Spanischer Gemüsehändler hatte Akteneinsicht beantragt. Siebter EHEC-Toter in Hamburg. Zahl der Neuerkrankungen stagniert. Verbraucherschutzminister fordert von Restaurants Sprossen-Verzicht.

Hamburg. In Hamburg ist ein weiterer Mensch an den Folgen des gefährlichen Darmkeims EHEC gestorben. Ein 1920 geborener Mann starb an der Durchfallkrankheit, wie die Gesundheitsbehörde am Mittwoch mitteilte. Damit steigt die Zahl der EHEC-Toten in Hamburg auf sieben. Bundesweit erhöhen sich die entsprechenden Todesfälle auf 37. Seit Dienstag wurden 18 neue ECEC-Fälle gemeldet. Es wurden zudem fünf weitere Fälle der Komplikation HUS registriert. Die in den vergangenen 24 Stunden neu gemeldeten 18 EHEC-Fälle traten bereits vor dem langen Pfingstwochende auf, wie die Behörde am Mittwoch mitteilte. Bei den fünf neu verzeichneten HUS-Fällen seien die Erkrankungen bereits im Mai aufgetreten.

Die Hamburger Gesundheitsbehörde geht daher weiter von einer Stagnation bei akuten Neuerkrankungen mit EHEC aus. Den Angaben zufolge beläuft sich die Zahl der gemeldeten EHEC-Fälle beziehungsweise Verdachtsfälle aktuell auf 1.071. Die Zahl der schwer erkrankten HUS-Patienten liegt bei 186.

Zahl der EHEC-Neuerkrankungen rückläufig

Bundesweit ebbt die Welle der EHEC-Neuerkrankungen weiter ab. Es werde ein kontinuierlicher Rückgang der EHEC- und HUS-Fallzahlen beobachtet, teilte das Robert-Koch-Institut (RKI) am Mittwoch in Berlin mit. Seit Anfang Mai sind laut RKI 37 Menschen in Deutschland an EHEC oder HUS gestorben. Insgesamt seien 3.244 EHEC- oder HUS-Fälle übermittelt worden.

Seit etwa einer Woche würden Erkrankungen an HUS und EHEC auf deutlich niedrigerem Niveau als zuvor an das RKI übermittelt, hieß es. Drei Viertel der Fälle stammten aus den vier Bundesländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Betroffen seien aber alle Bundesländer. Die höchste Zahl an EHEC/HUS-Fällen registrierte die Behörde im Zeitraum vom 21. bis 23. Mai.

Ministeriumssprecher: Scheitelpunkt überschritten

In Niedersachsen haben die Gesundheitsbehörden zehn Tage nach der Schließung des als Infektionsquelle geltenden Sprossenbetriebesin Bienenbüttel weitere 28 EHEC-Neuerkrankungen registriert. Die Gesamtzahl der gemeldeten EHEC-Erkrankungen oder -Verdachtsfälle habe sich damit binnen eines Tages auf 669 erhöht, teilte das Gesundheitsministerium in Hannover am Mittwoch mit. Die Zahl der Patienten mit dem Hämolytisch-Urämischen Syndrom (HUS) sei zeitgleich um 6 auf 134 gestiegen.

Man gehe dennoch weiter davon aus, dass der Scheitelpunkt der EHEC-Neuerkrankungen überschritten sei, sagte Ministeriumssprecher Thomas Spieker. Ärzte meldeten EHEC-Erkrankungen oft erst nach der Bestätigung des Erregers durch ein Labor den Behörden. "Die gemeldeten Patienten können dann bereits wieder gesund sein“, betonte er.

Der Ministeriumssprecher nahm zugleich die Gesundheitsbehörden gegen den Vorwurf in Schutz, die Meldewege seien zu lang. Bereits seit 2001 gebe es in den Behörden den elektronischen Meldeweg, sagte Spieker. Die Ämter würden lediglich von Ärzten und Krankenhäusern noch per Fax über Neuerkrankungen informiert.

Der als EHEC-Quelle geltende Sprossenerzeuger in Bienenbüttel war vor zehn Tagen geschlossen worden. Zeitgleich wurde bundesweit vor dem Verzehr roher Sprossen gewarnt. Die Zeitspanne zwischen einer Infektion mit dem EHEC-Erreger und dem Ausbruch der Darmerkrankungen beträgt nach Angaben des Robert-Koch-Istitutes zwei bis zehn Tage.

