Heute sind 20.000 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes zu Warnstreiks aufgerufen. Offiziell geht es bei dem Protest um 6,5 Prozent mehr Geld.
Hamburg. Klaudia Wöhlk liebt ihren Beruf. "Kinder sind unsere Zukunft. Es ist ein sinnvoller Beruf, sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen und zu begleiten", sagt die 62-Jährige. Seit 40 Jahren arbeitet Wöhlk als Erzieherin, seit 14 Jahren leitet sie die Kita Bauerberg in Horn. Klaudia Wöhlk wird heute streiken. Obwohl sie ihren Job liebt. Oder gerade weil sie ihren Job so liebt.
Selahattin Makar, 47, arbeitet als Straßenfeger oder, so im Amtsdeutsch, als Entsorger bei der Stadtreinigung. "Ich mache meine Arbeit ordentlich", sagt der Mann in der orangefarbenen Arbeitshose. "Und dafür will ich auch ordentlich bezahlt werden."
Jennifer Rade macht eine Ausbildung bei der Hamburg Port Authority. Hafenschifferin will sie werden, die Arbeit auf dem Wasser war schon immer ihr Traum. Der Job, den sie erlernt, ist hart: Sie muss Maschinen klarmachen, das Deck schrubben. Doch heute wird Jennifer Rade nicht zur Arbeit gehen. "Ich kämpfe für alle Azubis", sagt die 20-Jährige.
+++ Klarer Kurs +++
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Am heutigen Dienstag werden Klaudia Wöhlk, Selahattin Makar und Jennifer Rade dem Aufruf ihrer Gewerkschaft Ver.di folgen und in den Warnstreik treten. Zum Ausstand aufgefordert sind 20 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst in Hamburg. Sie arbeiten etwa in der Vereinigung Hamburger Kitas, bei der Stadtreinigung, der Flughafen GmbH, der Hamburg Port Authority, den Theatern oder der Bundesagentur für Arbeit.
Ver.di fordert 6,5 Prozent mehr Tariflohn für die bundesweit rund zwei Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Sie sollen mindestens 200 Euro mehr im Monat verdienen. Auszubildende und Praktikanten sollen 100 Euro mehr pro Monat bekommen.
Die Tarifverhandlungen zwischen Ver.di und den Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes sollen morgen in Potsdam fortgesetzt werden. Bisheriges Angebot der Arbeitgeber: 3,3 Prozent mehr Lohn über zwei Jahre, in zwei Stufen - also 1,65 Prozent pro Jahr.
Der oberste Arbeitgeber verweist auf die immensen Schulden der Stadt
Staatsrat Christoph Krupp ist ein freundlicher Mann. Wache Augen, ovale Brillengläser, leicht ergrauter strubbeliger Bart. Natürlich habe er Verständnis für den Wunsch der Beschäftigten nach mehr Lohn, sagt er. Für einen Sozialdemokraten wäre jede andere Äußerung auch verdächtig. Aber Krupp, 52, ist eben nicht nur Sozialdemokrat, sondern als Chef der Senatskanzlei der Organisator der Politik von Bürgermeister Olaf Scholz. Qua Amt ist er auch Vorstandsvorsitzender der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg AVH - der oberste Arbeitgeber für die Beschäftigten in städtischen Betrieben.
Und in dieser Funktion kann er der Forderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn wenig abgewinnen: "Die Stadt ist kein Unternehmen wie Volkswagen, bei dem es darum geht, wie der Gewinn zwischen Kapital und Arbeit aufgeteilt wird." Und dann zieht der Staatsrat eine dicke Schwarte zum Haushalt aus dem Regal und sagt einen Satz, den die öffentlich Beschäftigten noch oft hören werden in den kommenden Wochen: "Bei der Stadt gibt es keinen Gewinn zu verteilen, sondern wir machen immer noch Schulden. Wenn die Stadt ein Unternehmen wäre, wäre sie ein Sanierungsfall."
Dieser "Sanierungsfall Hamburg" hat 25 Milliarden Euro Schulden angehäuft, knapp 14 000 Euro pro Einwohner. Daher will der SPD-Senat auch am mit Abstand größten Posten im Haushalt sparen - dem Personal. Dreieinhalb bis fünf Milliarden Euro gibt die Stadt je nach Rechnung jährlich für ihre 100 000 direkten oder indirekten Mitarbeiter aus. Bürgermeister Scholz hat eine einfache Gleichung aufgestellt, an der er eisern festhält: Je höher die Lohnsteigerungen, desto größer der Personalabbau. Christoph Krupp möchte sich ungern mit diesem Satz in die Tarifverhandlungen einmischen, aber das Prinzip ist ohnehin allen Beteiligten klar: Morgen bei der Verhandlung in Potsdam geht es auch um die Frage, wie viel Personal die Stadt Hamburg abbauen wird.
