ambitionen in der Wissenschaft, das ist auch die Geschichte einer Irrfahrt mit wechselnden Koordinaten. Sie handelt von Erfolgen und Enttäuschungen, von leeren Versprechen, von Minderwertigkeitskomplexen und von einer Universität, die eigentlich immer zu klein war für ihre Aufgaben. "Exzellenz" und "Universitätsstadt", darüber sprachen Politiker, nun beherrscht erneut eine Sparrunde die Schlagzeilen.
Betoniert der SPD-Senat also jenes Klischee, dass Pfeffersäcke und hanseatische Sozialdemokraten es nicht so haben mit der universitären Bildung? Dabei ist die Situation historisch: Das Dogma der Schuldenbremse ab 2020 zwingt die Länder wie nie zuvor, sich zu ihren wahren Prioritäten zu bekennen. Hamburg soll seine Ausgaben bis dahin im Schnitt jährlich nur um ein Prozent steigern. Gespart werden sollen nun 13 Millionen Euro an der Wissenschaft - und so könnte es weitergehen. Während der Bund empfiehlt, die Ausgaben für die Wissenschaft deutlich zu steigern. Doch Hochschulen spielen längst in zwei Ligen: Wer seine Mannschaft besser fördert, kriegt mehr Drittmittel. Derzeit haben die süddeutschen Universitäten die Nase vorne. Verspielt Hamburg seine Zukunft?
Der Hamburger Schriftsteller Uwe Timm sagte einmal, in seiner Wahlheimat München gebe es eine andere Intellektualität als in Hamburg, wo sich Leute das Musical "Cats" ansähen. Altkanzler Helmut Schmidt sagte an anderer Stelle: "Eine hohe Identifikation der Bürgerschaft mit ihrer Universität ist nur in Kleinstädten zu erwarten. Aber die Universität genießt hohes Ansehen in der Stadt." Man könnte sich also zurücklehnen und die Provinz belächeln, immerhin ist man Großstädter. Doch in diesen Wochen ist zu beobachten, wie sehr Hamburger um ihre Hochschulen kämpfen. Und die Pfeffersäcke sind tatsächlich vorne mit dabei.
Die schwarze Holztür schließt sich, eine von zweien, die das wichtigste Büro der Handelskammer vor Zuhörern schützt. Wer dort in den Ledersesseln sitzt und Präses Fritz Horst Melsheimer fragt, ob Hamburg eine Handelsstadt bleibe, dem schaut er tief in die Augen und korrigiert höflich: "Eine Hafen- und Handelsstadt, ja." Doch die Kaufleute haben längst entdeckt, dass dies ohne Akademiker nicht zu machen ist. Sie empören sich über die Aussage, die Pfeffersäcke hätten damals ein Unigründung für das Volk verhindern wollen. "Wir haben das sehr genau in den Akten nachgeschaut", sagt der Präses. Nicht nur, dass 1909 mit Edmund Siemers ein Kaufmann das Hauptgebäude der Universität stiftete. Die Händler hätten sich für eine besondere Universität starkgemacht, nicht eine für die Lehre nämlich - da gab es ja schon eine hervorragende wie die in Göttingen, sondern für die Forschung.
Angebot und Nachfrage. "Unsere Argumentation war damals schon modern", sagt Melsheimer. Die Handelskammer arbeite bereits lange daran, dass Innovation endlich in den Reden der Ersten Bürgermeister auftauche. Die Kaufleute sehen großen Bedarf, und zwar nicht nur nach Ingenieuren, Betriebswirten und Juristen, wie man versichert. "Mit dem einfachen Handel, dem Kaufen und Verkaufen, damit ist heute kein Blumentopf mehr zu gewinnen", sagt der Präses der Handelskammer, die ihren Sitz direkt gegenüber Rathaus und Senat hat. "Innovationen und Konzepte" verkaufe man heute, etwa für ganze Industrieanlagen, die stückweise ins Ausland exportiert werden. "Dann erst fahren die Container durch die Welt." Dafür brauche man die besten Fachleute und Forscher, auch die aus der Afrikanistik und den Sozialwissenschaften. Die Forderung der Handelskammer ist klar: "Wir brauchen Exzellenz."