Backhaus: Sprossen raus aus allen Angeboten

Unterdessen hat Verbraucherschutzminister Till Backhaus (SPD) alle Restaurants und Lebensmittel-Einzelhändler aufgefordert, Sprossen jeglicher Art aus dem Angebot zu nehmen. Es sei nicht nachzuvollziehen, dass manche Einrichtungen nach wie vor Sprossen anböten, sagte Backhaus am Mittwoch in Rostock bei der Vorstellung des Verbraucherschutzberichts 2010. Grund dafür sei, dass die Infektionswege noch immer nicht eindeutig geklärt seien. Wie Backhaus weiter berichtete, hat sich der Tod einer 87-jährigen Frau aus dem Landkreis Parchim Ende Mai nicht als Folge einer EHEC-Infektion herausgestellt.

Gesundheitsbehörde reagiert auf Frunet-Antrag

Die Hamburger Gesundheitsbehörde hat am Mittwoch zum ersten Eilantrag des Gemüseexporteurs Frunet Stellung bezogen. Die Behörde habe die vorgegebene Frist eingehalten und über ihren Anwalt einen Schriftsatz eingereicht, sagte eine Sprecherin der Hamburger Verwaltungsgerichte am Mittwoch auf dapd-Anfrage. Das Gericht werde in Kürze über den Eilantrag auf Akteneinsicht entscheiden.

Zum Inhalt des Schreibens konnte sie keine Angaben machen. Ein Sprecher der Gesundheitsbehörde sagte, dass seine Behörde den Schiftverkehr mit der Anwaltskanzlei nicht über die Presse kommunizieren wolle.

Vergangene Woche hatte die Berliner Kanzlei Lindenpartners den Eilantrag für den spanischen Obst- und Gemüsehändler Frunet beim Verwaltungsgericht eingereicht. Darin fordert Frunet nach Gerichtsangaben ausschließlich die Einsicht in die Akten der Gesundheitsbehörde. Diese hat die Behörde den Spaniern nach Kanzleiangaben bislang verweigert.

Diese Woche war zudem bekannt geworden, dass Frunet am vergangenen Freitag einen weiteren Eilantrag beim Verwaltungsgericht gestellt hatte. Mit dem Unterlassungsantrag soll der Hamburger Gesundheitsbehörde verboten werden, weiter zu behaupten, der auf einer Gurke der Firma Frunet nachgewiesene Erreger sei lebensgefährlich, wie das Unternehmen mitteilte. Die Behörde der Hansestadt hat laut Gerichtssprecherin bis Freitag (17. Juni) Zeit, zu dem zweiten Eilantrag Stellung zu nehmen.

Nach dem EHEC-Fund an vier Salatgurken in Hamburg hatte die Gesundheitsbehörde der Stadt am 26. Mai Frunet-Gurken als eine erste Infektionsquelle bezeichnet. Wenige Tage später musste die Behörde allerdings einräumen, dass es sich dabei nicht um den EHEC-Stamm handelt, der zur Epidemie geführt hat.

Russland hält an Importverbot für EU-Gemüse fest

Derweil hält Russland ungeachtet wachsender Kritik aus der EU an seinem Anfang Juni verhängten Einfuhrverbot für Gemüse aus der EU fest. Der Darmkeim gebe weiter Anlass zur Sorge, obwohl die EU Aufklärung versprochen habe, kritisierte Russlands oberster Amtsarzt Gennadi Onischtschenko am Mittwoch. Verhandlungen mit EU-Vertretern über ein Ende der Handelsblockade hätten am Vorabend keinen Durchbruch gebracht, sagte Onischtschenko nach Angaben der Agentur Interfax. Die EU hält das Importverbot für Gemüse aus allen 27 Staaten der Union für völlig überzogen.

Auf dem EU-Russland-Gipfel am Freitag in Nischni Nowgorod hatten sich beide Seiten darauf geeinigt, die Einfuhr von Gemüse unter Sicherheitsgarantien wieder zu erlauben. Seither warte Russland auf Vorschläge und Laborzertifikate, die die Ungefährlichkeit der Waren bestätigten, sagte Onischtschenko. Aus Sicht von Beobachtern nutzt Moskau den Boykott nicht zuletzt für politische Machtspiele – nach außen, um zu zeigen, wie bedeutend der Markt für die EU ist, und nach innen, um für einheimische Produkte zu werben.