Dabei sind die Argumente der Arbeitnehmer so einleuchtend. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung stiegen die Tarifvergütungen im öffentlichen Dienst seit dem Jahr 2000 um 23 Prozent. Im gleichen Zeitraum stiegen die Löhne in der Metallindustrie um 30 Prozent, in der chemischen Industrie sogar um 32 Prozent. Die Preise stiegen in diesem Zeitraum um 20 Prozent. Das heißt: Vom Lohnplus im öffentlichen Dienst blieb kaum was übrig. Kita-Chefin Klaudia Wöhlk verdient 3990 Euro brutto, davon bleiben ihr 2000 Euro zum Leben. "Die Bezahlung ist sehr schlecht", sagt sie.
Ihre Verantwortung sei groß, sagt sie: 35 Mitarbeiter hat ihre Kita, Wöhlk ist für das Budget verantwortlich, muss ihre Mitarbeiter nicht nur anleiten, sondern auch kontrollieren. "Eine Kita zu leiten ist, wie eine Firma zu leiten", sagt sie. Nur dass eine Firmenchefin mehr verdient.
Das Einstiegs-Bruttogehalt liegt bei 2040 Euro
"Für mich ist diese Bezahlung nicht so schlimm. Aber für die jungen Menschen, die in den Beruf kommen." Fünf Jahre dauert die Ausbildung. Das Einstiegs-Bruttogehalt liegt bei 2040 Euro. Erzieher müssen heute den Kindern soziales Lernen beibringen, Schriftkultur, mathematische Grunderfahrungen, Physik und Astronomie. Die Ansprüche sind gestiegen. Seit Januar sucht Wöhlk eine Erzieherin, die Stelle konnte bislang nicht besetzt werden. Weil die Bezahlung so schlecht ist.
Straßenfeger Selahattin Makar tritt seinen Dienst um sechs Uhr früh an. 7,63 Stunden fegen, Hundehaufen wegmachen, Müll sammeln, Papierkörbe leeren, im Winter Schnee fegen und streuen. 2200 Euro brutto bekommt er im Monat dafür. "Das ist nicht gerecht. Ich bin unzufrieden", sagt Makar.
Mit seiner Frau Sefaniye und den beiden jüngeren zwei Kindern lebt er auf 97 Quadratmetern in einer Vierzimmerwohnung in Mümmelmannsberg. 800 Euro beträgt die Warmmiete inzwischen. Eigentlich sei er Alleinverdiener, sagt der Mann mit türkischen Wurzeln, aber inzwischen müsse seine Frau mitverdienen. Sie hat einen Minijob in einer Reinigungsfirma.
Trotzdem ist es jeden Monat eng. Wenn etwas kaputtgeht bei den Makars, so wie gerade der Fernseher, muss der Ersatz auf Ratenzahlung angeschafft werden.
Die Auszubildende Jennifer Rade bekommt 800 Euro brutto, ihr bleiben davon 650 Euro im Monat zum Leben. Eine eigene Wohnung ist davon nicht drin. "Ich wohne noch bei meinen Eltern", sagt die Bahrenfelderin.
An diesen drei Geschichten und den Statistiken wird das Problem des öffentlichen Dienstes deutlich: Im Unterschied zu anderen Branchen bestimmt sich das Budget für Lohnerhöhungen nicht etwa an der Produktion. Wenn es der Metallindustrie besser geht, kann die IG Metall auf steigende Umsätze verweisen. Aber der öffentliche Dienst? Das Budget wird mit dem Staat verhandelt. Und der ist arm. Die Folge sind niedrigere Löhne. Gute Arbeitskräfte wandern in die Privatwirtschaft ab.