"Bevor wir hier aber über die Finanzierung sprechen, muss die Politik sagen, wohin sie mit der Wissenschaft will", sagt Melsheimer. Anspruch und Ausstattung, das müsse zusammenpassen - selbst wenn man dafür die Universität umstrukturieren, verkleinern oder über Stiftungsmodelle nachdenken würde. Natürlich, die Universitäten seien in der Pflicht, effizient mit Geld umzugehen. Auch gebe es in Hamburg zu viele Professorenstellen, was zu einer schlechten durchschnittlichen Ausstattung führe, was wiederum nur selten Spitzenforschung ermögliche.
Der Manager lächelt fein. Gute Bildung, das sei zuerst Aufgabe des Staates, sagt er. "Aber wenn die Bedingungen klar sind, dann hat Engagement der Kaufleute hier eine gute Tradition."
Das klingt nach einem Angebot der Wirtschaft zu helfen. Wie es auch schon in der Vergangenheit der Fall war, als die Universität in den 50er-Jahren ihren Campus bekam. Die Zahl der Studierenden stieg rasant. Audimax und Philosophenturm wurden gebaut. Kaufleute streckten einen Teil der Summe vor. Jetzt steht die Universität vor einer weiteren baulichen Erneuerung, angeblich will der Senat in den kommenden Jahren bis zu 800 Millionen Euro investieren. Das ist ebenso nötig wie dankbarer für die Politik, als Betriebskosten zu erhöhen - neue Gebäude können Senatoren im Blitzlichtgewitter einweihen.
Doch gerade das Bauen ist Trauma und Identitätsstiftung zugleich. Nicht nur, weil die CDU vor nicht langer Zeit den Campus an die Elbe verlegen wollte, um den Kleinen Grasbrook zu beleben. Als der Campus in den 60er-Jahren fertig wurde, war er für die wachsende Zahl der Studenten schon zu klein. "Dramatisch", war das, sagt Eckart Krause, der solche Wörter vorsichtig wählt. Der Historiker hat die Bibliothek für Universitätsgeschichte aufgebaut und kommt auch noch in seinem Ruhestand regelmäßig in sein Büro. "Ich habe den Eindruck, dass der Stadt seither der Mut fehlt, eine angemessene Universität zu bauen", sagt er. Auch weil man Angst habe, dass kurz nach Baubeginn wieder das Geld ausgehe. 1919, das ist das eigentliche Gründungsdatum der Universität. Parlamentarisch begründet von den Sozialdemokraten. "Frei soll die Lehre sein und frei das Lernen", hieß es damals.
Seitdem bewegt sich Hamburgs Hochschule im Spannungsdreieck zwischen Bildungssolidarität, Sparsamkeit der Politik und Innovationsinteressen der Wirtschaft. In Hamburg, das über wenig spendable Adelsfamilien verfügte, mussten diese Felder seit jeher zusammenwirken, um Kultur und Wissenschaft aufzubauen.
Natürlich sei der kritische Geist der Hochschulen von Teilen des Establishments kritisch beäugt worden, nicht zuletzt nach den Bewegungen der 68er-Generation, sagt Historiker Krause. Aber in heutigen Zeiten halte er eine Annäherung von Kaufleuten und Universität durchaus wieder für möglich. "Die Positionen stehen sich wieder versöhnlicher gegenüber", bei diesem vorsichtigen Fazit will es Krause belassen.
Die Sonne scheint in die Flügelbauten am Hauptgebäude der Universität. Sie wurden vom Kaufmanns-Ehepaar Greve gestiftet. Unten im Café liegt eine Unterschriftenliste gegen Sparpläne aus. "Es haben schon fast alle unterschrieben", sagt die Bedienung. Nur die älteren Gasthörer täten sich manchmal schwer. "Ich sage denen, dass die Initiative nicht von ultralinken Studenten kommt, dann unterschreiben die."
