Frank-Walter Steinmeier zieht sich für ein paar Wochen zurück, um seiner Ehefrau eine Niere zu spenden. Die OP ist für heute geplant.
Was der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier gestern in nüchternen Worten der Öffentlichkeit mitteilte, lässt das Drama nur erahnen, das seine Frau und er in den vergangenen Wochen durchlebten: Der 54 Jahre alte Politiker will sich "für einige Wochen" aus der Politik zurückziehen, um seiner schwer erkrankten Ehefrau eine Niere zu spenden. Die 48-jährige Verwaltungsrichterin Elke Büdenbender leidet an einer fortgeschrittenen Nierenschädigung. Ihr gesundheitlicher Zustand habe sich akut zugespitzt.
Wie die Lebendspende Nierenkranken helfen kann, hat auch die Geschichte des Fußballspielers Ivan Klasnic gezeigt. Vor drei Jahren erhielt der heute 30-Jährige wegen eines schweren Nierenleidens eine Niere von seiner Mutter. Sein Körper aber stieß diese Niere ab. In einer zweiten Operation wurde ihm dann kurz darauf eine Niere seines Vaters eingepflanzt. Klasnic hat sich davon so gut erholt, dass er in den Profifußball zurückkehren konnte.
Immer mehr Menschen in Deutschland erhalten ein neues Organ von einem nahem Angehörigen, der sich bereit erklärt, einen Teil seiner Leber oder eine Niere zu spenden. 2009 erhielten laut der deutschen Stiftung Organtransplantation 2772 Menschen in Deutschland eine neue Niere, 600 davon nach einer Lebendspende. Anders als früher müssen die Gewebemerkmale von Spender und Empfänger heute nicht mehr genau zusammenpassen. Eine Lebendspende ist sogar dann möglich, wenn die beiden nicht einmal die gleiche Blutgruppe haben.
Denn die Zahl der verfügbaren Spenderorgane von Verstorbenen ist nach wie vor knapp - und die Warteliste lang: "Im Durchschnitt müssen die Patienten sieben Jahre auf die Spenderniere eines Verstorbenen warten", sagt Prof. Björn Nashan, Direktor der Klinik für hepatobiliäre Chirurgie und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Die Lebendspende sei ein "Geschenk der Liebe", denn sie biete für den Patienten die besten Überlebenschancen- bessere als bei der Transplantation der Niere eines Verstorbenen und weitaus besser als bei der Behandlung mit der Blutwäsche, einer sogenannten Dialyse.
Das sind die einzigen Therapiemöglichkeiten, wenn die Nieren nicht mehr richtig funktionieren, meistens infolge von Entzündungen, erblichen Nierenerkrankungen, Diabetes oder Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem des Kranken Antikörper gegen eigenes Gewebe bildet. "Wenn die Nierenfunktion nicht mehr ausreicht, muss der Patient mehrmals pro Woche zur Dialyse und wird gleichzeitig bei Eurotransplant, der Vermittlungszentrale für Organspenden, angemeldet", erklärt Nashan die Vorgehensweise.
Untersuchungen haben aber gezeigt, dass eine Dialyse den Körper des Patienten erheblich belastet und die Überlebenszeit stark verkürzt. "Ein Jahr nach Beginn der Dialyse leben noch 80 Prozent der Patienten, nach fünf Jahren nur noch 38 Prozent. Nach einer Transplantation nach einer Lebendspende leben nach einem Jahr noch 98 Prozent und nach fünf Jahren noch 94 Prozent. Deswegen sollte man sich immer möglichst für eine Transplantation entscheiden", empfiehlt der Transplantationsmediziner. Die besten Ergebnisse zeigt die Lebendspende: Fünf Jahre nach der Transplantation liegt die Funktionsfähigkeit der neuen Niere noch bei 86 Prozent, nach der Transplantation eines Organs von einem Verstorbenen nur bei 78 Prozent.