Indirekt geht es auch um die 65 000 Beschäftigten in den Behörden
Egal was bei den Verhandlungen in Potsdam herauskommt, in Hamburg wird das Gezerre erst danach richtig beginnen. Das entspringt der Besonderheit, dass die Hansestadt Bundesland und Kommune zugleich ist. So orientiert sich die Bezahlung der 65 000 Beamten und Beschäftigten in der "Kernverwaltung", also etwa in Behörden und Bezirksämtern, bei Polizei und Feuerwehr, am Tarifvertrag der Länder (TVL), der noch bis Ende 2012 läuft. Um sie geht es derzeit nicht, aber auch ihre Bezahlung dürfte sich künftig an den Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVÖD) anlehnen, der jetzt ausgehandelt wird. Die davon betroffenen 20 000 Beschäftigten sind nicht offiziell bei der Freien und Hansestadt Hamburg angestellt, sondern bei Betrieben wie der Stadtreinigung oder den Staatstheatern. Diese finanzieren sich zwar teilweise oder ganz über Zuwendungen aus dem städtischen Haushalt. Doch sollte in Potsdam eine Lohnerhöhung von, sagen wir, fünf Prozent vereinbart werden, steigen nicht die Personalkosten der Stadt um fünf Prozent, sondern zunächst nur die der städtischen Betriebe.
Dass die Stadt daraufhin ihre Zuwendungen an diese Betriebe in gleichem Maß erhöht, ist unwahrscheinlich - darum wird sich der Streit drehen. Vielen Betrieben dürfte nichts anderes übrig bleiben, als die Kosten zu senken. Und das geht meistens nur über - natürlich - Personalabbau. Die Alternative wäre, die Einnahmen zu erhöhen. Daher können sich die Hamburger schon mal darauf einstellen, dass möglicherweise die Müllgebühren steigen oder Karten für die Oper teurer werden.
Oder man macht es wie die künftige Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier. Sie hatte vor einem Jahr ihre Unterschrift an die Bedingung geknüpft, dass die Stadt Tarifsteigerungen finanziell immer ausgleicht - und diese Zusage vom Senat erhalten. Eine große Ausnahme - dass sie zur Regel wird, ist unrealistisch. Christoph Krupp will aber nichts ausschließen: "Wir warten ab, was bei den Tarifverhandlungen herauskommt, dann entscheiden wir, wie wir damit umgehen." Fest steht aber, dass höhere Personalkosten nicht auf Pump finanziert werden. "Dieser Weg ist durch die Schuldenbremse versperrt", sagt Krupp. "Das ist zwar hart, aber auch gut so." Basta.
Thomas Völsch teilt diese Ansicht. Seit drei Monaten ist der frühere Finanzexperte der SPD-Bürgerschaftsfraktion Bezirksamtsleiter in Harburg. In seinem Rathaus sind von einstmals weit über 1000 Mitarbeitern nur noch 800 übrig. Und das ist nicht das Ende. Völsch zeigt auf ein Papier, das die Vorgaben der Finanzbehörde für seinen Bezirk für die Haushaltsjahre ab 2013 zeigt. "Hier, sehen Sie: 48 Millionen Euro, damit müssen wir auskommen." Die Kosten liegen theoretisch aber um zwei Millionen Euro höher - und es sind zu 80 Prozent Personalkosten. Etwa 40 Stellen wird Völsch daher frei halten müssen oder ganz streichen. "Eine anspruchsvolle Aufgabe", sagt er.
Die aktuellen Tarifverhandlungen betreffen die Bezirksämter zwar nicht direkt. Aber wenn der Abschluss Signalwirkung für den Tarifvertrag der Länder hat - und davon ist auszugehen -, wird es in so manchem Bezirksamt zappenduster. Völsch hat vorsorglich schon mal gerechnet. "Wenn der Abschluss bei 6,5 Prozent liegt, müsste ich nicht 40 Stellen frei halten, sondern 80."
Die Eltern der Kita-Kinder haben Verständnis für den Streik
Kita-Chefin Klaudia Wöhlk will dennoch streiken. Die Eltern der Kinder ihrer Einrichtung im Stadtteil Horn hat sie über den Warnstreik informiert. Die meisten Eltern reagieren gelassen. Katharina Sinnen hat Verständnis für den Streik: "Irgendwie muss man den Staat ja unter Druck setzen." Die Forderungen seien berechtigt. Sinnen hat drei Kinder, zwei davon gehen in die Kita. Weil sie in Elternzeit ist, kann sie auch Kinder von Eltern, die berufstätig sind, am Streiktag betreuen.
Genauso hält es auch Dorothea Stork, die auf mehrere Kinder aus der Nachbarschaft aufpassen will. Stork sagt: "Die Forderungen der Gewerkschaft sind absolut gerechtfertigt. Hier wird gute Arbeit geleistet."