Berlin fühlt mit Frank-Walter Steinmeier und seiner kranken Frau
Berlin. Es gibt Momente im Berliner Politikbetrieb, die scheinen ehrlicher zu sein als andere. Es sind die Situationen, in denen das politische Wechselspiel aus Taktieren und Duellieren innehält, wo es nicht um Projekte und Profilierungen geht, sondern um ein Schicksal - etwa das Attentat auf Wolfgang Schäuble oder der Tod von Franz Münteferings Frau.
Auch gestern Morgen um 9.30 Uhr war so ein Moment: Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionschef, ehemaliger Kanzleramtsminister, Außenminister und Vizekanzler a. D., verkündet in knappen Sätzen vor einigen im Reichstag versammelten Journalisten, was ihn gerade bewegt: "Meine Frau ist schwer erkrankt, nur eine Organtransplantation kann helfen." Eine sich verschlimmernde Nierenschwäche mache diesen Schritt notwendig. In die Stille, die sich auf den Raum legt, sagt Steinmeier nun: "Ich werde der Organspender sein." Wegen der langen Wartezeiten für Spenderorgane habe man sich in der Familie für eine Lebendspende entschieden.
In der ihm gegebenen nüchternen Art erklärt Steinmeier, dass er sich noch am Mittag in ärztliche Betreuung begeben werde. Wie dramatisch es um seine Frau stehen muss, kann man bei dem Satz erahnen, der dann folgt: "Die Operationen für die Organverpflanzung werden im Verlauf dieser Woche stattfinden." Tatsächlich soll das Ehepaar bereits heute operiert werden. Steinmeier ist seit mehr als 20 Jahren mit der 48-jährigen Elke Büdenbender zusammen und seit 1995 mit ihr verheiratet. Sie haben eine gemeinsame Tochter.
Zu behaupten, dass es schon ruhigere Wochen für Steinmeiers Partei gab, wäre schlicht untertrieben. Gerade erst konnte die SPD durch einen Kompromiss im letzten Moment verhindern, dass ein interner Richtungsstreit über die Rente mit 67 losbricht. Zudem präzisiert nun die schwarz-gelbe Regierungskoalition immer mehr ihrer Vorhaben - von der Steuer für Atomkraftwerke bis hin zur Aussetzung der Wehrpflicht. SPD, Grüne und Linke können sich nun auf die Pläne des politischen Gegners einschießen. Es wäre auch die Stunde des SPD-Fraktionschefs.
Doch nach Steinmeiers Erklärung tritt die Politik in den Hintergrund. SPD-Chef Sigmar Gabriel spricht von einer "bedrückenden Nachricht". Sie mache deutlich, "wie unwichtig manchmal politische Meinungsverschiedenheiten sind". Der Ton zwischen den Parteien ist zumindest für kurze Zeit ein anderer. Noch am Montagmorgen geht ein Anruf von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Steinmeier ein: Die Regierungschefin wünscht dem Ehepaar alles Gute. "Die Nachricht, dass seine Ehefrau so ernsthaft erkrankt ist, hat die Kanzlerin traurig und besorgt gemacht", sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. "Sie ist in dieser sicherlich schweren Zeit mit ihren Gedanken beim Ehepaar Steinmeier." Merkel und Steinmeier kennen sich noch gut aus den Zeiten der Großen Koalition. Zwei nüchterne Menschen, die Physikerin aus der Uckermarck und der Jurist aus Ostwestfalen. Menschlich, heißt es, seien sie gut miteinander ausgekommen.
Am selben Tag lobt Gesundheitsminister Philipp Rösler öffentlich Steinmeier für die Entscheidung, eine Niere zu spenden. "Das verdient unseren Respekt und unsere Hochachtung", sagt Rösler. Auch FDP-Chef Guido Westerwelle meldet sich und drückt sein Mitgefühl und seine besten Wünsche aus.
Steinmeier selbst bewahrt Haltung: "Für einige Wochen" werde er auf der politischen Bühne nicht präsent sein, sagt er. Geregelt sei, dass sein Stellvertreter Joachim Poß ihn in dieser Zeit vertritt. Er hoffe aber, schon im Oktober wieder seine Arbeit aufzunehmen. Die Ärzte hätten ihm versichert, dass es auch mit einer Niere für ihn keine Einschränkungen geben werde. Steinmeier ist sich sicher: "Sie werden mich in alter Frische wiedersehen."