Der Grund dafür ist, dass die Patienten bei einer Lebendspende nur kurz an der Dialyse hängen und bei diesem Verfahren außerdem die Transplantationsbedingungen besser sind: "Das Spenderorgan wird sofort nach der Entnahme eingepflanzt, das heißt es muss nicht über lange Wege transportiert werden, und das Risiko, dass es aufgrund von Durchblutungsstörungen geschädigt wird, ist relativ gering."
Aber ein "Geschenk der Liebe" ist die Lebendspende nicht nur wegen der guten Therapieerfolge, sondern auch, weil der Spender damit gewisse Risiken auf sich nimmt. Zum einen geht er ein Narkoserisiko ein, auch wenn es nur zwischen einem und vier Promille liegt. Zum anderen können die üblichen Komplikationen nach einem chirurgischen Eingriff auftreten, wie zum Beispiel Wundinfektionen, Blutungen oder eine Thrombose. "Aber es gibt keine wissenschaftlichen Hinweise darauf, dass die Nierenlebendspende negative Langzeitfolgen für den Spender hat", sagte Nashan. Eine gesunde Niere kann den Verlust des entnommenen Organs gut ausgleichen.
Bei dem Eingriff wird eine Niere entnommen, die reine Operationszeit dauert ungefähr anderthalb bis zwei Stunden. Insgesamt muss der Spender fünf bis sieben Tage im Krankenhaus bleiben und braucht anschließend ungefähr vier Wochen, um sich vollständig von der Operation zu erholen. "Aber meistens sind sie so um ihre Angehörigen bemüht, dass sie auf sich selbst kaum Rücksicht nehmen", sagt Nashan.
Hier finden Sie einen Vordruck des offiziellen Organspendeausweises sowie Informationen für Angehörige von Organspendern.
Denn der Empfänger der neuen Niere braucht wesentlich länger, um den Eingriff zu verkraften. Er muss etwa zwei Wochen im Krankenhaus bleiben und braucht vier bis acht Wochen, um sich zu erholen. Außerdem muss jemand, der ein Spenderorgan erhalten hat, ständig Medikamente einnehmen, um Abstoßungsreaktionen zu unterdrücken. Weil diese Medikamente auch die Abwehr insgesamt schwächen, können als Nebenwirkung Infektionen auftreten. Aber abgesehen davon, dass die Patienten ihr Leben lang Medikamente gegen die Abstoßungsreaktion nehmen müssen, können sie ein ganz normales Leben führen und auch, wie das Beispiel von Ivan Klasnic zeigt, sportliche Höchstleistungen erbringen.
Zwischen zwei Menschen, die einen solchen Eingriff gemeinsam überstanden haben, wird die Bindung meistens noch inniger, weiß Nashan aus seiner täglichen Arbeit. Problematisch werde es nur, wenn die Transplantation aus irgendwelchen Gründen nicht funktioniert. Dann würden sich die Spender oft selbst noch die Schuld dafür geben.
Für eine Lebendspende entschließen sich meistens Eltern, die ein Organ für ihre kranken Kinder spenden, oder Ehepaare oder eingetragene Lebensgemeinschaften, von denen ein Partner dem anderen ein Organ spendet.
Es kommt nach dem deutschen Transplantationsgesetz auch nur ein bestimmter Personenkreis infrage. Er ist begrenzt auf "Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbindung offenkundig nahestehen". Bisherigen Klagen, den Spenderkreis zu erweitern, widersprachen die deutschen Gerichte bislang, vor allem um einen Tausch- oder kommerziellen Handel zu verhindern.
Spenden darf nur, wer gesund und volljährig ist, über mögliche Folgen der Organspende aufgeklärt ist und der Organentnahme freiwillig zugestimmt hat. Zudem ist die Lebendspende nur erlaubt, wenn zum Zeitpunkt der Organentnahme kein geeignetes Spenderorgan eines Verstorbenen zur Verfügung steht. Eine Altersbegrenzung für den Spender gibt es nicht. Frank-Walter Steinmeier macht nun seiner Frau eines der größten Geschenke, er gibt ihr eine Niere. Eben ein Geschenk der Liebe.