Was auch immer über Hamburgs Hochschulen geredet wird, der Blick von außen scheint positiver zu sein. Seit jeher bewerben sich dreimal so viele junge Menschen, wie zugelassen werden. Auch Luise Günther hat Bielefeld verlassen, um in Hamburg weiter auf Lehramt zu studieren - kürzlich ist sie AStA-Vorsitzende geworden. Eigentlich hat ihr Fach Germanistik auch in Bielefeld einen guten Ruf, aber sie wollte in die Großstadt. "Hamburg oder Berlin, das war klar", sagt sie. "Das ist wie mit dem Huhn und dem Ei", sagt sie. Studenten beleben günstige Stadtteile, sie füllen die Kneipen und Cafés, sie machen die Stadt bunter. Auch ihr AStA-Mitstreiter David Fürcho, 24, ist von der Leuphana-Universität in Lüneburg gewechselt. Als er dort Wirtschaftsinformatik studierte, musste er bereits in der Orientierungswoche Szenarien zur Rettung eines Unternehmens entwickeln. In Hamburg, wo er Amerikanistik studiert, gab es Frühstück und Kennlernspiele in der ersten Woche. Die Leuphana-Universität ist eine Stiftungs-Hochschule mit kleinem, nachfrageorientierten Angebot. "Da war alles sehr berufsqualifizierend, hier in Hamburg kann ich freier lernen", sagt Fürcho.
In Wahrheit muss die Universität Hamburg seit Jahrzehnten sparen. Peter Fischer-Appelt, Theologe und Kaufmann, hat das 21 Jahre erlebt, er war bis 1991 Uni-Präsident. In Anzug und Krawatte steigt er aus seinem roten Mercedes, der 78-Jährige hat die Veranstaltung "Mensch und Mikrobe" besucht, in der Tradition des Infektionsforschers Robert Koch, einer der Wissenschaftler von Weltruhm. Aber Fischer-Appelt will jetzt nicht darüber reden, dass Kleinstlebewesen im Körper ein Gesamtgewicht von etwa zwei Kilogramm haben. Er spricht lieber über Prämissen und Sokrates, über den Dreisatz. Der lautet: "Alle Menschen sind sterblich" und "Sokrates ist ein Mensch", daraus folgt: "Sokrates muss sterben." Wenn, so Fischer-Appelt, die Prämisse aber laute:"Man fördert nur Gutes", dann gesagt werde "Die Universität Hamburg ist nicht gut", dann sei die Schlussfolgerung fatal. Die Universität habe sich trotz Unterfinanzierung in den meisten Fächern sehr gut behauptet, dieser Leistung müsse man finanziell weiter aufhelfen. Die Vielfalt ihrer Fächer erfordere nicht weniger Professorenstellen als in München; mit jeweils rund 680 sind beide Hochschulen die mit den meisten Professorenstellen in Deutschland. Überhaupt, die "Miesmacherei" beruhe in der Regel weitgehend auf Problemen eines stark nachgefragten Faches, sagt der ehemalige Hochschulchef. Einflussreiche Menschen der Stadt schicken ihre Kinder lieber zur Betriebswirtschaft der Uni St. Gallen. Die Folge: "Keine Solidarität mit der Alma Mater."
Das sei die Imagefalle, in der die Universität seit Jahren stecke, sagt Fischer-Appelt. Die aktuelle Konfrontation zwischen Hochschulen und Senat, dass die Uni-Präsidenten sich wie nie zuvor gegen den Senat auflehnen, betrachtet er mit Sorge. Eines dürfe die Universität nicht vergessen: "Sie ist ein Teil der Stadt." Und so brauche es jene Mischung aus "Loyalität und Kampfgeist", die dem Theologen einst den Ruf des "großen Ausgleichers" verschaffte. Aber den ehemaligen Präsidenten beunruhigt eine weitere Entwicklung: Ein Stadtstaat wie Hamburg träfen "ins Kraut schießende" Großprojekte wie die Elbphilharmonie sofort bis ins Mark. 323 Millionen Euro wird das Konzerthaus wohl kosten, viele Millionen Euro dann jährlich für den Betrieb. "Kultur oder Wissenschaft", sagt Fischer-Appelt, "diese Priorität ergibt sich, ohne dass sie politisch gesetzt worden wäre."
Auch wenn die Handelsstadt Hamburg ohne starke Wissenschaft in Gefahr ist, scheint die Politik sich in weiteren Irrfahrten zu verrennen, anstatt sich zu dieser Priorität zu bekennen. Denn Visionen hat Hamburg reichlich. Für die neue U-Bahn-Linie 4, die für Hunderte Millionen gegraben wird, ist bereits eine Haltestelle "HafenCity-Universität" eingerichtet. Eine Haltestelle für eine kleine Universität, die noch nicht einmal gebaut ist.