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Aigner in Reinbek: Schnelle Hilfe für Gemüsebauern

Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hatte sich einen von der EHEC-Krise besonders schwer betroffenen Betrieb im Hamburger Umland ausgesucht. Noch vergangene Woche musste Gemüsebauer Dirk Beckedorf in Reinbek den Rucola auf seinen Feldern vernichten - und machte rund 20.000 Euro Verlust am Tag. Gestern bekam er Besuch von der Ministerin und hörte ihre Ansage: "Wir wollen die Landwirte nicht im Regen stehen lassen." Aigner kündigte an, die von der Europäischen Union vorgeschlagenen Hilfen für Gemüsebauern schnell umzusetzen. Die Gelder sollen zügig und unbürokratisch die Gemüseproduzenten erreichen.

Vertreter der 27 EU-Länder beschlossen am Abend in Brüssel, den europäischen Landwirten 210 Millionen Euro Entschädigung zukommen zu lassen - 60 Millionen mehr als bislang geplant. Nach Aigners Angaben sollen betroffene Bauern etwa die Hälfte von dem zurückbekommen, was sie im Durchschnitt in den vergangenen drei Jahren verdient hätten.

Der Präsident des deutschen Zentralverbandes Gartenbau, Heinz Herker, schätzte die bisherigen Umsatzeinbußen der heimischen Gemüseanbauer seit Beginn der EHEC-Epidemie auf etwa 60 Millionen Euro. Ohne nachgebesserte finanzielle Hilfen würden viele Betriebe nicht überleben können, da das Geld für notwendige Investitionen nicht ausreiche, betonte Herker. Auch Bauer Dirk Beckedorf hatte es vergangene Woche auf den Punkt gebracht: Wenn der Staat nicht schnell helfe, "dann ist hier Feierabend".

Auf Forderungen nach zusätzlichen Bundesmitteln ging Aigner nicht näher ein. Sie sagte, für Juli habe die EU Zahlungen in Aussicht gestellt. Die Bundesregierung habe sich dafür eingesetzt, dass betroffene Betriebe zinsverbilligte Darlehen der Landwirtschaftlichen Rentenbank erhalten können.

Unterdessen läuft der Gemüseverkauf nach der EHEC-Entwarnung wieder an. "Der Verbraucher hat gleich reagiert, die Nachfrage steigt", sagte der Vorstandschef der Verwaltungsgenossenschaft des Hamburger Großmarkts, Hans Joachim Conrad. Bis das vorherige Niveau beim Konsum von Salat, Gurken und Tomaten wieder erreicht sei, könnten aber noch etwa zwei Wochen vergehen.

Nicht nur für Gemüsehändler, auch für die Krankenhäuser gab es gestern einen Hoffnungsschimmer. In Hamburg wurden binnen 24 Stunden nur noch 14 neue EHEC-Erkrankungen oder Verdachtsfälle gemeldet. Die Gesamtzahl habe sich auf 1053 erhöht, teilte die Gesundheitsbehörde mit. Neue Erkrankungen am Hämolytisch-urämischen-Syndrom (HUS) habe man aber nicht verzeichnet.

Für die Hamburger Gesundheitsbehörde geht das juristische Nachspiel wegen der EHEC-Gurkenwarnung weiter. Als Vertreter des spanischen Obst- und Gemüsehändlers Frunet reichte die Kanzlei Lindenpartners einen Unterlassungsantrag beim Verwaltungsgericht der Hansestadt ein, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Frunet will, dass der Hamburger Behörde unter anderem die Behauptung verboten wird, der auf der Gurke der Firma "angeblich nachgewiesene Erreger sei lebensgefährlich". Am Ende könnte es um Schadenersatz in Millionenhöhe gehen.

Sprossen von einem Biohof im niedersächsischen Bienenbüttel waren als Träger des gefährlichen Darmkeims identifiziert worden. Deshalb sollen laut Warnung der Behörden keine rohen Sprossen gegessen werden. Auf den Gurken wurden zwar EHEC-Bakterien nachgewiesen. Diese waren aber von einem anderen Typ als der grassierende Erreger.

(lmn/dpa/dapd)